Grüne Energiepolitik hat nicht wenige Feinde. Und die DP besetzt öffentlichkeitswirksam das Klimathema. Der grünen Partei steht ein Herbst zwischen Green-Bashing und Klimapremier bevor

„Eise Bilan“

d'Lëtzebuerger Land du 01.09.2023

Die Öko-Partei befindet sich in einem Abwärtstrend. Mit Sam Tanson taucht auf Platz zwölf im Politmonitor Anfang Juli die erste Grüne bezüglich „Sympathie und Kompetenz“ auf. Gleichauf mit Laurent Mosar liegt François Bausch auf Platz 22. Damit ist er der zweitbeliebteste Grüne. Im Juni verlor die Partei 13 kommunale Mandate, im Vergleich zu 2017 schrumpften sie insgesamt um 3,7 Prozentpunkten. Nur noch 22 Prozent der Befragten wünschten sich laut Politmonitor vor der Sommerpause eine Beteiligung der Grünen in der künftigen Regierung, zwei Monate vor den Kommunalwahlen waren es immerhin 29 Prozent.

Im Interview mit dem Télécran wollte Sam Tanson nicht gänzlich pessimistisch auf die Kommunalwahlen zurückschauen und versuchte, das schlechte Ergebnis zu relativieren – 2017 habe man vergleichsweise stark zugelegt. Aber natürlich „freut man sich mehr, wenn man zusätzlichen Rückenwind bekommt. Das war leider nicht der Fall“, schickte sie hinterher. Auf die Kommunalwahlen im RTL-Kloertext angesprochen, meint Joëlle Welfring: „Ja, diese Ergebnisse machen uns Sorgen. Aber uns geht es um die Sache und wir haben eine Klimapolitik gemacht, die – anders als in Deutschland – die Leute mitnimmt.“ Sie will die Botschaft vermitteln: Wir sind keine Verbotspartei. Moderatorin Caroline Mart hakt nach, warum denn keiner davon Notiz nehme. Joëlle Welfring liefert keine Analyse, sondern beschwichtigt erneut: „Wir haben im Bereich Naturschutz viel Einsatz gezeigt. Wir haben die Kommunen an Board. Darauf konzentrieren wir uns.“ Man wolle vor dem 8. Oktober mit den Wählern ins Gespräch kommen und die gute Bilanz vermitteln.

Vor den Kommunalwahlen war die Stimmung angespannt. Im Ostbezirk wurde eine Kandidatin vor ihrer Haustür beschimpft und ihr Auto zerkratzt worden. Wahlplakate wurde mit „Öko-Terroristen“ überschrieben, andere Plakate wurden beschädigt oder mit Nazi-Symbolen übersät. Zehn Tage vor dem Wahltag wurden die Gesichter der Spitzenkandidat/innen des Ostbezirks mit einer toten Katze bedeckt. Während des Kommunalwahlkampfs berichtete Pierre Weimerskirch, der die RTL-Online-Redaktion leitet, dem Land, dass sich der Tonfall verschärft habe. Grüne Politiker/innen würden „enorm polarisieren“; in den Kommentarspalten wird den Grünen vorgeworfen, sie seien eine unwählbare, undemokratische Verbotspartei, die das Land in den Ruin treibe. Sie sei eine Kopie der „deutschen Skandal- und Filzpartei“.

Bestimmte Parteien wettern ebenfalls gegen grüne Politik. Die Kandidatin Carole Dentzer, die diese Woche mit Bas Schagen die Homepage der Partei Liberté fertigstellte, schrieb auf Facebook, sie wolle sich als Mitglied von „Carmeet“ und der Auto-Tuning-Szene für deren Belange einsetzen. E-Autos würden die Auto-Tuning-Szene auflösen: „De flotten Austausch ënnert Frënn vum Motorsport an d´Handwierk vum Mecanicien dee nach richteg um Auto schafft, geroden a Vergiessenheet.“ Deshalb sei sie gegen das Aus der Verbrenner. „Wou bléift d’Recht op de libre Choix?“ Im Quotidien sagte der ADR-Spitzenkandidat Fred Keup diese Woche, man solle gegenüber Fossilen-Energien offen bleiben. Auf dem ADR-Parteikongress zu Beginn des Jahres warnte er überdies vor einem möglichen Autoverbot – überhaupt sei die Verbotspolitik eine allgegenwärtige Mode. Die Präsidentin der ADR-Fraen, Sylvie Mischel, versichert ihrerseits bezüglich feministischer Politik: „Wir sagen nein zu den Grünen“. In seinem Youtube-Video „Klimaterror Lëtzebuerg“ behauptet das déi Konservativ-Mitglied, Roy Holzem, die „Systempolitiker machen alles, um euch anzulügen: Sanierungspflicht! Heizungspflicht! – so will man man einer perfiden Europa-Politik gerecht werden“. Im Hintergrund wird der Blog-Kommentar „Willkommen in der Klimadiktatur“ eingeblendet und ein paar Blitze huschen über den Bildschirm. Déi Konservativ sei die einzige Partei, die darauf hin weise, dass „dat wat si do maachen, komplett onméiglech ëmzesetzen ass“.

