Die Regierung hat der Lohnungleichheit den Kampf angesagt. Doch ein Gesetz und Strafen allein reichen nicht. Mindestens so wichtig sind wirksame Kontrollen

Mind the gap

d'Lëtzebuerger Land du 08.01.2016

Als Chancengleichheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP) Mitte Oktober ihren Gesetzentwurf zu mehr Lohngerechtigkeit deponierte, war das mediale Echo ziemlich gering. Vielleicht lag es daran, dass die Ministerin im selben Gesetz auch die Repräsentanz von Frauen in politischen Parteien regeln will – ein Thema, das Journalisten offenbar mehr interessierte. Vielleicht aber lag es auch daran, dass niedrigere Löhne bei gleicher Arbeit aufgrund des Geschlechts zu zahlen auch heute schon verboten ist. Geregelt wurde das Verbot per Reglement bereits im Juli 1974.

Der Vorstoß der blau-rot-grünen Koalition geht einen Schritt weiter: Er gießt das Prinzip der Lohngerechtigkeit in ein Gesetz und sieht zudem empfindliche Strafen bei Zuwiderhandlung vor: Zwischen 251 und 25 000 Euro Geldstrafe riskiert ein Arbeitgeber, der einer Arbeitnehmerin aufgrund ihres Geschlechts nachweislich weniger Lohn für dieselbe Tätigkeit auszahlt als ihrem Kollegen. Bei wiederholten Verstößen verdoppelt sich der Betrag.

Genau da liegt das Problem: „Wir haben in Luxemburg diesbezüglich keine Präzedenzfälle“, sagt Anik Raskin vom nationalen Frauenrat CNFL. Die gelernte Juristin ist Sprecherin des CNFL und war Mitglied der Antidiskriminierungstelle Centre pour l’égalité de traitement. Dort bekam sie hautnah mit, wie schwierig es ist, Beschwerden über Lohndiskriminierung nachzugehen und zweifelsfrei festzustellen, ob eine Frau für die gleiche Arbeit wirklich weniger Lohn als ihr Kollege bekommt. Der CNFL fordert, ebenso wie die Arbeitnehmerkammer, dass die Gewerbeaufsicht ITM die Einhaltung streng kontrollieren müsse. Dies sei in der Vergangenheit nicht genügend geschehen. Die ITM kämpft seit Jahren mit Personalmangel. Laxismus und strukturellen Problemen (d’Land, 2.10.2015).

Lohnunterschiede können aus unterschiedlichen Gründen entstehen: Durch bewusste Missachtung sexistischer Chefs, die Frauenarbeit per se geringer bewerten oder meinen, Männer verdienten mehr, weil sie es seien, die die Familie ernährten. Aber auch längere Betriebszugehörigkeiten, Überstunden, Teilzeit und Familienpausen, mehr Verantwortung, eine bessere Aus- und Fortbildung oder bessere Leistungen können Unterschiede auf dem Gehaltszettel rechtfertigen. Die DP hatte eine gesetzlich verordnete Lohngerechtigkeit stets abgelehnt. Im Koalitionspoker mussten die Liberalen die Kröte aber schlucken. Daher sorgte der Gesetzentwurf im Ministerrat kaum für Diskussionen, außer was die Strafhöhe im Falle von Zuwiderhandlungen betraf.

Der nationale Frauenrat empfiehlt in seinem seit Mitte Dezember vorliegenden Gutachten zum Gesetzentwurf, sich an der französischen Vorlage zu orientieren und klar ins Gesetz zu schreiben, dass Gehältertabellen und Kollektivverträge nicht nur auf gleichen Normen und Kriterien für Frauen und Männer aufbauen, sondern ausdrücklich so aufgestellt sein müssten, dass sie „Diskriminierungen wegen des Geschlechts ausschließen“. Der französische Gesetzgeber hat Lohndiskriminierungen aufgrund des Geschlechts schon im Juni 2012 verboten. So würden, hofft Anik Raskin, Frauen, die gegen ihren Arbeitgeber vorgehen wollen, gestärkt und Gerichte bei Diskriminierungsklagen angehalten, „genauer nach den Ursachen zu forschen“.

