Bei den Wahlen im Oktober treten zwei Dutzend Kandidat/innen aus der ex-jugoslawischen Diaspora an. Obwohl die gemeinsame Herkunft sie verbindet, sind ihre Anschauungen und Überzeugungen doch sehr unterschiedlich

Die zweite Generation

Amela Skenderovic , DP-Kandidatin im Südbezirk
Foto: Olivier Halmes
d'Lëtzebuerger Land vom 01.09.2023

Meris Sehovic Meris Sehovic wurde 1991 in Belgrad geboren. Kurze Zeit später wanderte seine Familie nach Luxemburg aus. Erst flüchtete der Vater, der serbischer Abstammung ist, etwas später zog die Mutter, die ursprünglich aus der Ukraine stammt, mit ihrem Sohn nach. Sie kamen in eine Notunterkunft in Esch/Alzette, danach in ein Flüchtlingsheim in Howald, von dort aus zogen sie nach Hesperingen, um sich schließlich an der Mosel in Manternach niederzulassen. Die beiden jüngeren Geschwister von Meris Sehovic kamen in Luxemburg zur Welt. Nach dem Abitur studierte er Politikwissenschaften in München, trat den Grünen bei und arbeitete für den damaligen EU-Abgeordneten und heutigen Energieminister Claude Turmes. Er kandidierte 2013 und 2018 erfolglos bei den Kammerwahlen, 2019 wurde er bei den Europawahlen hinter Tilly Metz Zweiter, im Juli 2020 übernahm er mit Djuna Bernard den Parteivorsitz. Vor zwei Jahren zog Meris Sehovic wieder nach Esch/Alzette, um bei den Gemeindewahlen anzutreten. Obwohl seine Partei im Juni einen Sitz verlor, wurde der heute 31-Jährige Mitte Juli als Schöffe in Esch/Alzette vereidigt. Für die Kammerwahlen im Oktober ist er neben Umweltministerin Joëlle Welfring Spitzenkandidat im Südbezirk.

Meris Sehovic ist wohl der bekannteste, doch 30 Jahre nach dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien haben auch andere Nachkommen von Einwanderern aus der ehemaligen sozialistischen Republik bei den Gemeindewahlen kandidiert und ein Mandat errungen. In Rümelingen haben es Elvedin Muhovic und Jimmy Skenderovic (beide LSAP), in Schifflingen Rizo Agovic (LSAP) und in Wiltz Amel Cosic (DP) in den Schöffenrat geschafft. Rizo Agovic war schon 2017 in den Schifflinger Gemeinderat gewählt worden, Jimmy Skenderovic 2020 in Rümelingen nachgerückt. Rizo Agovics Schwester Enesa kam in Esch/Alzette auf Anhieb in den Gemeinderat. Admir Civovic holte erstmals einen Sitz für Déi Lénk in Schifflingen; sein Bruder Aldin, der eigentlich Erstgewählter war, musste verzichten, weil er bei der Gemeinde angestellt ist. Im Oktober kandidiert er aber bei den Kammerwahlen. In Differdingen wurde Emina Ceman auf der CSV-Liste in den Gemeinderat gewählt. Viele andere Kandidat/innen haben den Einzug in den Gemeinderat nur knapp verpasst.

Noch nie zuvor hatten so viele Angehörige der ex-jugoslawischen Gemeinschaft bei Wahlen kandidiert – für die meisten von ihnen war es das erste Mal. Viele dürfen nun auch für ihre jeweiligen Parteien bei den Kammerwahlen antreten. Fast zwei Dutzend Kandidat/innen mit einem ex-jugoslawischen Nachnamen finden sich auf den Listen wieder, die meisten davon im Südbezirk. Kaum eine Partei kann oder will noch auf sie verzichten. Überraschend ist das nicht, denn viele aus der zweiten Generation dieser Diaspora haben auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen den sozialen Aufstieg geschafft – insbesondere im Fußball.