Wie eine zunächst legitime Kritik an einem Standort für Windräder in eine Aversion gegen grüne Energiepolitik umschlägt, ist an der Bürgerinitiative „Energie mat Verstand – Keng Wandmillen viru Bierden“ zu beobachten. Die Bürgerinitiative argumentiert zunehmend angriffsbereiter: Sie spricht von „Windmonstern“ und einer „optischen Bedrängung“, die „gefährlichen Infraschall“ und störende bis hin zu krankmachende Schatten produziere. Sie sieht sich als Opfer einer grünen Energiewende: „Een ëffentlechen Debat iwwer Wandstroum ass méi wéi noutwendeg, wa mir net wéi eis däitsch Nopere an eng Sakgaass wëlle steieren.“ Nachhaltige Energiepolitik sei „weder sinnvoll noch rentabel“. 93 Prozent der Bürdener Einwohner/innen haben die Unterschriftensammlung der Initiative unterstützt. In diesen Erzählungen bedroht nicht der Klimawandel das Überleben der Menschheit, sondern Grüne-Politik die Bürger/innen, deshalb gelte es gegen die angebliche Öko-Diktatur anzukämpfen. Teile des Anti-Grünen-Spektrums sind in Verschwörungsideologien abgerutscht, die die Debatte über ein Zusammenleben in der Zukunft nahezu verunmöglichen und demokratische Prozesse erschweren, denn ein offener, vernünftiger, Austausch ist ein zentraler Bestandteil einer Demokratie. Laut einer repräsentativen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2020/21, verantwortet von Franziska Schroeter, lehnt derzeit fast jeder Zehnte die Aussage, es gebe einen deutlich vernehmbaren menschengemachten Klimawandel ab.

Die Abwertungen von Umweltmaßnahmen beschränken sich zumeist nicht auf eine Kritik der grünen Partei, sondern sollen auch auf die Umweltpolitik der Mitte abfärben. „Diese Strategie scheint teilweise zu wirken. Rezent haben CSV-Politiker im EU-Parlament gegen die Wiederherstellung von zerstörten Ökosystemen gestimmt“, analysiert der grüne Ko-Parteipräsident Meris Sehovic gegenüber dem Land. Im Februar twitterte Laurent Mosar: „Manchmal hab ich das Gefühl dass, für manche, der Kampf gegen den Klimawandel nur ein Vorwand für ein Systemwechsel mit Abschaffung der Demokratie ist.“ Mit optimistischen Botschaften – bessere Luftqualität, Wasserschutz und Bürgerbeteiligung an der Energiewende – wollen die Grünen gegensteuern, erläutert Sehovic. Green-Bashing, der strafrechtlich relevant ist, bringe man zur Anzeige.

