Wissenschaftskarriere

Promoviert im Prekariat

d'Lëtzebuerger Land du 24.10.2014

Das Wichtigste sei, dass man Spaß hat, hatte der scheidende Rektor der Universität Luxemburg, Rolf Tarrach, im Juni während eines Rundtischgesprächs der Zeitschrift Forum angehenden Forschern und Forscherinnen mit auf den Weg gegeben. Spaß, darüber werden Wissenschaftler in Europa nur bitter lachen können. Denn es beschreibt nur teilweise das Lebensgefühl von immer mehr Forschern auch hierzulande. Ihre Wirklichkeit ist, neben Begeisterung für das eigene Fache und die eigene Disziplin, zunehmend geprägt von Unsicherheit und Zukunftssorgen.

„Forschungsverträge sind in der Regel befristet, aber auch nach einer Verlängerung kann man nicht sicher sein, eine Festanstellung zu bekommen“, sagt Ben Meier. Er ist Geisteswissenschaftler an der Uni Luxemburg und hat soeben seine Dissertation abgeschlossen. Auch sein Forschungsprojekt geht dem Ende entgegen. Es ist bereits sein zweites, und weil es das Arbeitsrecht so vorschreibt, wird er nun pausieren müssen, bevor er einen neuen Vertrag mit der Uni abschließen kann. Wie es weitergeht, weiß Meier nicht. Er hat ein neues Projekt beim Forschungsfonds eingereicht und muss nun auf die Antwort warten. Der Redaktion ist sein richtiger Name bekannt, aber um seine Aussichten nicht zu gefährden, verzichtet das Land darauf, ihn zu veröffentlichen.

Projekte entwickeln, Anträge schreiben, sich um Drittmittel bewerben, das verschlingt einen immer größeren Teil der Zeit vieler Wissenschaftler. Und dann sind da noch die Publikationen. Meiers Arbeitgeber, die Uni Luxemburg, erwartet, wie viele andere Hochschulen, von seinem akademischen Personal, regelmäßig in anerkannten Fachzeitschriften zu publizieren. Aber Schreiben, wenn es nicht nur eine Neuauflage bereits abgeschlossener Projekte sein soll, braucht Zeit. Forschungsanträge stellen ebenfalls. „Ich habe keine Zeit gefunden, während meiner Forschung den nächsten Forschungsantrag zu schreiben“, sagt Meier. Eine Konferenz, die er und seine Mitarbeiter organisierten, verschlang weitere Monate. Also saß der Wissenschaftler am Ende der Projektzeit bis spät in die Abendstunden, um den Antrag für ein Folgeprojekt zu formulieren.

So oder so ähnlich sieht der Alltag vieler Forscher aus, und das geht oft über mehrere Jahre so. Nicht wenige, die an der Uni bleiben, haben auch mit Mitte 30 noch keine Festanstellung. An der Uni Luxemburg sind derzeit rund 750 Stellen unbefristet, während die Zahl der befristeten Arbeitsverträge bei rund 800 liegt. Wobei die Zahl der unbefristeten Stellen sehr viel schneller wächst als die der Dauerverträge.

„Mit Familie ist das eine Katastrophe für den Lebenslauf“, lautet das nüchterne Fazit einer Post-Doktorandin, die in einem Labor der Uni Luxemburg arbeitet. Meier stimmt dem zu: „Ich kann froh sein, dass ich mich für die Bücher entschieden habe und meine Partnerin das akzeptiert.“ Weder er noch sie wollen ein Kind, zudem hat seine Partnerin einen festen Job, der so schlecht nicht bezahlt ist. Dank seiner Eltern, beide lange Jahre berufstätig, muss Meier sich nicht wirklich sorgen, einmal ganz ohne Absicherung da zu stehen. „Das ist natürlich eine Super-Situation“, weiß Meier.

Nicht jeder hat ein solches Netzwerk. Und wer das Studium erfolgreich abgeschlossen hat, hat damit nicht automatisch einen festen Job. Studien zeigen zwar, dass die Akademiker-Arbeitslosigkeit in Luxemburg deutlich unter der von Niedrigqualifizierten liegt und Berufstätige mit Doktortitel im späteren Leben ein Vielfaches mehr verdienen als ihre Kollegen ohne eine Promotion. Aber zunächst müssen viele eine Dürrezeit überstehen, die es in sich hat. Mit Angeboten wie die Jobmesse unicareers.lu willdie Uni Hochschulabsolventen eine Brücke in die Arbeitswelt bauen.

Die meisten Forschungsprojekte, die etwa der nationale Forschungsfonds oder die EU finanzieren, haben eine Laufzeit von drei bis maximal fünf Jahren. Oft sind Doktorarbeiten damit verbunden. Für Post-Doktoranden ist die Situation schwieriger: In Deutschland sind beispielsweise Verträge unter als sechs Monaten Laufdauer keine Seltenheit; nicht wenige Post-Doktoranden müssen, addiert man die Vorbereitungszeit für Seminare, Besprechungen, die Organisation von Konferenzen und das Korrigieren von Prüfungen, mit einem Lohn auskommen, der unter dem in Deutschland geplanten Mindestlohn von 8,50 Euro liegt.

