Frauenförderung

Freiwillig im Kriechtempo

d'Lëtzebuerger Land vom 27.10.2005

"Sei deine eigene Chefin" oder "Führungsfrauen zeigen Flagge" - Überschriften wie diese belegen: Frauen in der Wirtschaft sind im Kommen. Die Tatsache, dass eine solche Meldung im 21. Jahrhundert noch zur Schlagzeile taugt, zeigt aber zugleich, dass eine Frau als Boss längst noch keine Selbstverständlichkeit ist. Egal welche Statistik man (beziehungsweise frau) bemüht, das Bild ist überall dasselbe. Frauen sind in den Führungsetagen massiv unterrepräsentiert. Nur 22 Prozent der Direktionsposten sind von Frauen besetzt, meldet die Luxemburger Sensibilisierungskampagne für mehr Chancengleichheit - eine "weiche" Definition des Begriffs "Entscheidungsträger" macht die Ziffer möglich. Hätte das Frauenministerium bei seiner Untersuchung von 2001 allerdings die gängigere Definition - die Mitglieder der höchsten Entscheidungsgremien der jeweils 50 größten börsennotierten Unternehmen - zugrunde gelegt, sähe das Ergebnis noch viel schlechter aus. Laut einer Studie des Deutschen Wirtschaftsinstituts (DIW) nimmt Luxemburg in der EU mit drei Prozent den vorletzten Platz vor Italien ein. Am häufigsten sind Frauen in den osteuropäischen Staaten Slowenien und Lettland (jeweils 22 Prozent) Mitglieder der höchsten Entscheidungsgremien, gefolgt von Rumänien mit 21 und Norwegen mit 18 Prozent. Der Grund für die schwache Frauenpräsenz ist, das ist seit vielen Jahren bekannt, immer seltener in der Ausbildung zu finden. Die Zahl der Hochschulabsolventinnen steigt weltweit. Noch nie waren Frauen in den westlichen Nationen so gut ausgebildet wie heute. Schaut man auf die Abitur- und Diplomergebnisse, bildet Luxemburg da keine Ausnahme. Allein: die Chefetage bleibt Frauen nach wie vor weitgehend verschlossen. Daran haben auch die "actions positives", die das ehemalige Frauen- und heutige Gleichstellungsministerium im Rahmen des nationalen Beschäftigungsplans 1998 einführte, nichts geändert. Sie sollen helfen, bestehende Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern am Arbeitsplatz zu beseitigen. Dafür sei es "unerlässlich, konkrete Maßnahmen gegen bestimmte Hindernisse zu ergreifen, die Frauen am beruflichen Weiterkommen behindern", heißt es auf der ministeriellen Homepage. Plant ein Unternehmen familienfreundlichere, flexible Arbeitszeiten, will es auf verbesserte Karriere- und Weiterbildungschancen speziell für Frauen achten oder andere, der Chancengleichheit dienende innerbetriebliche Maßnahmen einführen, kann es beim Ministerium Subventionen in Höhe von um die 12 000 Euro anfragen. Die Teilnahme ist freiwillig; bisher machten 40 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen von dem Angebot Gebrauch, darunter Banken, aber auch Friseursalons und Supermärkte und - ganz neu - drei Krankenhäuser. Das Instrument beginnt sich in der Wirtschaft ganz allmählich herumzusprechen. Erschienen vor fünf Jahren auf der ersten Konferenz noch um die 50 Leute, sind es mittlerweile um die 200. Doch ob die "positiven Aktionen" geeignet sind, bestehende Diskriminierungen zwischen Männer und Frauen abzubauen, und ob sie - über einen Werbeeffekt für die teilnehmenden Firmen hinaus - wirklich dazu beitragen, dass mehr Frauen in Führungspositionen gelangen, ist bis heute nicht erwiesen. Das Gleichstellungsministerium erhebt, bevor es interessierten Unternehmen Gelder zur Verfügung stellt, in einem Fragebogen zu-nächst allerlei Daten: über die Situation von Frauen und Männern im Betrieb, die Bezahlung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und über die Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen. Auf dieser Befragung bauen die "positiven Aktionen" auf. Meist erfolgt zu Beginn eine Schulung in Gender-Fragen. Bislang gibt es jedoch keine gesicherten Erkenntnisse darüber, wie sich mit all den Maßnahmen die Situation der Frauen im Betrieb verändert. "Wir planen eine Evaluation für das nächste Jahr", verspricht Maddy Mulheims, Erste Beraterin im Chancengleichheitsministerium. Bis dahin sollen alle beteiligten Firmen ein weiteres Mal Fragen zur betrieblichen Situation beantworten - ein Vergleich mit bereits vorliegenden Daten soll dann Aufschlüsse über konkrete Auswirkungen geben.  