Die Regierung ist bereit, die Prozedur zu den vier Plans sectoriels für die Raumplanung notfalls ganz von vorn zu beginnen. Wieso schlägt die CSV ihr das nicht als Konzeptlosigkeit um die Ohren?

Politische Testballons

d'Lëtzebuerger Land vom 31.10.2014

Es gab kein politisches Erdbeben nach den Erklärungen von Innenminister Dan Kersch (LSAP) vergangenen Samstag im Luxemburger Wort: Die Regierung sei bereit, die vier sektoriellen Pläne „grundsätzlich zu überarbeiten“, und „wenn es sein muss, werden wir die eingeleitete Prozedur integral in Frage stellen“. Drei Tage zuvor hatte Landesplanungsminister François Bausch (Grüne) auf der Jahresversammlung der Architektenkammer das gleiche erklärt. Die Versammlung war extra verschoben worden, damit Bausch dort sprechen konnte.

„Grundsätzlich überarbeiten“ bedeutet, dass alles, was in den vier Planentwürfen steht, geändert werden kann. Der Verlauf künftiger Verkehrswege, die Lage neuer Gewerbegebiete, Wohnbau-areale und Landschaftsschutzzonen. Aber nicht nur das. Die Einteilung der Gemeinden in 43 „prioritäre“, die künftig verstärkt wachsen sollen, und 63 „komplementäre“, die nur wenig wachsen dürfen, sei „nicht günstig“, sagt François Bausch dem Land. Er kann die Gemeinde Schüttringen gut verstehen, die wegen ihres starken Einwohner- und Arbeitsplatzwachstums der letzten Jahre im Plan sectoriel logement als „prioritär“ eingestuft wurde und deshalb in den zwölf Jahren nach Inkrafttreten des Plan sectoriel um mindestens ein Fünftel an Bevölkerung zulegen müsste. In einer Bürgerbefragung hatte eine Mehrheit sich gegen diese Perspektive ausgesprochen und der Gemeinderat ist derselben Meinung: Ob man die Folgekosten für zusätzliche Schulen, Sportanlagen, Straßen, Wasserleitungen und so fort imstande sein werde zu tragen, sei zweifelhaft.

Auch die 25 Großprojekte zum massierten Wohnungsbau auf der grünen Wiese stehen in Frage. Dass keines realisiert werde, wenn eine der 15 betroffenen Gemeinden das nicht will, hatte Wohnungsbauministerin Maggy Nagel (DP) schon vor einer Woche erklärt. Bausch fügt an, die so genannten projets d’envergure seien offenbar mit kaum einer Gemeinde vorher abgesprochen worden. Nur die Gemeinde Kehlen wolle das in Olm auf 27 Hektar geplante Großvorhaben wirklich, und vielleicht auch noch die Gemeinde Contern zum Teil die Bebauung der über 40 Hektar, die im Plan sectoriel stehen. In Contern gebe es „Konflikte mit Landwirten“, stellt Bausch fest, die ihr Land nicht aufgeben wollen.

Bemerkenswert ist, dass der Landesplanungsminister dabei weniger erste Schlussfolgerungen aus den Stellungnahmen der Bürger und vor allem der Gemeinden zu den Planentwürfen zieht. Sondern dass er freimütig einräumt, die Regierung halte ihre eigenen Entwürfe nicht für gut. Dass sich in Kärjeng ein Problem stellt, weil das dort geplante Altersheim in eine coupure verte, eine der neuen Zonen im Plan sectoriel paysages, fällt, hat der Kärjenger Gemeinderat der Regierung in seinem Avis mitgeteilt. Bausch versteht das: „Der Bau des Altenheims ist sinnvoll.“ Das sei ein „Grenzfall“, dem man Rechnung tragen müsse. Doch die Regierung teilt auch prinzipiellere Kritiken am Landschaftenplan. „Da wurde vieles reingepackt, was schon im Naturschutzgesetz vorgeschrieben ist“, stellt Bausch fest. Und fährt fort: „Sollte man sich nicht besser die nötigen Mittel geben, um das Naturschutzgesetz umsetzen zu können, statt im Plan sectoriel noch etwas draufzusatteln? Es wird ja ohnehin jedes Bauvorhaben durch die Umweltverwaltung geprüft.“