Lohndiskriminierungen sind oft tief eingelassen in gewachsene Gehälterstrukturen und Berufsprofile. Die Gewerkschaften prüfen in Tarifberichten zwar regelmäßig die Wirksamkeit verhandelter Kollektivvereinbarungen, doch eine regelrechte Analyse von Kollektivverträgen nach versteckten Geschlechterdiskriminierungen, wie es sie in Deutschland und Österreich gibt, fehlt hierzulande. „In der Regel dienen Kollektivverträge dazu, Lohndiskriminierungen nach Geschlecht abzuschaffen“, betont Nora Back vom OGBL. Ob das tatsächlich immer gelingt, und gerade bei Berufsklassifizierungen und Gehaltsklassen Frauen nicht doch direkt oder indirekt diskriminiert werden, etwa wenn „haushaltsnahe“ Tätigkeiten geringer bewertet werden als körperliche, kann die Gewerkschafterin aber nicht sagen.

Ein etwas anderer Lohnunterschied offenbart sich bei den Gesundheits-, Pflege- und Sozialberufen. Dort besteht weniger eine Lücke zwischen Frauen und Männern: Luxemburgs Erzieher und Erzieherinnen zählen in Europa zu den Bestbezahlten, doch verglichen mit dem hiesigen öffentlichen Dienst erhalten sie deutlich weniger, obwohl viele über eine dreijährige Ausbildung verfügen. „Im Sozialsektor sind überwiegend Frauen beschäftigt. Das erklärt wahrscheinlich, warum die Politik die Gehälterstruktur nicht längst vergleichbaren Karrieren im öffentlichen Dienst angepasst hat“, ärgert sich Nora Back. Seit Jahrzehnten reklamieren Erzieher, Pädagogen, Krankenschwestern und Pfleger höhere Löhne und eine bessere Einstufung. Vergeblich. Eine Branche, die ebenfalls um mehr Anerkennung ringt, ist der Putzsektor. Dort arbeiten ebenfalls hauptsächlich Frauen, entsprechend niedrig ist der Lohn. Das Kassationsgericht hatte Frauen, die mehr als zehn Jahre in dem Beruf gearbeitet hatten, den qualifizierten gesetzlichen Mindestlohn zugesprochen. Die DP-LSAP-Grünen-Regierung versprach dem Patronat daraufhin, das Mindestlohngesetz – zuungunsten der Frauen – abzuändern.

Lohndiskriminierung ist oft vielschichtig und geschieht subtil. In den meisten europäischen Ländern verdienen Frauen im Verhältnis zu ihren männlichen Kollegen für dieselbe Tätigkeit weniger. Im Durchschnitt verdienten Frauen in der Europäischen Union 2012 für die gleiche Arbeit 16,3 Prozent weniger. In Frankreich erhielten Frauen im Durchschnitt 1 943 Euro Lohn im Monat (Vollzeit, im privaten und öffentlichen Sektor), während ihre männlichen Kollegen durchschnittlich 2 399 Euro mit nach Hause nahmen. Luxemburg stand mit 8,6 Prozent insgesamt betrachtet sogar verhältnismäßig gut da. Einer Studie des Statec zufolge betrug die Lohnlücke (Median) 2010 sogar nur rund fünf Prozent. In den vergangenen fünfzehn Jahren haben die Frauen gut aufholen können; das Lohngefälle zzwischen den Geschlechtern hat sich demnach von über 16 Prozent auf knapp sechs verringert (öffentlichen und privaten Sektor zusammengenommen).

Dafür gibt es Gründe: Frauen haben inzwischen oft die besseren Abschlüsse und das zahlt sich, zumindest beim Berufseinstieg, häufig aus. Betrachtet man die einzelnen Branchen und die Entwicklung über einen längeren Zeitraum, fällt das Bild jedoch nuancierter aus: Die Lohnschere zwischen Frauen und Männer öffnet sich. So verdienen Frauen in Luxemburg in Führungspositionen von Unternehmen durchschnittlich rund 5,2 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. In der Forschung sind es laut Forschungsinstitut Ceps Instead 4,5 Prozent, im Bau- und Industriesektor sogar 8,5 Prozent. Je mehr die Frauen in einer Branche oder einem Beruf dominieren, umso geringer fällt auch der Lohnunterschied aus. Mit dem Alter steigt das Lohngefälle, bei den 55- bis 64-Jährigen betrug es 2010 satte 21,6 Prozent.

