Nach 40 Jahren Frauenbewegung und 20 Jahren Institutionalisierung hat die Sinnkrise nun auch Luxemburgs Feministinnen erreicht

Auf der Couch

d'Lëtzebuerger Land vom 12.10.2012

„Unsere Forderungen wurden umgedreht, wir waren angetreten, die Herrschaftsverhältnisse zu verändern“, sagte Flo Weimerskirch energisch. Sie gehört zu den Pionierinnen der Luxemburger Frauenbewegung. „Können wir uns die Dichotomie noch leisten?“, fragte dagegen Magda Orlander, Präsidentin der Schülervertretung CNEL. Beide, die Junge und die Ältere, waren am Montag ins Hollericher Exit07 gekommen, um mit dem Cid-femmes und der Monatszeitschrift Forum über den Zustand des Feminismus zu diskutieren.
Auf Ledersofas hatten es sich bequem gemacht: Colette Kutten, Präsidentin des Nationalen Frauenrats und Mitbegründerin des Cid-femmes, Bady Minck, Filmproduzentin und radikale Aktivistin in den 1980-ern. Die jüngere Generation vertraten die Gewerkschaftssekretärin Nora Back vom OGBL und die Politikstudentin Stella Gaertner, in der Hamburger autonomen Frauenbewegung aktiv. Und, last but not least, Francis Spautz, Psychologe und Leiter der frisch gegründeten Män-nerinformationsstelle Infomann.
Der Feminismus auf der Couch. Aber wer hat ihn dahin gesetzt? Waren es Männer wie der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser, der als erklärter Antifeminist mit seinem damaligen Männerverein AHL (Ex-Hodilux) Luxemburgs Feministinnen früh den Kampf angesagt hatte? Oder plagt Feministinnen eine Midlifecrisis, typisch für 40-Jährige, ausgelöst durch Chancengleichstellungsministerin Françoise Hetto-Gaasch, die jüngst erklärte, Männern und ihren Problemen mehr Raum geben zu wollen? Der CSV-Politikerin war aufgefallen, dass 88,2 Prozent ihres Etats in Konventionen mit Frauenhäusern fließen (Aprospos: Wie geschlechtergerecht ist der Verteidigungshaushalt?).
Die Feministinnen plagen also Zweifel. Dabei, das stellte Colette Kutten gleich zu Beginn fest, haben sie einiges erreicht: Dass Frauen in Luxemburg ab 1972 ihr eigenes Konto aufmachen konnten, ohne Unterschrift des Ehemanns, war einer kämpferischen Gruppe von Frauen (und einigen Politikern) zu verdanken. Ein neuer Mutterschutz, Frauenhäuser und ein überarbeitetes Eherecht folgten. Gut, an einer Entkriminalisierung der Abtreibung beißen sich Feministinnen im katholischen Luxemburg weiter die Zähne aus. Aber heutzutage hat fast jede Partei eine Frauenquote. An der Uni und im Beruf haben Frauen mächtig aufgeholt. Die Erwerbstätigkeit liegt mit rund 62 Prozent so hoch wie nie. Die Gleichberechtigung ist seit 2006 ein Grundrecht. Welche neuere Bewegung kann sich, außer vielleicht die Umweltbewegung, so viele Erfolge auf die Fahnen schreiben? Forderungen nach Gleichberechtigung gehören zum Mainstream, kein Wahlprogramm ohne ein Kapitel zur Gleichberechtigung. Selbst konservative Parteien beteuern heute, Diskriminierungen abbauen zu wollen, und sind gezwungen, auf die Vereinbarkeitsfrage einzugehen, sowie neue Lebensformen wie Alleinerziehende, Lesben und Schwule zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Ja, so die einhellige Meinung der Frauen auf dem Podium, der Feminismus ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Aber warum dann die Sinnkrise? Ist er ausgezehrt vom Marsch durch die Institutionen?, wollte ForumModerator Jürgen Stoldt wissen. Dass die Institu-tionalisierung Kräfte gebunden hat und Radikalität untergräbt, gab Colette Kutten zu. Bady Minck erinnerte an wilde Zeiten, als Frauen noch Stinkbomben in sexistische Filmvorführungen warfen. Dass Frauen 1992 ein Zentrum bezogen, das vom Staat finanziert wird, war für viele Frauen kein Widerspruch, sondern logische Konsequenz der Forderung, feministische Belange sichtbar zu machen und in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Eine autonome Frauenbewegung hat es im konservativen Luxemburg nie gegeben. In dieselbe Logik reihte sich die Forderung nach einem Frauenministerium ein. Das 1995 kam – mit einer katholischen Krankenschwester an der Spitze, die ein Frauenzentrum noch nie von innen gesehen hatte. Und trotzdem gilt das von CSV-Frauenministerin Marie-Josée Jacobs vorangetriebene Gesetz zur häuslichen Gewalt bei seiner Einführung als eines der fortschrittlichsten in Europa. Als sie nicht mehr Frauenministerin war, setzte Jacobs als Familienministerin weiter geschlechterpolitische Akzente: Unter ihr wurden Kinderbetreuungsstrukturen massiv ausgebaut, Voraussetzung dafür, dass mehr Frauen arbeiten gehen konnten.
