Tripartite-Runde

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d'Lëtzebuerger Land du 05.03.2009

Man kann sich schon fragen, was diese Tripartite-Runde den Teilnehmern außer ein wenig Fitness-Training eingebracht hat. Denn beim zweiten und vorerst letzten Treffen dieser Runde am Mittwoch stemmten sie riesige Papierstapel, trafen aber keine Entscheidungen. Die hatte die Regierung schon im Vorfeld getroffen und die will Staats- und Finanzminister Jean-Claude Juncker diesen Freitag neu verpackt und in voller Länge als Anti-Krisenpaket vorstellen.Dabei hatte die Arbeitnehmerkammer (CSL) einen Schmöker von 169 Seiten mit Analysen und Vorschlägen vorgelegt – am Vorabend der Sitzung. Völlig übertrieben, beschwerten sich manche hinter vorgehaltener Hand, wer hätte denn das alles noch rechtzeitig lesen sollen. Das 109-Punkte-Programm des Arbeitgeberverbandes UEL war im Vergleich dazu geradewegs bescheiden. Vor allem aber forderte es eine ganze Reihe von Maßnahmen, deren Umsetzung die Regierung bereits in den vergangenen Wochen und Monaten in die Wege geleitet hat. 

Am Mittwochabend meinte der Vorsitzende des Arbeitgerberverbandes, Michel Wurth, das Treffen sei ruhig verlaufen, man sei sich allerseits einig in der Analyse der aktuellen Krisensituation. „Alle haben verstanden, dass diese eine strukturelle Krise ist, eine schlimme Krise, die erstens globaler Natur ist und zweitens alle Wirtschaftszweige betrifft,“ so Wurth. Ob er damit nicht zu optimistisch ist? Denn obwohl auch die Arbeitnehmerkammer in ihrem Dokument strukturelle Probleme thematisiert, meint sie damit wahrscheinlich andere als die Arbeitgeber. Letztere sprechen in ihrem Programm die Wettbewerbsfähigkeit der Luxemburger Wirtschaft insgesamt und der hiesi­gen Unternehmen im speziellen an. Für die Gewerkschaften ist das strukturelle Problem im Kern der Mangel an Regulierung der internationalen Finanzmärkte, wodurch das Bilden einer Spekulationsblase überhaupt möglich wurde. Dass die Blase 2008 geplatzt ist, hat nach Meinung der Arbeitnehmerkammer in Luxemburg einen konjunkturellen Abschwung beschleunigt, der schon 2007 einsetz­te. Luxemburg sei gut gerüstet, um der Krise zu widerstehen, der Staat habe große finanzielle Reserven, die heimischen Unternehmen arbeiteten mit hohen Margen, könnten demnach auch einiges wegstecken. Während sie also das strukturelle Problem auf internationaler Ebene ortet und daher die Regierung aufruft, sich ak­tiv an der Reform der internationalen Finanzmärkte zu beteiligen, quasi eine Heimatfront in Sachen Steueroasen aufmacht, in dem sie sich gegen die Praxis der Steueroptimierung ausspricht, orten die Arbeitgeber dort ein völlig anderes Problem. Damit die Nachfrage bei den Luxemburger Exportunternehmen endlich wieder anziehen könne, solle sich die Regierung dafür stark machen, dass die EU-Mitgliedstaaten ihre Konjunkturpakete auf den Weg bringen, so wie sie das im Dezember beim EU-Gipfel versprochen hatten.

Dass auch Jean-Claude Reding, Präsident von OGBL und Arbeitnehmerkammer, nach der Sitzung am Mittwoch sagen konnte, es habe keine Streitgespräche gegeben, liegt demnach vor allem daran, dass die So­zialpartner ihre Analysen, Ideen und Vorschläge zwar vorstellen durften, der Staatsminister eine Diskussion über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und eventuellen Arbeits- und Sozialrechtsreformen, welche diese verbessern sollten, nicht aufkommen ließ. „Zu viele Unvereinbarkeiten“, meinte Juncker nach der Sitzung, habe er in den von UEL, CSL und vom christlichen Gewerkschaftsbund separat eingereichten Papieren festgestellt. In der Tat bieten die­se genug Zündstoff für einen anständigen Streit.