Weil so ohne Weiteres auch ein Bauunternehmer oder die Landwirtschaftskammer argumentieren könnte, kann die vorauseilende Änderungsbereitschaft überraschen – oder auch nicht. Jetzt zeigt sich, wie es gemeint war, als Bausch, Kersch und Nagel mit Wirtschaftsminister Étienne Schneider (LSAP) und Umweltstaatssekretär Camille Gira (Grüne) die Grundzüge der vier Plans sectoriels am 21. Mai im Parlament vorstellten und alle fünf dort immer wieder betonten, nichts sei „in Stein gemeißelt“. Die vier Pläne waren politische Testballons.

Als die neue Regierung ins Amt kam, stand sie vor der Wahl: entweder die Pläne ihrer Vorgängerin zu veröffentlichen oder sie zu überarbeiten. Letzteres aber hätte wahrscheinlich noch einmal zwei Jahre Arbeit im stillen Kämmerlein bedeutet. Dabei haben schon die jetzt vorliegenden Pläne ihre Geschichte. An allen begann die Arbeit bereits unter der schwarz-blauen Juncker-Polfer-Regierung. Mit der Veröffentlichung der Entwürfe, die um Mitte 2010 endgültig fertig waren, noch länger zu warten, hätte leicht dazu führen können, dass die große Debatte darüber in den Gemeindewahlkampf 2017 hineingereicht hätte. Wer nicht wollte, dass die Raumplanung im politischen Chaos unterginge, musste mit den Plänen schnell an die Öffentlichkeit.

Aber Raumplanungspolitik ist mehr, als Standorte von „Zonen“ in bunte Karten einzutragen, die dann unter geoportail.lu besichtigt werden können. In Luxemburg, wo der Platz knapp ist, aber Wirtschaft und Bevölkerung weiter wachsen, führt Raumplanung, die der Staat mit Plans sectoriels macht, nicht nur zum Konflikt mit den Gemeinden, denn die haben auf ihrem Territorium ebenfalls eine Planungshoheit. Sondern zwangsläufig auch zum Konflikt mit allen möglichen am knappen Land Interessierten: Bauunternehmern, Grundstücksbesitzern, ansiedlungswilligen Betriebschefs, Landwirten und Naturschützern. Dass die Plans sectoriels von vielen Seiten her heftig kritisiert wurden – vom Gemeindeverband Syvicol über den Mouvement écologique bis hin zur Union des propriétaires, ist nicht unnormal. Bemerkenswert ist aber, dass François Bausch findet, man führe jetzt „eine flotte Diskussion über die Zukunft des Landes“. Gemeinden, denen ein projet d’envergure auf einer grünen Wiese nicht gefällt, würden Vorschläge machen, wie stattdessen auf schon ausgewiesenem Bauland ähnlich viele Wohnungen zu haben sein könnten. So stelle sich die Regierung die weitere Debatte vor: Gemeinsam mit den Gemeinden schauen, was sich machen lässt. Im Januar, wenn alle Stellungnahmen ausgewertet sind, würden mit jeder einzelnen Gemeinde Gespräche beginnen. Und wenn die vier Sektorpläne nicht schon Anfang 2016 per Règlement grand-ducal für verbindlich erklärt werden können, dann halt später. Hauptsache, bis zum Ende der Legislaturperiode.

Muss man sich wundern, dass die CSV der Regierung das nicht als Konzeptlosigkeit um die Ohren schlägt? Auf jeden Fall. Zumal Claude Wiseler, der seit drei Wochen kein adjoint eines abwesenden CSV-Fraktionsvorsitzenden Jean-Claude Juncker mehr ist, sondern selber Chef, vor elf Monaten noch Landesplanungsminister war. Aber Wiseler schweigt, und mit ihm die gesamte CSV-Opposition. Das ist kein Wunder: Der politische Verlierer wegen der momentan unentschiedenen Lage um die Plans sectoriels ist nicht die Regierung, sondern die CSV. Jedenfalls derzeit.