Wissenschaftlich ist das nicht ganz einwandfrei: ein besseres oder schlechteres Abschneiden könnte genauso gut auf im Vorfeld nicht kontrollierte, externe Einflüsse zurückzuführen sein. Immerhin wird somit erstmals wenigstens versucht zu prüfen, ob das Instrument überhaupt sein Geld wert ist. Dass es Anlass für berechtigten Zweifel gibt, zeigen Erfahrungen aus dem Ausland. In Deutschland können Firmen, welche die berufliche Karriere ihrer Mitarbeiterin-nen gezielt fördern, ebenfalls staatliche Unterstützung beantragen. Viel passiert ist dennoch nicht – lediglich 6,5 Prozent aller deutschen Unternehmen hatten laut Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung bis Ende 2003 Vereinbarungen zur Gleichstellung von Frauen und Männern getroffen. Die Zahl sorgte damals für erheblichen Wirbel. Hatte doch der einstige Bundeskanzler Gerhard Schröder von ihr abhängig ge-macht, ob er nicht doch das geplante Gleichstellungsgesetz aus der Schublade holt, in die er es im Sommer 2001 mit einem Machtwort entgegen vorheriger Koalistionsabsprachen verbannt hatte. Stattdessen gab es eine zahnlose freiwillige Vereinbarung mit führenden Wirtschaftsvertretern, in der diese versicherten, den Unternehmen betriebliche Maßnahmen zur Chancengleichheit zu "empfehlen". Sollte sich bis zum Bilanzjahr 2003 noch immer nichts Positives in der Geschlechterfrage bewegt ha¬ben, hatte Schröder gesetzliche Mittel angedroht. Bei der Androhung ist es geblieben. Der Peinlichkeiten nicht genug: Drei Jahre nach Abschluss der vollmundigen Absichtserklärung stellte sich heraus, dass nicht einmal einer der wichtigsten Unterzeichner, Arbeitgeberchef Dieter Hundt, sie befolgte. Auch in Norwegen hatte die zuständige Familienministerin Laila Dåvøy zunächst auf die „freiwillige Selbstverpflichtung“ der Unternehmen vertraut. Nach dem Versprechen der Wirtschaft, den Frauenanteil in den Vorstandsräten ohne Zwang zu erhöhen, wurde ein entsprechendes Gesetz im Jahr 2001 vorläufig weggepackt. Als zwei Jahre später der weibliche Anteil immer noch bei knapp acht Prozent herumkrebste, wurde es der Christdemokratin zu bunt. Sie führte kurzerhand die Quote ein. Ihr verärgerter Kommentar dazu: Das ewige Argument, mit den Frauen ziehe die Inkompetenz in die Vorstände ein, habe sich erledigt. "Damit will bloß der Männerclub, der sich derzeit gegenseitig auf die Posten wählt, seine Ruhe haben." Dessen ungeachtet setzt in Luxemburg die Politik weiterhin auf die (Un-)Freiwilligkeit der Wirtschaft. Dabei ist hier zu Lande der Frauenanteil in den Aufsichtsräten unverändert niedrig. Gerade einmal 16 Prozent betrug er 2001. In Deutschland sind es einer aktuellen Studie des DIW zufolge derzeit rund zehn Prozent. Beim Spitzenreiter USA liegt der Anteil bei 17,5 Prozent, in Frankreich bei 7,2. Dass Deutschland nicht noch schlechter abschneidet, hat einen simplen Grund: Die Mitbestimmung von Arbeitnehmern im Aufsichtsrat deutscher Unternehmen ist gesetzlich geregelt. Das entsprechende Gesetz schreibt vor, dass "unter den Aufsichtsratsmitgliedern der Arbeitnehmer Frauen und Männer entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis im Unternehmen vertreten sein" sollen. Die Erfahrungen mit