Wissenschaftliche Studien zu ihrer Migrationsgeschichte gibt es bislang kaum. Die Historikerin Alma Sabotic, die sich in einer rezent an der Uni Luxemburg abgelegten Masterarbeit mit der Arbeitsmigration aus Jugoslawien befasst hat, spricht gegenüber dem Land von drei „Einwanderungswellen“. Die ersten Jugoslawen kamen bereits Anfang der 1970-er Jahre, nachdem die luxemburgische Regierung 1972 ein Abkommen zur Aufnahme von Arbeitsmigranten mit der sozialistischen Republik von Josip Broz Tito abgeschlossen hatte. Anders als in dem (ebenfalls 1972) mit Portugal vereinbarten Abkommen, sah das mit Jugoslawien den Familiennachzug nicht ausdrücklich vor, sodass Männer häufig alleine kamen und mit ihren Familien im Herkunftsland transnationale Beziehungen führten, die oft problematisch gewesen seien, fand Alma Sabotic im Gespräch mit Mitgliedern der Diaspora heraus. Luxemburg habe damals nicht nur an einem Arbeitskräftemangel, sondern auch an einem demografischen Mangel gelitten: „Aufgrund der kulturellen Ähnlichkeit sollte die portugiesische Arbeitsmigration an erster Stelle dem Arbeitskräftemangel entgegenwirken und an zweiter Stelle dem Bevölkerungsrückgang, während die jugoslawische Arbeitsmigration hauptsächlich der Konjunktur[schwäche] des Landes entgegenwirken sollte“, schreibt die Historikerin.

Unerforscht Unseres Wissens nach bislang gänzlich unerforscht sind die Flüchtlingsbewegungen nach Luxemburg, die in der ersten Hälfte der 1990-er Jahre infolge des Bosnien-Krieges und um 1999 wegen des Kosovo-Krieges erfolgten. Die Einwanderungszahlen des Statec zeigen, dass Ende der 1980-er Jahre immer mehr Menschen aus Jugoslawien und Bosnien kamen, 1992 erreichten sie mit über 1 000 ihren vorläufigen Höhepunkt, pendelten sich anschließend bei rund 300 jährlich ein, um 1998 und 1999 erneut auf über 1 000 beziehungsweise über 1 500 zu steigen und nach der Jahrtausendwende wieder auf unter 500 zu sinken. In Luxemburg wurden sie nicht nur wohlwollend empfangen. Die rechtsextreme National Bewegong machte Stimmung gegen sie, im November 1999 ließ der damalige Polizeiminister Luc Frieden (CSV) in einer Polizeiaktion rund ein Dutzend Erwachsene und zwei Dutzend Kinder aus Montenegro und Kosovo abschieben. Bis heute kommen jährlich 200 bis 300 Menschen aus Bosnien und Herzegowina und Montenegro nach Luxemburg, nur wenige kehren in ihr Herkunftsland zurück.

Wie groß die ex-jugoslawische Diaspora inzwischen tatsächlich ist, ist schwer zu sagen, viele Angehörige haben die luxemburgische oder die doppelte Staatsbürgerschaft angenommen. In seiner Volkszählung hat das Statec herausgefunden, dass vergangenes Jahr rund 2 700 Luxemburger/innen die montenegrinische, 1 400 die bosnisch-herzegowinische, 1 200 die serbische und 845 die kosovarische Staatsbürgerschaft als zweite Nationalität hatten. Viele hätten den Pass bei der ersten Gelegenheit wegen der europäischen Unionsbürgerschaft angenommen, die viele Vorteile biete, heißt es aus der Community. Alma Sabotic schreibt in ihrer Masterarbeit, die Montenegriner/innen seien heute die bevölkerungsmäßig stärkste Gruppe des ehemaligen Jugoslawiens in Luxemburg. Eine besonders große Gemeinschaft bildeten die Montenegriner aus der Region Bihor, eine Gebirgsregion im nordöstlichen Montenegro. Bei dieser Gruppe handelt es sich in Bezug auf ihre ethnische Identität vor allem um muslimische Bosniaken, die vor „ethnischen Säuberungen“ (wie dem Massaker von Srebrenica) oder anderen Kriegsverbrechen durch serbische Nationalisten während oder bereits vor Beginn des Bosnienkriegs geflüchtet sind.

