Die ab 1. Januar geltende Amnestie für Steuerhinterzieher geht manchen zu weit, anderen nicht weit genug

Gnade für das Schwarzgeld

d'Lëtzebuerger Land du 27.11.2015

Als er am 14. Oktober den Entwurf des Staatshaushalts für 2016 hinterlegte, kündigte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) vor dem Parlament an, dass die Regierung mit dem Haushaltsgesetz eine Amnestie für Steuerhinterzieher gewähren will. Denn durch den am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getretenen automatischen Informationsaustausch muss nicht nur die Luxemburger Steuerverwaltung ausländischen Steuerämtern Mitteilungen über die Vermögens- und Einkommensverhältnissen von Ausländern machen, die Geld in Luxemburg halten, sondern sie erhält ab nächstem Jahr auch Mitteilung über die Vermögens- und Einkommensverhältnisse von Luxemburgern, die Geld im Ausland versteckt haben.

Doch während den so enttarnten Steuerhinterziehern und Steuerbetrügern Geldbußen von bis zu 1 000 Prozent der Steuerschuld und Haftstrafen von bis zu zwei Jahren drohen, winkt ihnen nun Straffreiheit, wenn sie vor Ende 2017 der Steuerverwaltung die Einkommen und Vermögen auf ihren ausländischen Schwarzgeldkonten mitteilen. Auf der Grundlage einer „berichtigten Steuererklärung“ müssen die Geständigen dann ihre Steuerschuld rückwirkend bis zu einer Verjährungsfrist von zehn Jahren begleichen sowie ein zehnprozentiges Aufgeld zahlen, wenn sie sich nächstes Jahr melden, oder ein 20-prozentiges, wenn sie erst 2017 reumütig werden.

Es ist nicht die erste Steueramnestie dieser Art, wie vielfach behauptet. Bei der Einführung einer zehnprozentigen Abgeltungssteuer und der Abschaffung der Vermögenssteuer für natürliche Personen wurde vor genau zehn Jahren, der üblichen Verjährungsfrist, Schwamm über die Vergangenheit gezogen. Die Vergangenheit war die Goldene Zeit, als Schalterbanken ihren heimischen Kunden neben dem Spar- und Girokonto die Eröffnung eines Schwarzgeldkontos anboten. Unter dem Titel „Liquidation du passé“ sah Artikel 8 des Gesetzes vom 23. Dezember 2005 vor, dass nach der Einführung der Abgeltungssteuer keine rückwirkende Besteuerung von Zinserträgen oder Strafverfolgung wegen Steuerhinterziehung stattfinden dürfe.

Auch wenn niemand die Steueramnestie glattweg abzulehnen scheint, gehen die Meinungen über Sinn und Nutzen der Amnestie auseinander, wie es sich auch aus den Gutachten zum entsprechenden Gesetzentwurf herauslesen lässt. Obwohl die erneute Amnestie den Eindruck aufkommen lassen könnte, dass Steuerhinterziehung weiterhin als ein Kavaliersdelikt durchgeht, stößt sie doch weitgehend auf Zustimmung. Niemand wirft die Frage auf, wie weit es mit der Gleichheit vor dem Gesetz in Einklang zu bringen ist, Steuerhinterziehern, die kurz vor ihrer unvermeidlichen Enttarnung durch den automatischen Informationsaustausch stehen, die Möglichkeit zur Straffreiheit zu bieten, die anderen Straftätern nicht gewährt wird.

Auch wenn sie nur Steuerpflichtige mit größeren Einkommen oder Vermögen betrifft, wird die Amnestie paradoxerweise weniger von der Salariatskammer als von der Handelskammer kritisiert. Die Salariatskammer findet sogar, dass es sich im Grunde nicht um eine Amnestie handele, weil die reumütigen Steuerpflichtigen ein zehn- bis 20-prozentiges Aufgeld zu ihrer Steuerschuld zahlen müssten. Sie wünscht sich aber, dass die befristete Amnestie von einem verstärkten Kampf gegen die Steuerhinterziehung begleitet wird, und regt an, dass die Universität einen dritten Zyklus in Steuerrecht für fortbildungswillige Steuerbeamten anbietet.

Die Handelskammer ist dagegen weit kritischer, weil ihr die Steueramnestie nicht weit genug geht. Sie fragt sich, ob die Maßnahme angebracht und wirksam sei. Denn der Anreiz zur Selbstanzeige sei gering, wenn die Meldefrist auf zwei Jahre beschränkt und zudem ein mit der Zeit steigendes Aufgeld geschuldet sei.