Rund 400 Millionen Euro habe die Indextranche vom 1. März die Luxemburger Unternehmen gekostet, monieren die Arbeitgeber unter Punkt eins ihres Programms. Weil die Regierung ihren Antrag auf ein Aussetzen der Indextranche abgelehnt hat, verlangt die UEL, dass auf den Zuschlägen wenigstens 2009 der Arbeitgeberbeitrag entfallen soll. Für 2009 und 2010 sollten zudem die Gehälter eingefroren, wenn nicht gar in einigen Branchen gekürzt werden, um Arbeitsplätze zu retten. Die Index-Modulation solle auch nach 2009 fortgesetzt werden und das System auf Gehälter, die bis zu 1,5 Mal den Mindestlohn betragen, beschränkt werden, fordern die Arbeitgeberverbände erneut. „Wir haben unterstrichen, dass diese Indextranche in einer solchen Krisenzeit, da einerseits viele Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren und andererseits die Inflation 0,5 Prozent beträgt, nur schwer zu erklären ist“, so Wurth am Mittwochabend. Dabei vergessen die Unternehmen wohl, dass die Tranche eben just wegen der 2006 beschlossenen Modulation jetzt fällig wird, obwohl die Inflation seit ihrem Hoch Mitte 2008 genauso stark zurückgegangen ist wie das Wirtschaftswachstum.

Dem laufen die Forderungen der Gewerkschaften logischerweise zuwider. Eine weitere Indexmodulation, die man in Gewerkschaftskreisen gerne Manipulation nennt, sei nach 2010 inakzeptabel und konträr zur Regierungspolitik, die mit Steuerkrediten, Kinderbonus und so weiter versuche, die Kaufkraft der Haushalte zu stärken. Maßnahmen, welche den Arbeitgebern zufolge, ganz im Gegenteil, ei­­ne Fortführung der Modulation recht­fertigen, der Staat habe den Schwächs­ten damit ja schon unter die Arme gegriffen. Die CSL will hingegen auch in Zukunft eine regelmäßige Anpassung der Mindestlöhne und Renten sehen und auch die brandneuen Steuerkredite müssten periodisch angeglichen werden. Das alles, damit die Kaufkraft der Angestellten erhalten bleibe, eine Kaufkraft, die auch gebraucht werde, damit die Binnennachfrage nicht einbreche. Dabei verdrängen die Gewerkschaften wohl auch ein bisschen, dass, ihren eigenen Berechnungen zufolge, 2008 der Umsatz im Einzelhandel noch angestiegen ist. Beide Seiten scheinen zudem aus den Augen zu verlieren, dass auf Grund der niedrigen Inflation, die das statistische Amt Statec mittelfristig voraussagt, die nächste Indextranche frühestens in anderthalb Jahren fällig wird, also dann, wenn vorsichtigen Schätzungen zufolge die Wirtschaft in der Eurozone wieder ein wenig anziehen könnte.

Michel Wurth blieb demnach nach der Tripartite-Sitzung nicht viel anderes übrig, als festzustellen, dies sei keine große Sozialrunde gewesen, zu begrüßen, dass kurzfristige konjunkturelle Maßnahmen getroffen würden, und zu bedauern, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht diskutiert wurde. Jean-Claude Reding hingegen konnte sich freuen, dass eine weitere Index-Modulation und Lohnkürzungen gar nicht erst auf den Tisch kamen. Einstweilen. Denn es ist vor allem der Wahltermin, der solche, beim Wählervolk unpopulären, Maßnahmen verhindert hat. Im Herbst soll es deswegen vielleicht eine neuerliche Runde geben, weswegen die geleistete Vorarbeit, sprich das Erstellen eines Maßnahmenkatalogs nicht umsonst ge­wesen sei, so Wurth. Im Herbst könnte das Konjunkturbarometer vielleicht schon wieder nach oben zeigen, meinte Reding. Ob er damit nicht auch ein wenig optimistisch ist? Denn Jean-Claude Juncker selbst hatte vergangene Woche im Pressebriefing nach dem Regierungsrat gewarnt, das dicke Ende stünde erst in der zweiten Jahreshälfte 2009 bevor (d’Land, 27.2.2009). 

