LEITARTIKEL

Kern und Peripherie

d'Lëtzebuerger Land du 19.02.2021

Als Anfang der Woche Radio 100,7 meldete, in den Hôpitaux Robert Schuman seien der Verwaltungsratspräsident und seine beiden Stellvertreter schon gegen Covid-19 geimpft worden, obwohl Impfphase eins Gesundheits- und Pflegepersonal sowie den Bewohner/innen von Alten- und Pflegeheimen vorbehalten sein sollte, fand die mit der Krisenkommunikation beauftragte PR-Firma eine gewitzte Begründung: Die Verwaltungsratsmitglieder seien Teil der „gouvernance systémique“, was ihre Impfung rechtfertige. Sie seien oft in den Schuman-Spitälern unterwegs. Das Argument war so gut gewählt, dass auch der im Fernsehen darauf angesprochene Premier Xavier Bettel vermutlich wahrheitsgemäß nur sagen konnte, er könne das nicht einschätzen.

Weil „systemrelevant“ während des Lockdown im vergangenen Frühjahr all jene genannt wurden, deren Ausfall wegen einer Erkrankung das gute Funktionieren des Systems beeinträchtigt hätte, lässt der Begriff „gouvernance systémique“ sich nur so interpretieren, dass die drei Schuman-Verwaltungsräte eines besonderen Schutzes vor dem Virus bedurften. Dagegen benutzte das Gesundheitsministerium eine andere Linie, um vor einer Woche zu begründen, weshalb in den Alten- und Pflegeheimen Putzpersonal umgeimpft bleibt: Wegen der Impftstoffknappheit habe die Regierung entschieden, in den Heimen kein Personal von Drittfirmen zu impfen. In den Spitälern geschehe das zwar, doch dort könne man wegen des vielen Kommen und Gehens die Patienten nicht vakzinieren. Die Heimbewohner/innen dagegen erhielten ihre Injektion. Folglich müsse der cordon sanitaire um sie herum weniger streng sein.

Das klingt, als hätten die Verantwortlichen sich eine Menge Gedanken gemacht. Doch wieso sollte das Infektionsrisiko für Heiminsassen, die noch nicht geimpft sind oder bei denen wegen ihres vorgerückten Alters der Impfstoff nicht gut anschlägt, vom Statut des Personals abhängen? Im Heimalltag ist Reinigungspersonal in den Fluren der Häuser und den Zimmern der Bewohner/innen ähnlich häufig anzutreffen wie Pfleger/innen, zum Teil öfter. Und man stelle sich nur mal vor, es hätte kein Outsourcing von Putzleistungen gegeben – dann wären die Reinigungskräfte Teil der Stammbelegschaft der Heime.

Tatsächlich aber wurde ab den Achtzigerjahren alles, was nicht zum core business von Betrieben gehört, zunehmend ausgelagert. Das betraf die Industrie genauso wie den kommunalen Sektor oder die Spitäler und Altenheime. Externalisiert wurden Logistik, Buchhaltung, Reinigung, Bewachung. In dem neuen Sektor „Facility Management“ tätige Firmen wuchsen; eine wie Dussmann wurde 2017 zum viertgrößten Arbeitgeber in Luxemburg (d’Land, 23.8.2019). In den Neunzigerjahren gab es noch einen Kollektivvertrag für „Bankenarbeiter“, zu denen auch Wachleute, Putz- und Küchenpersonal zählten. Das ist heute lange her. Erst 1993 wurde ein Kollektivvertrag für den Sektor Gebäudereinigung abgeschlossen. Bis 2014 garantierte er lediglich eine Lohnsteigerung um vier Prozent nach 30 Jahren Betriebszugehörigkeit. Das wurde erst 2016 durch ein Gerichtsurteil aufgebessert (d’Land, 20.7.2018).

Wer eine Arbeitsleistung erbringt, die ausgelagert wurde, gehört nicht mehr zum Kern, sondern zur Peripherie. Im Unterschied zum Kern hat die Peripherie keine Pressesprecher und PR-Manager, die gewitzte Argumente finden, damit die Peripherie nicht leer ausgeht. Sie hat auch keine so starken Fürsprecher wie das zum Beispiel der Ärzteverband AMMD für die Sekretär/innen und Assistent/innen in den Praxen der niedergelassenen Ärzt/innen war: Auf Einspruch der AMMD hin war die Regierung bereit, auch diesen Personenkreis in die prioritäre Impfphase eins aufzunehmen.

Lediglich auf die Fürsorge der nationalen Ethikkommission können die an der Peripherie Tätigen bauen: In ihrem Gutachten zum ersten Impfplan der Regierung schrieb die Ethikkommission, die Impfung des Personals in Spitälern und Heimen diene nicht nur cordons sanitaires, sondern würdige auch die Einsatzbereitschaft des Personals im ersten Lockdown. Systemrelevant waren demnach alle.

Peter Feist
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