Gemeindewahlen und Territorialreform

Neue Spielregeln

d'Lëtzebuerger Land vom 16.09.2010

In den Gemeinden und Parteizen­tralen werden die Gemeindewahlen in einem Jahr vorbereitet. Gegen­über den Wahlen von 2005 haben sich in einigen Dutzend Gemeinden die Spielregeln für die Wähler und vor allem die Kandidaten geändert: Durch das Bevölkerungswachstum und die Gemeindefusionen steigt die Zahl der Proporzgemeinden und mancherorts der Gemeinderäte und sinkt die Zahl der Gemeinden.

In Gemeinden mit mehr als 3 000 Einwohnern wird nach dem Verhältnis- oder Proporzwahlrecht wie bei den Kammerwahlen abgestimmt, mit meist von den Parteien aufgestell­ten Kandidatenlisten. In kleineren Gemeinden werden ohne Listen Kandidaten nach dem Mehrheits- oder Majorzwahlrecht gewählt. Der Übergang zum Verhältniswahlrecht schafft sichtbare politische Strukturen zur Führung der Gemeindegeschäfte und damit eine über Einzelpersonen hinausgehende öffentliche Debatte in den Gemeinden.

Ausschlaggebend für die Bestimmung des Wahlsystems sowie der Zahl der zu wählenden Räte ist das Ergebnis der jeweils letzten Volkszählung. Da im nächsten Februar eine Volkszählung stattfindet, lässt sich die Zahl der Proporzgemeinden derzeit noch nicht mit letzter Sicherheit angeben. Bei der für die letzten Wahlen ausschlaggebenden Volkszählung von 2001 kam beispielsweise die Gemeinde Kopstal im Photo Finish auf genau 3 000 Einwohner.

Zu den 37 Proporzgemeinden der Wahlen von 2005 kommen nach der Einwohnerzahl von 2010 mindestens fünf Gemeinden hinzu, deren Bevölkerung seit 2001 die 3 000-Grenze überschritten hat: Lorentzweiler, Remich, Betzdorf, Sandweiler und Hobscheid. Wenn sich keine allzu gro­ßen Unterschiede zwischen den jährlichen Berechnungen und der Volksbefragung ergeben, könnte Ulflingen den Aufstieg zur Proporzgemeinde noch knapp verpassen.

Durch das Bevölkerungswachstum nimmt in verschiedenen Gemeinden auch die an die Einwohnerzahl gebundene Zahl der Mandate zu, die es bei den Wahlen zu besetzen gilt. So werden in Differdingen 19 statt 17 Räte gewählt, in Petingen 17 statt 15, in Junglinster 13 statt elf, in Lorentz­weiler, Remich, Betzdorf, Sandweiler und Hobscheid elf statt neun.

Die Gemeindewahlen werden aber auch durch die Gemeindefusionen beeinflusst. Das Wähler- und Kandidatenreservoir wird größer, manche Gemeinden gehen zum Proporzsystem über. Die Fusionsabsichten häufen sich, seit sich ein Ende der staatlichen Bezuschussung der Fusio­nen mit 2 500 Euro je Einwohner abzeichnet. In der Regel bleiben die Gemeinderäte der Fusionsgemeinden eine bis zwei Mandatsperioden lang zwei oder vier Sitze größer, als im Gemeindegesetz vorgesehen, um Alt-Räten und Lokalpatrioten den Wechsel zu versüßen. Aus Misstrauen gegenüber dem für zu „politisch“ gehaltenen Proporzsystem wird oft länger als nötig am Majorzsystem festgehalten.

Vergangenes Jahr fusionierten Clerf, Heinerscheid und Munshausen zur Gemeinde Clerf. Obwohl die Einwohnerzahl die Grenze von 3 000 überschreitet, wird nächstes Jahr weiter nach dem Mehrheitswahlrecht abgestimmt. Nach ein bis zwei Mandatsperioden wird die Zahl der Gemeinderäte an die Einwohnerzahl angepasst, das heißt wohl von 13 auf elf gesenkt. Ebenfalls in einer Übergangsphase von zwei Mandatsperioden befindet sich Tandel, die 2004 geschaffene Fusionsgemeinde von Bastendorf und Fouh­ren, die immer noch zu klein ist, um nach dem Verhältniswahlrecht zu wählen. Am 1. Januar 2006 fusionierten Kautenbach und Wilwerwiltz zur Gemeinde Kiischpelt. Auch Kiisch­pelt bleibt beim Mehrheitswahlrecht.

Im Mai hinterlegte der Innenminister einen Gesetzentwurf, der die Fusion von Esch-Sauer und Neunhausen mit Heiderscheid vorsieht. Das Gesetz soll in den kommenden Monaten verabschiedet werden, so dass bei den Wahlen nächstes Jahr 13 Gemeinderäte gewählt werden sollen. Die Fusionsgemeinde zählt nicht genug Einwohner, um nach dem Verhältniswahlrecht zu wählen.

Vor 14 Tagen hieß der Regierungsrat einen Gesetzentwurf gut, der die Fusion von Ermsdorf und Medernach zur Erzntalgemeinde regeln soll. Auch dieser Text soll in den nächsten Monaten durch die Instanzen gehen, damit im Oktober nächsten Jahres schon elf Räte nach dem Majorzsystem gewählt werden können.

Im Juli befürworteten die Einwohner von Consthum, Hoscheid und Hosingen eine Fusion zur Gemeinde Park Hosingen. Auch sie soll schnellstens zum Gesetz werden. Obwohl die drei Gemeinden derzeit knapp über 3 000 Einwohner zählen, sollen nächstes Jahr noch 15 Räte nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt werden.

Am 10. Oktober sollen die Einwohner von Bürmeringen, Schengen und Wellenstein in einer Volksbefragung über die Fusion zu einer vergrößerten Gemeinde Schengen abstimmen. Obwohl sie über 4 000 Einwohner zählte, würde sie 2011 nach dem Majorzsystem wählen und erst 2023 zum Mehrheitswahlrecht übergehen. Zwei Wochen später stimmen die Einwohner von Koerich und Simmern über eine Fusion ab; mit weniger als 3 000 Einwohnern würde die Fusionsgemeinde aber frühestens 2017 zum Verhältniswahlrecht übergehen.

Am 5. Dezember soll schlielich in Niederkerschen und Küntzig über eine Fusion abgestimmt werden, bei den Gemeindewahlen nächstes Jahr soll aber noch in der einen Gemeinde nach dem Verhältnis- und in der anderen nach dem Mehrheitswahlrecht abgestimmt werden.

Romain Hilgert
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