Die gestiegene Erwerbstätigkeit von Frauen hatte allerdings ihren Preis, wie eine Zwischenruferin im Exit07 enttäuscht bemerkte: Längst hat die Wirtschaft die Frauen als Ressource entdeckt. Statt eine andere Gesellschaft aufzubauen, haben Frauen ihre Rolle als Produzentinnen und Konsumentinnen verinnerlicht. Die Doppelbelastung durch Kind und Beruf aber ist geblieben. Zunehmend wird die Kinderbetreuung zwar nach außen verlagert – auf die Schultern anderer Frauen, oft Migrantinnen, die als Kindermädchen, Tagesmutter oder billige Erziehungskraft die Familienarbeit übernehmen. Es gibt, hurra, vermehrt Männer, die sich im Haushalt engagieren und um die Kinder kümmern. Aber die Nutzung des Elternurlaubs zeigt: Den Löwenanteil an der Erziehungsarbeit leisten nach wie vor Frauen – auch weil Familien auf das höhere Einkommen des Mannes nicht verzichten können.
Diesen Reproduktionsmechanismus des Kapitalismus zu entlarven und zu stoppen, war einst Hauptziel der Frauenbewegung. Daran, dass sie vor allem die Interessen bürgerlicher, weißer, westlicher Frauen im Auge hatte, erinnerte Politikstudentin Stella Gaertner. Mit der vermeintlich gelösten, auf die Rücken von Portugiesinnen und anderen Migrantinnen abgewälzten Vereinbarkeitsproblematik scheint vordergründig eines der letzten Kampffelder beackert. Wenn Mädchen in den Schulen die Jungs überholt haben, wenn sie studieren, wenn sie sogar Karriere machen können, dann herrscht doch Gleichberechtigung? „Der Feminismus ist nicht mehr sexy“, rief eine junge Frau in den Saal. Sie traf damit den Nerv und den Zeitgeist: Feminismus gilt als F-Wort. Nach den Männern sind jetzt die Alphamädchen im Kommen, die alles erreichen, wenn sie nur wollen. Die vor allem beides können: weiblich sein und Kinder kriegen und trotzdem ihren Mann im Beruf stehen. Die lila Latzhose hat ausgedient.
Das spüren auch die Fraueninitiativen. Das Cid-femmes organisiert tapfer weiter Diskussionsabende rund ums Thema Geschlecht. Nur so leidenschaftlich gestritten wie früher wird nicht mehr. Meistens bleibt eine Hand voll Feministinnen unter sich, im Publikum sitzen oft Frauen von 40 Jahren und älter. Das immerhin gilt für die Veranstaltung am vergangenen Montag nicht, abgesehen von der üblichen Leerstelle: den Arbeiterinnen und Migrantinnen. Für sie ist der heutige Feminismus wahrscheinlich auch „unsexy“ wegen seiner Akademisierung. Gender Studies gibt es an der Uni Luxemburg (noch) nicht, aber im Cid-femmes und im Frauenrat sind fast ausschließlich weiße Mittelschichtfrauen aktiv. Allmählich wird die Theorie der Differenz (Frauen sind anders und schlechter dran) abgelöst durch Judith Butler, die auch das biologische Geschlecht als sozial konstruiert enttarnt und die Zweigeschlechtlichkeit als alles prägende Matrix kritisiert hat. Doch inwiefern der Gender trouble als politischer Kampfbegriff taugt, ist selbst unter eingefleischten Feministinnen umstritten. Wo kein Geschlecht mehr ist, braucht es keine Gleichstellung.
Den jungen Frauen (und Männern?) im Exit07 jedenfalls, das war an den Zwischenrufen zu bemerken, leuchtet der alte separatistische Ansatz nicht mehr im selben Maße ein wie früher, als MLF-Frauen Männer von ihren Treffen ausschlossen, um in geschützten Räumen und ohne männliche Besserwisserei und Dominanz debattieren zu können.
Jetzt drängen sie zurück. Gleichstellung sei erst vollzogen, wenn auch Männer freie Wahl in den Lebensentwürfen hätten, unterstrich Francis Spautz von Infomann. Eine These, die die Frauen auf dem Podium wohl unterschrieben hätten, aber braucht es dafür ein Männerbüro? Dass Männer konträre Anliegen haben könnten, wurde deutlich, als ein Zwischenrufer mehr Rechte für Väter einforderte. Von der Diskussionsrunde wurde er noch ignoriert. Aber aufgepasst, just aus diesen frustrierten Vätern rekrutieren sich jene Maskulinisten, die heute den Feministinnen an die Latzhose wollen. Fernand Kartheiser ist übrigens auch geschieden. Markus Theunert, der erste Männerbeauftragte in Zürich, ist es nicht – und musste dennoch sein Posten schon nach drei Wochen räumen. Statt den Konflikt zwischen den Geschlechtern als Verteilungskampf um beschränkte Ressourcen zu inszenieren, hatte der Schweizer für eine qualitative Gleichberechtigung plädiert. Die Lohnungleichheit etwa brächte dem Mann nur kurzzeitig Vorteile, weil er in der Ernährerrolle bliebe, was sich spätestens bei Trennung und Scheidung räche. Dieser Zusammenhang würde immer mehr Männern einleuchten, mit ihnen müssten Feministinnen Bündnisse schließen. Also doch alle im selben Boot beziehungsweise auf ein- und derselben Couch?

Ines Kurschat
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