der politischen Partizipation von Frauen lehrt ebenfalls, dass Chancengleichheit ohne Zwang nur extrem langsam vonstatten geht - wenn überhaupt. Dass speziell auf kommunaler Ebene die Frauen langsam in die Politik vordringen, führen Frauenorganisationen wie der na¬tionale Frauenrat auf die von immer mehr Parteien angewandte Quotierung der Listen zurück. Den Erfolg der parteipolitischen Frauenquote streitet selbst die christlich-soziale Chancengleichheitsministerin Marie-Josée Jacobs nicht ab. Offensichtlich aber traut sich dieselbe Partei, die ihre Listen mit 30 Prozent quotiert, weiterhin nicht an ihr mächtigstes Wählerklientel, die Wirtschaft, heran. Statt die Interessen von Frauen energisch voranzutreiben und dabei auch unpopuläre Maßnahmen nicht zu scheuen, wird lieber über fehlende Unterstützung für Gleichstellungsfragen oder zu wenig Personal für die "actions positives" geklagt - als könnte es jemals genügend Betreuerinnen und Subventionen für die mehreren tausend luxemburgischen Unternehmen geben. Maddy Mulheims weist auf "kulturelle" Widerstände in der luxemburgischen Gesellschaft hin. Diese sei für Frauenquoten noch nicht bereit, argumentiert sie gemeinsam mit der zuständigen Koordinatorin für die "actions positives", Isabelle Wickler. Abgesehen davon, dass nicht einzusehen ist, warum ausgerechnet bei der politischen Quote die "kulturelle Einstellung" eine andere sein sollte als bei einer beruflichen, haben die beiden aber nicht ganz unrecht. Die wenigen Frauen in Luxemburg, die es geschafft haben und die Karriereleiter ein Stück nach oben geklettert sind, erweisen sich zu einem großen Teil als erklärte Quotengegnerinnen. Da werden im Interview auch mal gerne Quoten als "unberechtigt" denunziert und mit fehlender Professionalität gleichgesetzt, ein typisches, häufig von Männern vorgebrachtes Gegenargument, das überdies gar nicht zutrifft. Denn die wenigen Gleichstellungsgesetze mit Einstellungsquoten, die es weltweit gibt, haben allesamt eines gemeinsam: Die Quote ist fest an das Kriterium Qualifikation gebunden. Bewerberinnen auf deutsche Hochschulstellen müssen zunächst einmal die in der Stellenbeschreibung gewünschten Fertigkeiten haben; schon wegen des europaweiten Diskriminierungsverbots, aufgrund dessen bereits mehrere Männer gegen vermeintlich ungerechtfertigte Einstellungen und "Bevorteiligungen" weiblicher Kontrahenten vorgegangen sind. Das Klischee der mitleidig belächelten Quotenfrau hält sich trotzdem hartnäckig, so können sich machtgierige Männer (und Frauen) unerwünschte Konkurrenz vom Leib halten. Selbst einige Politiker haben offenbar das Prinzip der demokratischen Partizipation als Menschenrecht noch nicht verinnerlicht  - wie sonst lässt sich erklären, dass Luxemburg das einzige Land in der EU ist, das den Gleichstellungsgrundsatz noch immer nicht in der Verfassung verankert hat? Es waren in erster Linie die Liberalen, die seine Einführung im vergangenen Jahr verhinderten. Mittlerweile gibt es eine neue Regierung, da finden sich vielleicht neue Mehrheiten. Für das kommende Jahr ist zudem die Einführung eines Chancengerechtigkeitsplan vorgesehen. Das wäre eine weitere Gelegenheit, die Wirtschaft zu mehr Gleichstellung zu verpflichten und die ansonsten eher blamable Bilanz Luxemburgs in Gleichstellungsfragen etwas aufzupolieren. In dem Plan könnte das zuständige Ministerium auch gleich konkrete Fristen benennen, bis wann hiesige Unternehmen welche Erfolge in Sachen Chancengerechtigkeit nachweisen müssen, und welche Sanktionen Firmen riskieren, die sich weiterhin aus ihrer Verantwortung stehlen wollen. Wenn das Ministerium das denn überhaupt will.

Ines Kurschat
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