Rewenig, Guy: all unsere leitungen sind leider besetzt

Falsch verbunden

d'Lëtzebuerger Land du 01.01.2016

Fast scheint es, als täte es Guy Rewenig schon leid, sein Verlegerdasein an den Nagel gehängt zu haben. Seinen neuen Gedichtband hat er in Eigenregie herausgebracht; das Layout stammt, wie seit Jahren, von Pat Wengler. Optisch ändert sich damit nur sehr wenig, lediglich das Etikett ist ein anderes – nicht mehr ultimomondo, sondern föödartifiss. Auch anderweitig setzt der Autor auf einen gewissen Wiedererkennungseffekt, der den Leser allerdings zunächst auf eine falsche Spur lockt.

Die Schnitzeljagd beginnt schon mit dem toten Spatz auf dem Buchdeckel. Auf dem Cover von Jean-Paul Jacobs’ Gedichtband In der Sänfte des Apollofalters (2014) lag eine Nachtigall, wenn auch nur benommen und nicht mit abgenagtem Schädel. Das müsste noch nichts heißen, es könnte ein neuer Trend der Luxemburger Buchbranche sein, mit lädierten Vögelchen zu werben. Auch der Titel der relativ umfangreichen Sammlung könnte zufällig an Dagewesenes erinnern: all unsere leitungen sind leider besetzt. Es wird also telefoniert; das ist als literarische Konstellation unter den Luxemburger Dichtern nichts Unerhörtes, rief doch auch einmal ein Jean-Paul einen Roger an. Allerdings sind seither viele Jahre vergangen und ein Monopol auf die Telefonmetapher gibt es nicht. Aber dann: konsequente Kleinschreibung, fehlende Interpunktion. Der Verdacht erhärtet sich. Schon landet der Autor mit einem beherzten Sprung auf der Metaebene: „das äußerst kurze anfangsgedicht“ ist ein Gedicht über ein Anfangsgedicht, dessen Form Rewenig etwa alle fünfzehn Seiten wieder aufgreift und variiert („das äußerst kurze standhaftigkeitsgedicht“, „das äußerst kurze luftikusgedicht“ usw.), ähnlich wie beispielsweise der Autor von Die Feste der Engel in den Gedichten „Jacobs’ exklusiver Baum“, „Jacobs’ exklusive Statue“ usw. Damit nicht genug: Durch die Gedichte schreiten Grafen und Zeremonienmeister, Meisterköche und Tamboure, das Dichter-Ich bemüht sich um eine „madame honorarkonsul“, träumt von einer „preziösen proseccoprinzessin“ und möchte der Hut einer gewissen „lady lockmill“ sein –, lauter Figuren, die im literarischen Universum eines Guy Rewenig bisher nichts verloren zu haben schienen. Weiter geht es durch ungewohnte Panoramen, nach Charlottenburg, in die Hackeschen Höfe, zum Lehrter Bahnhof, in den Görlitzer Park, nach Kreuzberg oder sonstwo in Berlin. Das ist sicher nicht ungewöhnlich – für Jean-Paul Jacobs.

„mon dieu“, muss sich der Leser fragen, wenn es ihm wie Schuppen von den Augen fällt, steckt der Autor etwa in einer nicht enden wollenden Identitätskrise? Sind nach den erfundenen Masken (ach, Naskandy) jetzt die Kollegen dran?

Vermutlich handelt es sich um eine einmalige Verirrung. Das Werk des in Berlin lebenden Dichters, den sich Rewenig für dieses Buch als literarische Vorlage ausgesucht hat, eignet sich jedenfalls denkbar schlecht für eine poetische Symbiose. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen, unter denen Jacobs und Rewenig schreiben, zu verschieden die Poetiken, die sie ihrem Schreiben zugrunde legen. Wo der eine bewusst vom Tagesgeschehen wegführt, weist der andere nachdrücklich darauf hin, wo es diesem um die Moral geht, geht es jenem um das Schöne. So passt auch die Bildlichkeit eines Jean-Paul Jacobs nicht in die Gedichte eines Guy Rewenig: Den barocken Engel mit dem seligen Blick juckt es seit Jahrhunderten am Steiß, der Zeremonienmeister wird zum Tyrannen, der alle niederbrüllt, der König steht Kopf, damit er Flöhen und Läusen auf Augenhöhe begegnen kann. Wenn sich Rewenig die Jacobsmaske aufsetzt, wird aus kuriosen Traumsequenzen groteske Weltfremdheit und aus dem Absurden das Lächerliche. So wundert es nicht, dass sich mit fortschreitender Seitenzahl immer mehr Themen und sprachliche Elemente in den Texten finden, die auf Rewenig als Autor verweisen, den Ironiker und Gesellschaftskritiker. Aus den sozialen Netzwerken werden die „sozialen hetzwerke“, die „finanzwelt“ wird bedacht und das Dilemma einer Wählerschaft, die der Politik nichts mehr zutraut, political correctness und Ausländerfeindlichkeit werden aufs Korn genommen. Das Fazit des Experiments liefert Rewenig selbst: „manchmal schreibt der dichter/ wie ein anderer und doch nur/ wie er selbst“.

Am Ende bleibt die Frage, für welchen Leser dieses zwischen Hommage und Persiflage schwankende Pastiche eigentlich gedacht ist. Das Buch enthält keine Widmung; der Bezug zu Jacobs wird nirgends explizit ausgewiesen, so dass er sich nur demjenigen erschließen kann, der mit Jacobs’ Werk ähnlich vertraut ist wie der Autor. Damit wird all unsere leitungen sind leider besetzt zu einer durch und durch elitären Angelegenheit, zu einem Spiel für ganz wenige Eingeweihte. Von diesem Autor hätte das wahrscheinlich niemand erwartet.

Guy Rewenig: all unsere leitungen sind leider besetzt. gedichte. 143 S. Föödartifiss – books by rewenig & wengler, Nospelt 2015. ISBN 978-99959-922-1-7. 20 Euro.
Elise Schmit
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