Diesen Freitag nun will Juncker das Luxemburger Konjunkturpaket in gebündelter Form vorstellen. Dabei wird er wenig Neues aus dem Hut zaubern. Dass die Regierung ihre In­vestit­ions­ausgaben um 100 Millionen Euro zusätzlich hochschrauben will, und bereits geplante Projekte zeitlich vorziehen will, freut die Unternehmer. Die Palette reicht von neuen Fahrradwegbelägen bis zum Umzug des Außenministeriums in das ehemalige Gerichtsgebäude. Auch die Anhebung der Summe, ab der ein Investitionsprojekt per Gesetz durch die Abgeordnetenkammer gestimmt werden muss, von 7,5 Millionen Euro auf letztlich 40 Millionen, dürfte die Stimmung in der darbenden Baubranche heben. Die Gewerkschaften fürchten indes, dass bei allem Aktionismus, administrative Hürden, die einen Aufschwung verzögern könn­ten, abzubauen, übers Ziel hinausgeschossen werde könnte und der Staat riskiere, die Kontrolle zu verlieren. Außerdem würden diese Maßnahmen vor allem jenen Firmen zugute kommen, die bereits jetzt an öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen. Vor allem aber fehlt es der CSL bei den Investitionsprojekten an der nachhaltigen Zukunftsplanung. Die Kritik, es handele sich dabei vor allem um eine Umverteilung von Gel­dern ist angesichts der vielen Restaurierungs- und Renovierungsaufträgen bestehender Infrastrukturen nicht ganz unberechtigt. 

Einig dürften sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter daher allein über die Vorteile der geplanten Ausweitung der Kurzarbeitbestimmungen sein. Bereits vor Wochen hatten Wirtschaftsminister Jeannot Krecké und Ar­beitsminister François Biltgen durchgesetzt, dass, obwohl Firmen zwar insgesamt nicht mehr als bisher kurzarbeiten könnten (maximal 50 Prozent der monatlichen Arbeitszeit über sechs Monate), die Referenzperiode, in der sie auf Kurzarbeit zurückgreifen können, von sechs auf zwölf Monate heraufgesetzt wurde. Nun soll auch die maximale Dauer der Kurzarbeit auf zwölf Monate verdoppelt werden. Für die betroffenen Arbeitnehmer bedeutet das aber womöglich auch einen doppelt so langen, teilweisen Lohnausfall. Deswegen soll gleichzeitig der Lohnersatz von 80 auf 90 Prozent angehoben werden – wenn die Beschäftigten eine Aus- oder Weiterbildung mitmachen. Ob die innerhalb der Firmen selbst organisiert wird, oder ob die Angestellten, wenn sie beispielsweise wissen, dass sie mehrere Wochen oder Monate nicht arbeiten werden, auf eigene Initiative Weiterbildungskurse außerhalb der Firma belegen können, wird sich erst am Freitag zeigen. Solche Arbeitnehmer, die aus der Kurz- in die Arbeitslosigkeit fallen sollen, deren Arbeitslosengeld demnach auf Basis eines Lohnes berechnet wird, der viel geringer ist als zu Zeiten, da sie eventuell Schichten und Überstunden leisteten, sollen außerdem von der Wiedereinstellungshilfe profitieren können. 

Daneben soll der von der Europäischen Union gesetzte Rahmen für die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen besser ausgenutzt werden, um beispielsweise Garantien vergeben zu können. Vor zwei Wochen bereits genehmigte die EU-Kommission Luxemburg die Möglichkeit, Unternehmen die für die nationale oder regionale Wirtschaft von Bedeutung sind, bis 2010 Beihilfen bis zu 500 000 Euro zu vergeben. Allesamt kurzfristige Maßnahmen, über die Michel Wurth sagt, es sei gut, dass man sie jetzt getroffen habe und damit nicht gewartet habe, bis auch strukturelle Reformen vereinbart seien. Bleibt abzuwarten, ob es im Herbst dann wirklich zum gro­ßen Sozialdialog kommt und Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter dann noch einmal ihre Forderungskataloge auspacken können. Und ob die neue Regierung dann ein offe­ne­res Ohr für strukturelle Reformen, in welcher Richtung auch immer, haben wird. 

Michèle Sinner
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