Obwohl diese Gemeinschaft in ihrer Zusammensetzung und in ihren politischen Überzeugungen äußerst heterogen ist, gibt es doch auch viele verbindende Elemente. Die gemeinsame Herkunft; bei vielen die Fluchterfahrung; die ethnische Identität, die in kulturellen, religiösen, folkloristischen oder Sportvereinen, auf Festen, in Cafés oder Restaurants gelebt wird. Einige fühlen sich der Tradition mehr verpflichtet als andere, wie die folgenden Kurzporträts zeigen.

Enesa Agovic Enesa Agovic (35) wurde am 11. Juni auf der LSAP-Liste in den Escher Gemeinderat gewählt. Bei ihrer ersten Kandidatur belegte sie gleich den dritten Platz. Im Oktober wird sie auch bei den Kammerwahlen kandidieren. Für die LSAP hat sie sich nicht zuletzt entschieden, weil ihr älterer Bruder Rizo bereits für die Sozialisten im Schifflinger Gemeinderat saß. Auch die Grünen wollten sie auf ihrer Liste. 1992 kam Enesa Agovic mit ihren Eltern und Geschwistern aus dem heutigen Montenegro über Mainz nach Luxemburg. Ihre erste Station war das Hotel Alfa am hauptstädtischen Bahnhof, wo damals Geflüchtete aus dem Balkan notuntergebracht waren. Danach zogen sie in ein Flüchtlingsheim nach Eisenborn, später kamen sie in ein Pfarrhaus in Beckerich. Nachdem ihr Vater, der in Montenegro als Sekundarschullehrer tätig war und in Luxemburg als Bauarbeiter begonnen hatte, eine Anstellung bei der Gemeinde Strassen erhielt, konnten sie sich ein eigenes Apartment in Schifflingen leisten. Ihre Mutter, die Jura studiert hatte, kümmerte sich um den Nachwuchs und arbeitete als Reinigungskraft. Die Eltern legten viel Wert darauf, dass ihre Kinder sich in der Schule Mühe gaben und das Abitur schafften; Druck, eine akademische Laufbahn einzuschlagen, hätten sie jedoch nie ausgeübt, erzählt Enesa Agovic im Gespräch mit dem Land. Als Kind sang und tanzte sie in einer montenegrinischen Folkloregruppe, die ihr Vater mitgegründet hatte, und war Mitglied in einem Turnverein. Sie erinnert sich gerne an die Gastfreundlichkeit und die Hilfsbereitschaft der Luxemburger/innen, die ihrer Familie damals viel geholfen hätten. Diskriminierungserfahrungen habe sie erst gemacht, als sie in Esch aufs Gymnasium ging. In der Septième habe ein Lehrer ihr und ihrem Zwillingsbruder vorausgesagt, weil sie Ausländer seien, würden sie das Abitur nicht bestehen.