Während Green-Basher ohnehin nicht zur Wählerschaft der Grünen zählen, ist die DP zu einer ernsthaften Herausforderung für ihre Wählererosion mutiert. Premierminister Xavier Bettel stellte sich im Juli vor 450 Partei-Mitglieder im Kulturzentrum-Syrkus hin und beanspruchte „Klima-Premierminister“ zu sein. Er setzte auf ein paar feel-good Sprüche: „Die Menschen sind nicht das Problem, sie sind die Lösung.“ Und versprach Klimaschutz ohne Verzicht plus Komfort. Lex Delles betonte auf dem Parteikongress seinerseits, dass er gegen jede Form von „Klimapolitik mam Briecheisen“ sei. Xavier Bettel nutzte im November 2022 auf der Weltklimakonferenz in Scharm el-Scheich die Bühne, um sich als Klimapolitiker anzubieten, wie das Tageblatt berichtete. In seiner Rede vor den versammelten Staatschefs an der COP27 unterstrich Bettel die Maßnahmen im Bereich erneuerbarer Energien seiner Regierung seien „ein wichtiger Bestandteil des Klimaschutzes, aber auch unserer nationalen Versorgungssicherheit“. Im Wahlprogramm wimmelt es von Wörtern wie „einbinden“, „unterstützen“, „Anreize schaffen“. So sollen die Bürger über ihre Verkehrsmittel „frei entscheiden“ können, (ebenso wie über ein „personalisiertes“ Autokennzeichen). Zugleich werden die Grünen im Programm als zu streng kritisiert. Von „unnötig restriktiven Gesetzen, vor allem im Umweltschutzbereich“ ist in Bezug auf Immobilienprojekte zu lesen.

Vor allem in der Landwirtschaft hat die DP gegenüber den Grünen an Boden gewonnen. Der Bio-Landwirt Luc Emering ist in Dippach Schöffen und präsidierte bis Juli 2023 die Jongbauren. Im Süden geht er mit der DP in die Wahlen und verbindet wortgewandt Ökologie und Ökonomie. Ende Juni übernahm zudem der DP-Bürgermeister und Bio-Landwirt Marco Koeune die Präsidentschaft der Bauren-Allianz, die 400 Mitglieder zählt. Keine andere Partei hat Bio-Landwirte mit politischem Mandat. Im Parteiprogramm der DP taucht die Allianz-Forderung nach einem Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf sowie eine Akzent-legung auf Nischenproduktionen.

Mit Jeff Feller sitzt ein ökologisch ausgerichteter Veganer und ÖV-Nutzer im Kabinett des Premiers. Er verfasste die beiden letzten Reden zur Lage der Nation mit. Sätze wie dieser waren darin zu vernehmen: „Trotz der aktuellen Krisen und Herausforderungen bleibt der Klimawandel die größte und unmittelbarste Bedrohung für die Menschheit. Nicht erst in ein paar Jahrzehnten, die Bedrohung ist bereits real.“ Maßgeblich mitgewirkt am Programm zu erneuerbaren Energien hat der Familienminister und studierte Elektrotechniker Max Hahn, DP-Kandidat im Süden. Die DP verspricht Solarpanels an jeder neuen Industriehalle, ebenso über Parkplätzen „einer bestimmten Größe“ und über „verschiedenen Autobahnabschnitten“. „Der grüne Punkt in unserem Parteilogo ist mir wichtig“, sagt Max Hahn dem Land. 2008 ist ein grüner Fleck im Parteilogo aufgetaucht und die Listennummer erhebt sich in einem grünen Kreis – die Farbe ist nicht willkürlich gewählt. Ein paar Jahre vor den Wahlen 2013 wurden informelle und vertrauliche Abendessen zwischen den Hauptköpfen der DP und Déi Gréng organisiert, um Gemeinsamkeiten auszuloten. Bei diesen Zusammenkünften träumten Claude Meisch und Paul Helminger sogar von einer blau-grünen Fusion. Doch die Grünen gingen auf dieses Szenario nicht ein, wie Romain Meyer in seiner Biografie über François Bausch festhält.