In Luxemburg sind die Gehälter junger Forscher attraktiver. Doch nachdem die Uni sie vor einigen Jahren um gut 20 Prozent gekürzt hat, und weil zudem Pläne für einen nächsten Lohnschnitt kursierten, beurteilen Forscher hierzulande ihre Lage nicht mehr als so rosig. „Die Arbeitsbedingungen seien im Vergleich zum Ausland noch gut, aber es sei beinahe unmöglich, einen festen Vertrag zu bekommen“, so fasst Fred Krier vom OGBL die Klagen von Forschern zusammen, die seine Gewerkschaft in den vergangenen Jahren erhalten hat. Der Vorschlag einer weiteren Sparrunde auf dem Rücken des Mittelbaus der Uni ist derweil vom Tisch; nicht zuletzt, weil auch der Univorstand fürchtete, mit niedrigen Gehältern nicht mehr beim Wettkampf um die besten Köpfe mithalten zu können. Bisher war das gute Gehalt auch ein Argument für namhafte Wissenschaftler, um an die noch junge Uni zu kommen. Wie lange noch?

In Frankreich ist das Fass bei den Wissenschaftlern nun explodiert: Dort bauen die Forschungszentren seit Jahren feste Stellen ab, Folge der zum Teil drastischen Budgetmittelkürzungen für Frankreichs Universitäten. In Deutschland ist der akademische Mittelbau ein Dauerbrenner seit Jahren, aber erst in den vergangenen Monaten werden mehr Stimmen laut, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Die prominenteste ist vielleicht die des pensionierten Politikprofessors Peter Grottian, der in einem Brandbrief in der Süddeutschen Zeitung eine „menschenunwürdigen Ressourcenverschwendung“ anprangerte, die „einmalig“ sei in der Republik. Seine Stellungnahme zirkuliert rege in Wissenschaftler-Netzwerken, sogar in Luxemburg. Bisher ist es aber noch verhältnismäßig ruhig.

Das sei eben „die Besonderheit der akademischen Laufbahn“, hatte der Professor für Neurobiologie, Fernand Anton, bei der Forum-Podiumsdiskussion im Juni gemeint. Müssen sich also angehende Forscher damit abfinden, bis in ihre Vierziger unsicher zu leben, und was bedeutet das für die eigene Familienplanung? „Wenn es mit dem nächsten Projekt nicht klappt, werde ich als Journalist arbeiten“, sagt Meier. Sein Glück ist, dass er schon Artikel in diversen Zeitungen publiziert hat. Aber nicht jeder kann das von sich sagen. Für Laborforscher, die oft noch spät im Labor sitzen, ist es meist unmöglich, nebenher etwas anderes zu arbeiten. Andere sind so spezialisiert, dass sie nicht einfach umsatteln können. Viele von ihnen entscheiden sich gegen die Karriere an der Uni und wechseln in die Privatwirtschaft. Unirektor Tarrach geht ohnehin davon aus, dass die meisten Jobs in der Privatwirtschaft finden werden. So funktioniert die Uni: Der Anteil an Drittmitteln ist am Steigen, immer mehr Lehrstühle werden von Privatunternehmen finanziert.

Es sei „ganz einfach nicht möglich“, alle Forscher an der Uni fest anzustellen, hatte Tarrach im Juni gesagt. Das lässt sich als Professor natürlich gut sagen. Es ist ein Fakt, dass die Hochschulsysteme in Europa rund um die Professoren aufgebaut sind. Sie sitzen privilegiert, üppig bezahlt und haben ihren Lehrstuhl meist auf Lebenszeit. Fast alle haben um sich eine Schar von Wissenschaftlern geschart – ohne die ihre eigene Lehre und Forschung nicht existieren könnte. Gab es früher einen Mittelbau mit festen Stellen, der – ohne Aussicht auf eine Professur – den Aufstieg von Forschern erschwerte, wurde diese Sicherheit abgebaut: Inzwischen ist das Pendel in vielen europäischen Ländern in die andere Richtung ausgeschlagen.

Immerhin: Tarrach hatte sich in einem Brief ans Parlament für das amerikanische Vorbild der Tenure track eigesetzt – also mehr Assistenz-Professoren-Stellen auf Bewährung zu schaffen. Nach einer Bewährungszeit von rund sechs Jahren könnten diese dann, sofern sie sich bewährt haben, in Stellen auf Lebenszeit umgewandelt werden. Er sei damals nicht auf offene Ohren gestoßen. Eigentlich hat die Uni Luxemburg bereits Assistenz-Professuren, von denen nicht wenige befristet sind. Dass selbst die Assistenz-Professur keine Garantie für eine spätere Festanstellung ist, zeigt der Fall einer Professorin, die ihren befristeten Vertrag trotz Engagement und Organisation eines Studiengangs eben nicht in einen unbefristeten umgewandelt bekam. Weshalb die Frau gegen die Uni klagte. Sogar ihre Evaluierung durfte sie nicht einsehen. Den Kampf vor Gericht verlor sie, die Akademikerin verließ daraufhin die Uni – und arbeitet heute als Lehrerin mit unbefristetem Arbeitsvertrag.

Ines Kurschat
© 2023 d’Lëtzebuerger Land