Doch Enesa Agovic bestand nicht nur ihr Abitur, sondern schloss auch ihr Studium in Germanistik ab und ist heute Deutschlehrerin am Lycée Hubert Clément. Mit ihrem Mann, einem Architekten, der auch aus Montenegro stammt und in Italien aufgewachsen ist, sowie ihrer gemeinsamen Tochter, wohnt sie in einem Einfamilienhaus im Escher Stadtzentrum. Besonders religiös seien sie nicht, doch am Ende des Ramadan veranstalteten sie eine große Familienfeier: „Wie die Luxemburger an Weihnachten“, sagt Enesa Agovic. Die Vertreibung aus der Heimat sei nicht einfach gewesen, die gemeinsame Erfahrung habe die Menschen zusammengeschweißt. „Sie hat uns bewusst gemacht, welche Chancen und Möglichkeiten wir in Luxemburg haben, und wir haben sie auch genutzt.“ Politik sei der Bereich, in dem sie noch mehr bewirken könne, einerseits für ihre Gemeinschaft und andererseits als Frau für ihre Tochter, die als Luxemburgerin keinen Bezug mehr zu Montenegro habe. Als Lehrerin beobachte sie, dass die Religiosität in der Gemeinschaft in den letzten Jahren zugenommen habe. Freunde von früher würden heute zur Moschee gehen, Schülerinnen würden Kopftuch tragen, was in ihrer Jugend nicht üblich gewesen sei.

Amela Skenderovic Zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen gelangt Amela Skenderovic (27), Englischlehrerin an der École de Commerce et de Gestion und DP-Kandidatin im Südbezirk. Bei den Gemeindewahlen belegte sie bei ihrer ersten Kandidatur in Esch/Alzette hinter Pim Knaff und Daliah Scholl den dritten Platz und verpasste den Einzug in den Gemeinderat nur knapp. Genau wie Enesa Agovic führt auch sie ihr gutes Resultat teilweise auf den „vote communautaire“ der ex-jugoslawischen Wählerschaft zurück. Als Lehrerinnen sind beide Frauen aber auch außerhalb dieser Gemeinschaft bekannt. Amela Skenderovic ist zudem zivilgesellschaftlich engagiert bei der British-Luxembourg Society und beim Srebrenica Genocide Committee Luxembourg, in ihrer Freizeit schreibt sie Texte. Sie definiert sich explizit als liberale Bosniakerin: Einerseits ärgert es sie, dass Anfang Juli auf Facebook ein Shitstorm (vorwiegend von reaktionären Luxemburger/innen) entstand, als die muslimische Gemeinschaft in Esch das Trainingsfeld der Jeunesse anmietete, um ein Morgengebet abzuhalten; gleichzeitig verteidigt sie die Rechte der LGBTIQ+-Community und postete mit Parteifreund/innen ein Bild von der Luxembourg Pride, wofür sie von reaktionären Bosniaken kritisiert wurde.

Amela Skenderovic wurde in Luxemburg geboren, ihre Eltern kamen Anfang der 1990-er getrennt und haben sich erst hier kennengelernt. Beide hätten hart gearbeitet, um sich eine Zukunft aufzubauen; heute sei ihr Vater in einer Baufirma tätig, ihre Mutter sei Hausfrau, ihr Leben sei inzwischen „relativ komfortabel“, erzählt Amela Skenderovic. Nach ihrem Abitur im LGE hat sie in London studiert, in ihrer Gemeinschaft werde extrem viel Wert auf Bildung und Karriere gelegt, was sicherlich mit dazu beigetragen habe, dass sie sich politisch engagiert. In der DP will sie sich dafür einsetzen, die Rhetorik zu überwinden, die Bosniaken seien ein „Arbeitervolk“. Viele Mitglieder der Community seien inzwischen erfolgreiche Unternehmer oder hätten sich als Handwerker selbständig gemacht. Die Möglichkeiten, die Luxemburg ihnen eröffnet hat, hätten sie genutzt, unterstreicht auch Amela Skenderovic.