Das hat weniger damit zu tun, dass es für Wiseler eine ziemliche Schreckensvorstellung gewesen wäre, mit allen 106 Gemeinden zu schauen, was sich machen lässt. Sondern mehr mit der politischen Kultur im CSV-Staat, die den Gemeinden die Rolle derer zuwies, die zu tun hatten, was die Regierungs-Obrigkeit und vor allem die im für kommunale Angelegenheiten zuständigen Innenministerium vorschrieb.

Da war es schon fast ein kleines Wunder, dass unter dem Sozialisten Alex Bodry, Landesplanungsminister der Juncker-Poos-Regierung, 1999 ein Landesplanungsgesetz verabschiedet wurde, das einerseits vorsah, dass der Staat von oben her „sektoriell“ plane, andererseits aber – und als eine Art Gegengewicht zum sektoriellen top-down – Staat, Gemeinden und Bürger in sechs „Planungsregionen“ von unten her „regional“ planen sollten. Den Anstoß dazu sollte der Landesplanungsminister liefern.

Als zwischen 1999 und 2004 Michel Wolter das Amt innehatte, gab es solche Anstöße. Wolter erweckte nur anfangs den Eindruck, Landesplanung interessiere ihn nicht; mit der Zeit wurde er regelrecht begeistert davon. Als er 2004 nicht wiedergewählt und Jean-Marie Halsdorf Landesplanungsminister wurde, änderte sich das. Auf den eigensinnigen Wolter, der schnell grob werden kann, war e feine Kärel gefolgt, der von allem überfordert war. Und der sich von Romain Diederich, ab Sommer 2004 Erster Regierungsrat und die Graue Eminenz der Landesplanung, erzählen ließ, um regional zu planen, seien die meisten Gemeinden entweder zu klein oder die kommunalen Verantwortlichen zu dumm.

Dass Diederich – „ein brillanter Akademiker, der von der Praxis in den Gemeinden keine Ahnung hat“, wie Landesplaner ihm nachsagen – vor einer Woche, mitten in der heißen Phase der Plans sectoriels, seinen Posten geräumt hat, ist nur normal. Der sehr rigide Ansatz, der im Juli vergangenen Jahres Einzug ins Landesplanungsgesetz hielt und nach dem der Staat den Gemeinden nur noch vorschreibt, wie sie ihre Bebauungspläne zu ändern haben, stammt von ihm. Als der parlamentarische Nachhaltigkeitsausschuss drei Jahre lang über die Gesetzesreform diskutierte, hatte Diederich, Mitglied des rechtsliberalen Cercle Joseph Bech in der CSV, stets für Strenge gegenüber den Gemeinden plädiert. Während Gilles Roth, damals CSV-Fraktionspräsident und Berichterstatter zur Gesetzesreform, Diederich zu bremsen versuchte. Claude Wiseler, der Minister, saß dann zwischen zwei Fronten und konnte sich schwer entscheiden. Einerseits, weil er generell lieber nichts entscheidet, andererseits, weil ihn die Landesplanung nicht sonderlich interssierte. Wiseler wollte lieber im Zusammenhang mit neu gebauten Straßen und Gebäuden genannt werden.

Heute aber geht es nicht mehr nur um die Frage, ob man die Gemeinden nicht für voll genommen hat. Im Oktober 2013 fällte das Verfassungsgericht ein Grundsatzurteil und erklärte, der Besitzer eines Grundstücks, das rückklassiert wird und einen Wertverlust erleidet, sei generell zu entschädigen. Worauf die neue Regierung, kaum war sie im Amt, die Panik ergriff und sie in die Plans sectoriels Entscheidungsspielräume einbaute, damit vor Ort in den Gemeinden noch Einigungen mit betroffenen Besitzern möglich wären. Mittlerweile aber ist der Problemkreis noch größer geworden. Die Regierung schließt nicht aus, dass die gesamte Prozedur um die Plans sectoriels einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhalten könnte. Etwa weil ein projet de plan sectoriel, das in einer Gemeinde eingereicht wird, dafür sorgen soll, dass dort nichts mehr genehmigt und nichts mehr gebaut wird, was diesem Entwurf zuwiderläuft, obwohl er nur ein Entwurf ist und nicht definitiv. Wie man die Prozedur anpasst, damit sie weniger restriktiv wird, aber gleichzeitig etwa dafür sorgt, dass niemand ein Bauvorhaben auf einer Fläche lanciert, die eigentlich für eine Straße oder eine Bahnlinie reserviert sein soll, ist momentan unklar. Beraten lassen will die Regierung sich durch ein Rechtsgutachten der Anwälte von Arendt & Medernach. Was wollte eine CSV-Fraktion zu all dem schon Oppositionelles sagen, wenn es seinen Ursprung doch in der CSV hat?