Im Frühling noch wollte die Grüne Partei ihre Kampagne um den Begriff Freiheit herum aufbauen. Ende März sagte Spitzenkandidatin Sam Tanson auf einem außerordentlichen Kongress, für sie sei nie eine andere Partei in Frage gekommen. Eine Partei, „der es extrem wichtig ist, gerade denen unter die Arme zu greifen, die nicht genug haben“. Zugleich sei sie liberal und habe ihrer Freiheitsliebe entsprochen: „Ich denke, dass wir gesellschaftlich den Menschen alle Freiheiten lassen müssen, die sie haben, und ihnen nicht vorschreiben können, wie sie leben sollen und wie sie zu sein haben“, wie das Land schrieb. So wollte man dem Verbotspartei-Image entgegenwirken und den Freiheitsbegriff mit einer grünen Interpretation versehen. Denn obwohl die Grünen kaum Verbote ansprechen (in dem Parteiprogramm ist der Begriff viermal aufzufinden, unter anderem in Zusammenhang mit der Fuchsjagd), werden sie als solche verunglimpft. Nun ist man davon abgerückt. Zu philosophisch sei eine Debatte rund um die Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit, heißt es aus der Partei. (Wahrscheinlich befürchtete man, dass die aktuelle Trivialisierung des Freiheitbegriffs zu einer allzu unteriridischen Debatte führen könnte). Mit „Liewenswäert, gerecht, zukunftssécher – dat ass eist Lëtzebuerg“ startet die Partei nun in den Herbst. Die von Joëlle Welfring im Kloertext angesprochene Bilanz materialisierte sich am Mittwoch als Broschüre in Briefkästen des Großherzogtums. Reporter hob aus dieser Bilanz vor allem die CO2-Steuer hervor – ein „Vorzeigeprojekt“ der Grünen. Die CO2-Steuer habe seit ihrer Einführung 2021 einen lenkenden Effekt und habe die Emissionen des Transportsektors von 6,2 Millionen Tonnen CO2 im Jahr 2019 auf 4,3 Millionen Tonnen vergangenes Jahr gemindert, so der Journalist Laurent Schmit.

„Eise Bilan 2018-2023“, ist die Broschüre übertitelt – das klingt verschult. Die Klassenbesten, so der Habitus der Grünen, wollen erklären, was sie richtig machen. Das kann belehrend rüberkommen, gar Ablehnung hervorrufen: Der Streber der Klasse will andere unangenehmerweise daran erinnern, dass sie vielleicht doch nicht die Schlausten sind. Daneben wird Umweltschutz mit gefüllten Portemonnaies in Verbindung gebracht. Denn bei Gutsituierten stoßen sie auf Gehör – in Walferdingen, Schüttringen, Strassen und Niederanven legten die Grünen im Juni zu. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung haben Grünen-Wähler überdurchschnittlich hohe Einkommen und die höchsten Bildungsabschlüsse. Sie seien im Dienstleistungs- und Bildungsbereich angestellt und den neuen Mittelschichten zuzuordnen. Leicht mehr Frauen als Männer wählen die Partei. Die Zahlen aus Deutschland sind vermutlich auf die hiesigen Grünen übertragbar. Dabei fallen ihre Ansätze für Geringverdiener nicht allzu knapp aus: Das Wahlprogramm hält fest, man wolle den sozialen Ungleichheiten entgegengewirken, „durch die Erhöhung des Spitzensteuersatzes“, Haushalte mit einem Einkommen bis zum dreifachen Mindestlohn sollen entlastet werden; der Maximalbetrag des Steuerkredits für Alleinerziehende erhöht werden. Die Grünen wollen eine „gerechte Besteuerung von Kapital sowie von Einkommen aus Kapital“. Neu ermittelt und angepasst werden soll die Kindergrundsicherung und einkommensschwachen Haushalten sollen besondere Beihilfen bei der Energiewende zur Verfügung stehen.

Die Spitzenkandidatin Sam Tanson instrumentalisiert ihre Familie nicht für Wahlkampf-Selfies. Und sie instrumentalisiert dem Vernehmen nach ihre Besuche von Umweltprojekten ebenfalls nicht für Social-Media-Eigenwerbung. „Das stimmt, ich bin dem Selfie-Wahn nicht verfallen“, antwortet sie auf Nachfrage. Nervös macht es sie nicht, dass Xavier Bettel beansprucht, Klimapremier zu sein. „Dass andere Parteien sich dem Thema ebenfalls annehmen, verdeutlicht seine Relevanz“, erwidert Meris Sehovic. Die Grünen aber seien das Original.

Dennoch bleibt für die Grünen ein unruhiger Herbst wohl kaum aus. Die DP behauptet, die besseren Grünen zu sein. Zugleich ist eine Verrohung der politischen Debatte durch Klimaskeptiker zu befürchten. Mit „Eise Bilan“ und einem sachbezognen-defensiven Stil will die grüne Spitzenkandidatin dem Wählerschwund Einhalt gebieten.

Stéphanie Majerus
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