Mayer, Karin; Huth, Lisa: Steinreich

Holzstoffliteratur

d'Lëtzebuerger Land du 09.09.2010

Um sich an Geschichten über Superhelden wie Spiderman, Wolverine oder Hulk zu erfreuen, muss der Leser eine grundlegende Voraussetzung erfüllen: Er muss bereit sein, die wundersame Ausnahme zu akzeptieren, dass zum Beispiel jemand, der von einer Spinne gebissen wurde, auf einmal in der Lage ist, Wände hochzuklettern, oder dass eine genetische Mutation zu superschneller spontaner Selbstheilung befähigt, oder dass die Kombination von Wut und radioaktiver Verstrahlung einen Menschen zu einem gemeingefährlichen grünen Muskelberg anschwellen lassen kann, usw. usw. Wer sich auf derartige Sensationen nicht einlassen will, und sei es nur für die Zwecke der Unterhaltung, ist für die Schundliteratur leider rettungslos verloren.

In dem bei Editions Schortgen publizierten Krimi Steinreich kommen keine Figuren mit Superkräften vor. Die beiden Autorinnen, Karin Mayer und Lisa Huth, die selbst Journalistinnen sind und beim Saarländischen Rundfunk arbeiten, erzählen in diesem Buch, wie zwei Journalistinnen der Unterschlagung von mehreren Millionen Euro auf Kosten der saarländischen Staatskasse auf die Schliche kommen. Drahtzieher bei diesen kriminellen Machenschaften sind der Ministerpräsident des Saarlands, ein Bankdirektor und ein Immobilienmakler, drei Freunde aus Schulzeiten, die sich aufgrund ihrer alliterierenden Vornamen (Alfons, Alexander, Armin) „A-Trio“ nennen. Allerdings besteht auch über diesen etwas dümmlich anmutenden Namen keine Beziehung zur amerikanischen Populärkultur; die Referenz auf George Peppard und Konsorten ist offenbar nicht beabsichtigt.

Die Intrige des Romans lautet wie folgt: Das „A-Trio“ hat in Paris ein saarländisches Kulturzentrum ver­kauft und der Staatskasse nicht den vollen Erlös zugeführt. Die Journalistinnen Ruth und Solveig bekommen Wind von dem Millionendeal und machen sich daran, die Schuldigen per Zeitungsartikel zu entlarven, was ihnen am Ende auch gelingt. Dazwischen kommen ein künstlerisch ambitionierter Killer vor, Machtmenschen, die Affären haben, Kunst sammeln und Porsche fahren, Leichen, Sex, Mobbing am Arbeitsplatz, eine Ehekrise. Da man von Anfang an weiß, wer die Täter sind und was sie umtreibt, liest sich das zügig und ohne größere intellektuelle oder emotionale Anstrengung; die Lektüre ist kurzweilig und alles in allem unterhaltsam. Mit Ruth und Solveig begegnen dem Leser zwei überaus sympathische Protagonistinnen, von denen er dank des fröhlichen Plaudertons der Autorinnen zu keinem Zeitpunkt befürchten muss, dass ihnen bei ihren Ermittlungen ernstlich etwas zustoßen könnte.

Es gibt also einige Gründe, Steinreich nicht nur zur Lektüre, sondern auch zur Nachahmung für einheimische Autoren zu empfehlen: Die Figuren sind zwar etwas plakativ, aber glaubhaft genug gezeichnet, die Geschichte wirkt im Kern plausibel und bleibt trotz Wissensvorsprung des Lesers spannend bis zum Schluss. Mit welch diebischer Freude würde man außerdem einen in Luxemburg spielenden Krimi lesen, bei dem ein (natürlich fiktiver) Premierminister mit einem (ebenso fiktiven) Bankdirektor und/oder Immobilienmakler in (selbstverständlich fiktive) kriminelle Machenschaften verstrickt wäre!

Man wäre glatt versucht, Steinreich zu einem der besten Krimis zu küren, die dieses Jahr von einem Luxemburger Verlag publiziert wurden, gäbe es da nicht diesen einen Haken, die dann doch zu schluckende wundersame Ausnahme, die der Leser akzeptieren muss, wenn er in die Fiktion dieses Buches eintreten will: Das Deutsch, in dem Steinreich gehalten ist, klingt zwar wie (zwar regional eingefärbtes) Deutsch, wird aber mit hartnäckiger Regelmäßigkeit ganz anders geschrieben. Höfliche Anreden stehen mal mit großem, mal mit kleinem Anfangsbuchstaben, mal heißt es „zu Recht“, mal „zu recht“, mal „zurecht“, Getrennt- und Zusammenschreibung sind ein einziges Wirrsal und fehlende Buchstaben, falsche Kommasetzung und ähnliche kleine Ärgernisse legen den Verdacht nahe, dass – wie leider so oft im luxemburgischen Verlagswesen – die ungenügende Hilfe eines elektronischen Korrekturprogramms einem Korrekturleser vorgezogen wurde.

Das ist keine Frage des Stils. Wenn in Krimis die Geliebte „Ische“ genannt wird oder ein Temperament hat „wie ein Vulkan“, wenn sich jemand lieber „rumdreht“ als „herumdreht“ und Sexszenen mit pornographischer Genauigkeit geschildert werden, ohne dass daraus ein kompositorischer Mehrwert entstünde, kann das alles zur Schaffung einer bestimmten, dem Genre angemessenen Atmosphäre beitragen. Die flotte und freche Schreibe von Mayer und Huth macht sogar einen beträchtlichen Teil des Lesevergnügens aus.

Krimis wie Steinreich werden heute nicht mehr auf Papier mit hohem Holzstoffanteil (engl. „pulp“) gedruckt. Was einmal eine Qualität des Materials war, scheint sich irgendwie in die Sprache zurückgezogen zu haben.

Karin Mayer, Lisa Huth: Steinreich. Editions Schortgen 2010. ISBN 978-2-87953-088-8.
Elise Schmit
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