Aber was die Regierung mit den Gemeinden nun abmachen will, sind nicht nur eine neue Prozedur, die geeignetsten Standorte für Wohnsiedlungen oder ob sich eine Landschaftszone ein Stück von hier nach da verlegen lassen könnte. Es geht auch um eine so grundsätzliche Frage wie die, welche Gemeinden bevorzugt wachsen sollen und welche das nicht dürfen. Von den 43 Gemeinden, denen Romain Diederich eine Priorität geben wollte, will die Regierung auf das Programme directeur zur Landesplanung zurückkommen. Dort sind 14 centres de développement et d’attraction (CDA) aufgeführt, die eigentlich schon seit 2003, nachdem die Abgeordnetenkammer das Programme directeur gut geheißen hatte, bevorzugt entwickelt werden sollen. Doch heute fragt sich nicht nur, ob die CDA noch zeitgemäß sind, denn das Programme directeur datiert schon von 1999. Anfang des Jahres hat ein Bericht des Sozialforschungsinstituts Ceps-Instead an die Regierung auch gezeigt, dass abgesehen von der Hauptstadt, Redingen, Junglinster und Steinfort alle anderen CDA sozial schlecht gestellt sind und Gefahr laufen, längerfristig abgehängt zu werden (d’Land, 16.05.2014).

Damit stellen sich sehr praktische Probleme, wenn es darum geht, Landesplanungs-Entscheidungen umzusetzen. Sie berühren natürlich die Gemeindefinanzen, und ginge es nach dem grünen Landesplanungsminister Bausch und Staatssekretär Gira, dann würde eine „Kooperation in der Region“ überall im Land eingerichtet. Doch ob die Koalitionspartner das auch so sehen, ist nicht unbedingt gesagt: Als 2011 im Parlamentsausschuss die Zukunft der Regionalplanung zur Debatte stand, wollte die CSV-Fraktion sie aus dem Landesplanungsgesetz streichen, LSAP und DP stimmten zu. Sie heute wiederzubeleben, ist weniger eine Frage von Gesetzen denn eine des Geldes: Miteinander kooperieren können Gemeinden immer. Vermutlich aber tun sie das umso eher, wenn ein finanzieller Anreiz winkt. Dazu aber müsste zum Beispiel beschlossen werden, einen Teil der staatlichen Dotation an die Gemeinden „in die Region zu geben“. Die Rede davon war immer wieder mal, aber dabei blieb es stets.

Wie „regional“ die Gemeindefinanzreform ausfällt, die die Regierung plant, bleibt abzuwarten; unwahrscheinlich ist, dass sie losgelöst von der großen Steuerreform erfolgt. Die ersten Vorschläge zur Steuerreform aber sollen nicht vor Anfang 2016 vorliegen – über Steuern will die Regierung nicht diskutieren, wenn in der zweiten Hälfte kommenden Jahres Présidence angesagt ist. 2016 und vielleicht auch erst 2017 Klarheit zu haben über das kommunale Geld, könnte aber zu spät sein, um sich mit den Gemeinden zu einigen, wer und wodurch alimentiert wachsen darf. Spätestens dann dürfte auch die CSV zum Thema wieder zu vernehmen sein, und vielleicht findet sich in ihren Reihen dann auch einer der sagt, er habe das schon immer gewusst und die Gemeinden gehörten bekanntlich vom Staat an die Hand genommen.

Peter Feist
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