Danira Mustafic Eine ähnliche Motivation für ihr politisches Engagement führt Danira Mustafic (33) an, die im November für die CSV im Zentrum kandidiert. Allerdings schätzt sie die Situation der Diaspora etwas anders ein. Bosnier seien ganz gute Handwerker, doch ihnen fehle oft das Selbstvertrauen, der „kapitalistische Drang“, den es brauche, um sich als Unternehmer selbstständig zu machen oder ihr Business zu vergrößern. Als Politikerin möchte sie ihnen unter die Arme greifen. Und sie möchte die Sprachensituation in den Schulen vereinfachen, damit Kinder von Migrant/innen es künftig leichter haben. Bei den Gemeindewahlen war die Anwältin mit einer Spezialisierung in Sportrecht noch nicht dabei, doch Spitzenkandidat Luc Frieden höchstpersönlich hat Danira Mustafic davon überzeugt, sich der CSV anzuschließen. Laurent Mosar und Elisabeth Margue kennt die Bonnewegerin (die heute in Gasperich wohnt) schon länger, sodass ihr die Entscheidung nicht schwer fiel. Danira Mustafic wurde 1989 in Bosnien geboren, ihre Eltern entschieden sich in weiser Voraussicht schon vor Ausbruch des Krieges nach Luxemburg auszuwandern. Ihr Vater war semi-professioneller Fußballspieler und wechselte zu einem luxemburgischen Verein, der ihm einen Job besorgte. Ihr Abitur absolvierte das „Stater Meedchen“ im Kolléisch, sie spielte Volleyball beim CS Gym, später studierte sie Jura in Montpellier. Seit sieben Jahren ist sie als Anwältin tätig, seit 2021 in der Kanzlei Brucher, Thieltgen & Partners. Sie ist Vorstandsmitglied beim Jeune Barreau und im Verwaltungsbüro des olympischen Kommittees COSL. Danira Mustafic hat zwar die bosnische und die luxemburgische Nationalität, „im Herzen bin ich aber Luxemburgerin“, betont sie im Gespräch mit dem Land. Verbindungen zur ex-jugoslawischen Gemeinschaft habe sie vor allem in ihrer Kindheit gehabt, heute seien fast alle ihre Freunde Luxemburger/innen. Religiös sei sie nicht und sie besuche auch keine Moschee.

Dejvid Ramdedovic Darin unterscheidet sie sich grundsätzlich von Dejvid Ramdedovic (44), der wie sie CSV-Mitglied ist und im Juni den Einzug in den Escher Gemeinderat nur knapp verpasste. Sollte Bürgermeister Georges Mischo nach den Nationalwahlen Sportminister werden oder der 67-jährige Schöffe André Zwally nach drei Jahren aufhören, wäre er der erste Nachrücker. Vielleicht wird Dejvid Ramdedovic aber schon im Oktober in die Abgeordnetenkammer gewählt. Er ist tief verwurzelt in der bosniakischen Gemeinschaft, ist engagiert im religiösen Kulturverein Islamski Centar Gazi Isa-beg, der einen Gebetsraum am Boulevard J.F. Kennedy in Esch betreibt, und war von 2015 bis 2022 Mitglied im Vorstand der Shoura, in der die Bosniaken in der Mehrheit sind. Dejvid Ramdedovic kam 1991 im Alter von elf Jahren aus Montenegro nach Esch, die Sprachensituation bereitete ihm Schwierigkeiten, mit zwölf Jahren kam er in die berüchtigte „Gring Schoul“ (préparatoire) und absolvierte schließlich seinen Abschluss in Belgien. Er kämpfte sich durch, studierte in Serbien, arbeitete als Sicherheitsagent in Banken und Finanzunternehmen. 2007 begann er als Kreditanalyst bei John Zink, 2019 holte er eine Zusatzausbildung als Buchhalter nach und machte sich vor zwei Jahren selbständig. Im Gegensatz zu den anderen Kandidat/innen, mit denen wir uns unterhalten haben, spricht er kein Luxemburgisch, in seinem Beruf habe er es nie gebraucht. Das traditionelle (patriarchalisch geprägte) Familienmodell hält er eigenen Angaben zufolge hoch, die Religion lehre aber, alle Lebensweisen zu respektieren, ob man sie nun gut finde oder nicht, sagt Dejvid Ramdedovic, der für eine Öffnung der Moscheen plädiert. Der CSV habe er sich angeschlossen, weil er Jean-Claude Juncker bewundere, aber auch weil er André Zwally vom Fußball bei der Jeunesse kennt und Christian Weis aus seiner Kindheit im Brill. Gemeinderat Bruno Cavaleiro, der ebenfalls in der Finanzberatung tätig ist, habe ihn schließlich für die CSV rekrutiert.