Irgendwie scheint die Handelskammer den Verdacht zu hegen, dass die Steueramnestie nur ein Vorwand sein könnte, um diskret Artikel 410 der Abgabenordnung abzuschaffen. Die durch eine Verordnung vom 30. September 1940 eingeführte deutsche Abgabenordnung sieht in Artikel 410 allgemein vor, ein Steuerpflichtiger, der „unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Steuerbehörde, ohne dazu durch eine unmittelbare Gefahr der Entdeckung veranlasst zu sein, berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, bleibt insoweit straffrei“. Diese Bestimmung, die nicht einmal ein Aufgeld vorsieht, will die Regierung nun abschaffen, weil sie „veraltet“ sei, wie es ohne zusätzliche Erklärung im Kommentar zum Entwurf des Haushaltsgesetzes heißt.

Die Handelskammer befürchtet aber, dass Luxemburg als „sehr repressiv“ erscheinen werde, wenn die zweijährige Frist ausläuft und danach die in Artikel 410 vorgesehene Möglichkeit zur Selbstanzeige abgeschafft bliebt. Dies gelte vor allem im Vergleich zu Deutschland, wo auch nach Ablauf der befristeten Amnestie die Möglichkeit fortbestehe, sich mit dem Gesetz in Einklang zu bringen – und schließlich rühre das Luxemburger Steuerrecht von der deutschen Abgabenordnung her.

Die Handelskammer weist auch darauf hin, dass der Wirkungsbereich der geplanten Amnestie geringer sei als von Artikel 410 der Abgabenordnung. In dem neuen Artikel gehe lediglich vage die Rede von Einkommen und Vermögen, die „nicht erklärt“ würden, während der bestehende Artikel 410 alle „unrichtige[n] oder unvollständige[n] Angaben“ einschließe. Zudem sollten künftig bloß Steuervergehen, wie sie in den Artikeln 396 und 402 vorgesehen sind, von der Strafverfolgung ausgenommen werden. Es wäre also vorstellbar, dass andere damit zusammenhängende Steuervergehen weiter bestraft würden, befürchtet die Handelskammer, die sich möglicherweise fragt, ob die Amnestie nur für Steuerhinterzieher, nicht aber für Steuerbetrüger gilt.

Der Staatsrat bemängelt dagegen, dass Steuerhinterzieher selbst entscheiden können, welche ihrer Schwarzgeldkonten und aus welcher Zeit sie melden, statt dass die Amnestie nur unter der Bedingung einer lückenlosen Offenlegung gilt. Doch mit diesem Einwand fand der Staatsrat kein Gehör.

Dass nur Steuerpflichtige mit Wohnsitz in Luxemburg in den Genuss der Amnestie kommen können, hält der Staatsrat für eine Diskriminierung von Steuerpflichtigen, die weggezogen sind, seit sie ihre Schwarzgeldkonten anlegten. Dies verstoße gegen das Prinzip der Gleichheit vor der Steuer, so dass der Staatsrat droht, das Haushaltsgesetz nicht von einem zweiten parlamentarischen Votum nach drei Monaten zu befreien. Der Staatsrat und die Handelskammer sehen auch eine mögliche Diskriminierung anderer EU-Bürger. Auf die Drohung des Staatsrats hin hat der Finanz- und Haushaltsausschuss des Parlaments am Dienstag einen Änderungsantrag angenommen, laut dem nun auch alle ausländischen Steuerpflichtigen von der Amnestie profitieren sollen. Bei der gleichen Gelegenheit ist der Ausschuss dem Vorschlag nachgekommen, den geplanten Artikel 203a in Artikel 489 umzubenennen, um ihn zu den Übergangsbestimmungen der Abgabenordnung zu packen, weil er nur für zwei Jahre gelten soll.

Mit dem für sie typischen spröden Humor rechnet die Berufskammer der Beamten und öffentlichen Angestellten in ihrem Haushaltsgutachten das Beispiel eines Geschäftsmanns vor, der vergangenes Jahr 300 000 Euro an Einnahmen auf einem Bankkonto in Trier versteckte. Nächstes Jahr bringt er sein Schwarzgeld zurück und erklärt der Steuerverwaltung verheimlichte Zinseinnahmen in Höhe von 0,5 Prozent oder 1 500 Euro. Weil für diese Zinserträge ein Freibetrag von 1 500 gelte, brauche er keinen Euro zusätzlich zu zahlen, dürfe aber dank der Amnestie die 300 000 Euro in gänzlicher Straffreiheit nach Hause bringen.

Romain Hilgert
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