Lange Zeit begnügte sich der Staat damit, Unternehmen mit finanziellen Anreizen zu mehr Gerechtigkeit zwischen Männern und Frauen anzuhalten. Das Programm „Actions positives“ wird auch unter Ministerin Mutsch fortgeführt. Allerdings müssen Unternehmen, die diesbezügliche Subventionen beantragen, künftig einen Pflicht-Check ihrer Gehälterstruktur durchlaufen. Dafür hat das Ministerium in Deutschland eine Software eingekauft, die vom dortigen Familienministerium entwickelt wurde und die mehr Transparenz und mehr Gerechtigkeit bei der Bezahlung der Mitarbeiter bewirken soll. Mit dem Programm namens Logib-Lux können – und sollen – Unternehmen über eine Analyse der Mitarbeiterdaten herausfinden, ob es auffällige Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männer gibt – und warum. „Wir nutzen diese Software seit einigen Jahren und haben damit gute Erfahrungen gemacht“, sagt Simone Gruhlke-Geimer, im Chancengleichheitsministerium für das Programm „Actions positives“ zuständig. Die Software bekommen interessierte Firmen vom Ministerium gratis zur Verfügung gestellt.

Doch wer sich umhört, erntet erst einmal Achselzucken. Von dem Logib-Programm haben viele Unternehmen noch nichts gehört. Selbst Firmen, die 2015 das Label eines um Geschlechtergerechtigkeit bemühten Unternehmen tragen, konnten nicht auf Anhieb sagen, ob sie die Software nutzen und was vor allem die Folgen der Analyse für den Betrieb und die Frauen waren. Dabei geht es bei den „Actions positives“ nicht nur darum, eventuelle Ungerechtigkeiten bei den Löhnen zu beheben, sondern etwa auch die Arbeitsbedingungen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen zu verbessern.

Marco Kieffer von der Fedil erklärt sich die Zurückhaltung der Unternehmen so: „Manche Firmen arbeiten mit hochsensiblen Daten. Da kann eine externe Software aus Gründen der Internetsicherheit problematisch sein.“ Andere argumentieren, so könnten unfreiwillig Geschäftsgeheimnisse preisgegeben werden. Letztere Sorge zumindest ist unbegründet: Das neue Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass Unternehmen die Software nur anwenden, die Ergebnisse aber nicht offenlegen müssen. „Um das Label zu erhalten, müssen sie lediglich die Anwendung nachweisen und zudem einen Aktionsplan erstellen und umsetzen, so wie das heute schon geschieht“, sagt Simone Gruhlke-Geimer: „Wir haben keinen Einblick in die Lohnbücher der Unternehmen.“ Eine Teilnahme lohne sich gleichwohl: „Die Unternehmen bekommen so eine kostenlose Beratung, wie sie ihre Betrieb besser aufstellen können.“ Ob ein Pflicht-Check die Attraktivität des Programms für Unternehmen erhöht oder eher hemmt, konnten weder die Handelskammer noch die Fedil auf Nachfrage sagen.

Für Nora Back vom OGBL jedenfalls steht fest: Ohne „konsequente Kontrollen“ durch die ITM und ohne Sanktionen werde sich mit dem Gesetz „nicht viel ändern“. Noch immer setze der Gesetzgeber beim Bemühen um mehr Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern am Arbeitsplatz zu sehr auf die Freiwilligkeit bei Unternehmen. Eine Quote etwa für die Privatwirtschaft, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen, wie sie in Frankreich und Deutschland existiert, gibt es hierzulande weiterhin nicht. Trotzdem begrüßt die Gewerkschafterin das Gesetz.

Auch Anik Raskin vom Frauenrat sieht noch Verbesserungsbedarf. Die vorige schwarz-rote Regierung habe sich zu oft auf Lippenbekenntnisse beschränkt und selbst wenig Konkretes für mehr Gleichheit getan. Daher sei es nicht überraschend, dass Ministerin Mutsch die „cellules de compétences en genre“ in den Ministerien ersetzen will. „Die Zellen haben ohnehin nicht funktioniert“, so Raskin ernüchtert. Dasselbe Schicksal dürfe das interministerielle Komitee, das die Antidiskriminierungsmaßnahmen der Ministerien koordinieren und aufeinander abstimmen soll, nicht ereilen, fordert die Juristin: In den vergangenen Jahren sei das Komitee kein einziges Mal zusammengekommen. Das von ihr derzeit geleitete Comité du travail féminin sei zudem in der Vergangenheit oft übergangen worden, habe oft von sich aus zu Regierungsinitiativen Stellung bezogen – und doch zu selten Gehör gefunden. Die Aussichten für mehr Gerechtigkeit zwischen Frauen und Männern am Arbeitsplatz bewertet Raskin dennoch verhalten optimistisch: „Die aktuelle Ministerin setzt ihre Vorhaben durch. Es dauert vielleicht, aber die Richtung stimmt.“

Ines Kurschat
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