Die kleine Zeitzeugin

Die Büste der Kapitänin

d'Lëtzebuerger Land du 16.08.2019

Einst, in der guten alten Zeit, wurde oben ohne erfunden. Als Frauen darauf kamen, dass es auch ohne ging, ohne Biedermieder, ohne Fischbeinkorsett, dass die meisten Büsten weder hochgehievt noch festgezurrt werden mussten, weder gestützt noch angebunden, die meisten stürzten nicht ins Bodenlose und sie desertierten auch nicht, wenn der Büstenhalter abmontiert wurde. Vielleicht baumelten sie ein bisschen, sie schienen es zu genießen. Manche hingen rum, manche standen stramm, manche brüsteten sich. Nicht jede Form entsprach der Norm, aber das machte nichts, es war die Zeit, als frau so sein wollte wie sie war, zumindest war es das hehre Ideal. Das Schönheitsideal von Hippiehexen und Kommunardinnen setzte sich nicht landauf landab durch, Blüschen durchbohrende Warzen galten als primitiv, und primitiv durfte nur Picasso. Wer mit tanzenden Nippeln unterwegs war, musste lustmolch- bis killerblickgeeicht sein. Diese Weiber waren meist hart im (Be)nehmen.

Brüste statt Gerüste! Die Rüstungen sich entrüstender Feministinnen flogen auf die Scheiterhaufen. Alles sollte ja befreit werden, eingesperrte Brüste, eingesperrte Triebe, theoretisch, die Praxis war doch herausfordernd und ermüdend. Manche Busenfreundinnen kamen auch nach Rücksprache mit ihrer Oberweite drauf, dass die ein bisschen Unterstützung doch gut gebrauchen konnte. Es gab keinerlei Busenstresscode.

Doch leider verschwanden die schaukelnden, schwappenden, herumlungernden oder auch nur keck hervorlugenden, ein bisschen unfreundlich als sekundär abgetanen Merk­male bald wieder. Vielleicht wegen der Schwerkraft des Alters ihrer Eigentümerinnen, neue schienen nicht nachzuwachsen. Sie kehrten dorthin zurück, wo sie anscheinend hingehörten. In Halter und Behälter, in Schalen, Näpfe, Beutel, in immerhin gepolsterte Panzer. Es war aber keineswegs so, dass Mensch plötzlich extrem züchtig geworden wäre. Wichtig war jetzt nur, dass sie möglichst ansprechend serviert wurden. Appetitlich. In Push Ups und Wonderbras, wie die hübschen Requisiten aus Mädchenmärchen, niemand sprach mehr von Folterwerkzeugen, genannt wurden. Und in XXXLLL- Portionen, denen XY- Chromosomenträger anscheinend besonders zugetan waren.

Holz vor der Hütte in rauen Mengen war jetzt schwer angesagt. Die Brustbeutel wurden aufgeblasen und aufgepumpt, eine lange Zeit lang wurde drallprall getragen. Die altmodische Sexbombe gelangte zu neuen Ehren. Viele Frauen wünschten sich gar zwei davon. Als flächendeckend der Bedarf abgedeckt war, als frau darauf kam, dass dieses Vorderteil schwer wiegende Nachteile mit sich brachte und weil der Kapitalismus sich ja öfter was Neues einfallen lässt, wurde fleißig abmontiert. Zwischendurch lauerte die Presse wie weiland unter Queen Victoria auf Busenblitzer bei Damen, die über rote Teppiche schwebten.

Aber jetzt, wo es Natur Natur um uns zwitschert, zu der wir zurückwollen, hoffentlich will sie uns noch, freunden wir uns doch wieder mit unserer Kreatürlichkeit an. Dachte ich mir so.

Und sowieso, alles geht, jedem wie es ihm steht, es gibt keine Musts und keine NoGos mehr, über sämtliche Schmerzschwellen sind wir getrampelt, alle Tabus haben wir längst zerschmettert. Dachte ich mir so.

Wie staunte Altweib daher angesichts der Schlagzeilen zu Dame Racketes Gang vor Gericht! „Schamlosigkeit ohne Grenzen“, hyperventilierte es aus der italienischen Presse angesichts der Büste der Kapitänin, die keusch unter einem Shirt vermutlich ohne Halter auskam. So t-witterte das Herrenvolk. Gerade jenes aus dem Reich eines reichen Lustgreises und berüchtigten Medienzars. Gerade jenes, das sich so gern in die Bresche wirft, um das schwache Geschlecht und sein Recht auf sich selber vor den Finsterlingen aus dem Morgenland zu verteidigen.

Aktivist_innen riefen gleich einen Tag mit oben ohne aus, für Extra-Sympathisant_innen auch unten ohne. Einen Tag nur! seufzte Altweib.

Michèle Thoma
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