Alija Suljic Mit der CSV hat Alija Suljic (27) aus Kopstal nichts zu tun. Er wird im Oktober erstmals für Déi Lénk kandidieren, für die er seit zwei Monaten als Social-Media-Koordinator arbeitet. Seine Eltern kamen Anfang der 1990-er Jahre vor Kriegsbeginn aus Bosnien nach Luxemburg, wo er 1996 geboren wurde. Aufgewachsen ist Alija Suljic im „ländlichen Raum“ in Hobscheid, ging in Eischen zur Schule, danach machte er sein Abitur im Lycée Michel Rodange und studierte Geschichte in Bonn. Während seiner Studienzeit trat er der Linken bei, ohne aber ernsthaft politisch aktiv zu sein. Auf ihn aufmerksam wurde die Parteileitung wegen seines Twitter-Accounts „al jazeera éislek“, in dem er die politische Aktualität und die luxemburgische Gesellschaft mit kurzen, pointierten Kommentaren analysiert. In religiösen Kulturvereinen war er als Kind aktiv, heute jedoch nicht mehr. Der ex-jugoslawischen Gemeinschaft in Luxemburg fühlt er sich verbunden, sie sei ein wichtiger Teil seiner Identität, aber nicht der zentrale Pfeiler.

Jimmy Skenderovic Jimmy Skenderovic (37), dessen politische Karriere bereits vor über zehn Jahren als Generalsekretär der Jungsozialisten begann, kann die Verbundenheit mit der Community zwar nachvollziehen, möchte jedoch nicht zu sehr mit ihr in Verbindung gebracht werden. Er selbst sei laizistisch aufgewachsen, sein politisches Engagement richte er nicht nach seiner Herkunft, sondern nach seinen politischen Überzeugungen aus, sagt der Rümelinger Schöffe, der hauptberuflich als Attaché im Umweltministerium tätig ist. Seine Onkel und Großonkel kamen im Zuge der Arbeitsmigration in den 1960-er und 1970-er Jahren nach Luxemburg, seine Eltern zogen in den 1980-er Jahren nach. Er habe Verwandte auch in anderen europäischen Ländern, manche hätten durch Heirat oder aus anderen Gründen ihren Familiennamen geändert und seien inzwischen nicht mehr als Ex-Jugoslawen identifizierbar. Auf den vote communautaire will er sich jedenfalls nicht verlassen, manche Mitglieder der Gemeinschaft hätten ihm schon zu verstehen gegeben, dass sie eine andere Partei wählten, weil die LSAP in Rümelingen ihre Straße nicht erneuert oder einen Verwandten nicht bei der Gemeindeverwaltung eingestellt habe. Er möchte mit seiner Politik alle Wähler/innen ansprechen und alle gleich behandeln.

Auch Meris Sehovic wirft einen differenzierten, weniger emotionalen Blick auf die „relativ heterogene Community“; bisweilen zweifelt er sogar daran, dass es „die eine“ Community überhaupt gibt. Sein Name klinge zwar jugoslawisch, doch seine Heimat sei Luxemburg. An Belgrad, wo er geboren wurde, habe er keine Erinnerung. Wenn er mit seinen Eltern nach Serbien in den Urlaub fuhr, seien sie als „die aus dem Westen“ bezeichnet worden. Viele von denen, die dort geblieben seien, hätten inzwischen zwar auch einen Uniabschluss, doch längst nicht dieselben Perspektiven, die er und andere Einwanderer hier hätten. Sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer Hinsicht.

Luc Laboulle
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