ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

Robuste Waffenlieferungen

d'Lëtzebuerger Land vom 01.09.2023

Im Juni befragte die Firma Ilres Wahlberechtigte zum Krieg in der Ukraine. 77 Prozent ängstigten sich vor einer Ausweitung des Kriegs. 87 Prozent waren von den wirtschaftlichen Folgen beunruhigt. 72 Prozent befürchteten finanzielle Auswirkungen auf ihren Haushalt. Die meiste Kriegsangst hatten die Wähler von Grünen, CSV und LSAP (Polindex 2023, S. 194-197).

In fünf Wochen sind Parlamentswahlen. Der Krieg taucht in allen Wahlprogrammen auf. Er wurde zu einem Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland. Das Nato-Mitglied Luxemburg ist mit Wirtschaftssanktionen und Waffenlieferungen Kriegspartei. Aus Überzeugung im Kampf gegen den Illiberalismus. Aus Gehorsam gegenüber Washington, Brüssel, Berlin. Aus Kalkül zur moralischen Legitimation eines Geschäftsmodells.

Das CSV-Wahlprogramm kündigt „robuste Waffenlieferungen“ an und „harte Sanktionen gegen das Putin-Regime“ (S. 109). Die regierungsbereiten Parteien stellen sich taub für die Kriegsangst von drei Vierteln ihrer Wählerschaft. Sie rücken jeden Gedanken an einen Waffenstillstand, an Friedensverhandlungen in die Ecke von ADR, Impfgegnern und sonstigen Spinnern.

Die Parteien nennen den Krieg einen Krieg um unsere Werte. Das macht ihn zum heiligen Krieg. Das verbietet jeden Kompromiss. Das duldet Eskalation. So empfehlen sie sich der Botschaft am Boulevard Emmanuel Servais als regierungsfähig.

Bis auf déi Lénk wiederholen alle Parteien ihren Treueeid auf die Nato. Die Grünen verlangten bis 2001 den Austritt aus der Nato. Nun stellen sie den Nato-Minister: Luxemburg sei dank „einer Vielzahl von mutigen grünen Entscheidungen [...] wieder zu einem glaubwürdigen und angesehenen Mitglied innerhalb der NATO“ geworden (S. 47).

Die DP bestätigt „die Abhängigkeit Europas vom amerikanischen Bündnispartner“ (S. 138). Für die CSV ist die Nato „alternativlos“ (S. 109). Die Parteien würden lieber Geschäfte mit Russen und Chinesen machen. Nun sollen sie Krieg gegen sie führen. Die Parteien schwärmen von einer „europäischen Sicherheitspolitik“. Ihr erging es wie den Nord-Stream-Pipelines.

Seit den letzten Wahlen verdoppelte der grüne Verteidigungsminister die jährlichen Militärausgaben auf eine halbe Milliarde Euro. Alle Parteien versprechen eine weitere Verdoppelung auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts/Bruttonationaleinkommens. Das ist viel Geld. Das ist, gemessen an einer Billion Rüstungsausgaben in der Nato, Symbolpolitik.

Bei bald einer Milliarde Euro Militärausgaben träumen die Parteien von Rüstungs-Keynesianismus. Sie wollen „gleichzeitig wirtschaftliche Vorteile für unser Land schaffen“, so die DP (S. 135). Die nationale Rüstungsindustrie soll sich konzentrieren auf „des activités ISR (Intelligence, Surveillance and Reconnaissance) et dans le développement des technologies spatiales, des communications par satellite et la cybersécurité“, plant die LSAP (S. 159).

Für die Grünen ist das „Hauptziel“ das „Aufstellen des gemeinsamen luxemburgisch-belgischen Landkräftebataillons“ (S. 48). Die anderen Parteien sind skeptisch. Die LSAP verlangt ein „principe de codécision“ und „un droit de veto pour le Luxembourg“ (S. 159). Die CSV würde die Schaffung des Bataillons noch einmal „kritisch prüfen“ (S. 110).

Die CSV will die Armee „als Nischen-Truppe modernisieren und spezialisieren“ (S. 110). Die DP verspricht „die fortlaufende Investition in die Modernisierung der Leistungsfähigkeit der Armee“ (S. 136). Keine Partei fragt nach dem strategischen Nutzen dieser Investitionen für die Landesverteidigung.

Der Frontverlauf in der Ukraine ist eingefroren. Der Stellvertreterkrieg zwischen Atommächten vergrößert das atomare Risiko. Kein Wahlprogramm verspricht Einrichtungen zum Zivilschutz in einem Atomkrieg. Das würde die Kriegsangst an der Heimatfront schüren. Das Schicksal der Zivilisten ist der Kollateralschaden.

Romain Hilgert
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