Les deux jumeaux

Zuckerguss mit spitzer Zunge

d'Lëtzebuerger Land vom 26.03.2009

Carlo Goldoni (1707-1793) war gelernter Anwalt, praktizierte einige Jahre in Venedig und vergaß doch nie, seiner Leidenschaft, der Komödiendichtung, nachzugehen. Nach einem Zwist mit dem Konkurrenten Carlo Gozzi ging er 1762 nach Paris, wo er Theaterdirektor am französischen Hof wurde und große Triumphe feierte. Die Wirren der Französischen Revolution und die damit einhergehenden politischen Umwälzungen führten jedoch dazu, dass sein öffentliches Gehalt nicht mehr ausgezahlt wurde. Am 6. Februar 1793 starb er völlig verarmt in Paris und schloss damit den Kreis einer dramatischen Biografie im doppelten Sinne: Goldoni hatte über 150 Stücke geschrieben, darunter vor allem Verwechslungskomödien und Libretti. Zu den bekanntesten zählen die erfolgreichen Komödien Diener zweier Herren (1745) und Die neugierigen Frauen (1753).

Zwillingsbrüder auf Brautschau: Der tölpelhafte Zanetto macht sich Hoffnungen auf Rosaura, die Dottore Balanzoni gewinnträchtig vermählen will und bei der Pancrazio mangels Masse keine Chance hat. Der elegante Tonino hat Beatrice im Auge. Durch die Ähnlichkeit der Zwillinge kommt es zu den merkwürdigsten Verwechslungen und vielfältigen Intrigen.

Soviel sei zur groben Handlung des vom 11. bis 24. März im Kapuziner-Theater aufgeführten Les deux jumeaux unter der Regie von Marc Olinger und mit Christoph Rasche als Büh­nengestalter zu erwähnen. Bühnenkritisch gesehen, gelingt es den beiden, Goldonis leichtfüßige Handlung mit ihren zugespitzten Dialogen im Schlagabtausch sowohl in der präzisen Choreografie als auch im Bühnenbild zu spiegeln. Die gerade in der Komödie der französischen Lumière typisierten menschlichen Grundfehler wie Blauäugigkeit, Scheinheiligkeit und Gier ergehen nicht nur aus den spitzzüngigen Beiträgen des intriganten Pancrace oder der Figur des Zanetto; auch die pastellfarbenen Himmeltöne in Rosa und Blau, der sanft hernieder rieselnde Schnee, die bunten Kostüme von Tonino und Arlequin sowie die heitere Musik finden mit der süßen Ironie der dramatischen Vorlage ihren Einklang. Dazu passend wird die Wand des dargestellten Haus­es der Balanzoni mit fortschreitender Handlung erweitert, so dass die Enge des entstehenden Bühnenbildes die Zuspitzung der Intrigen verbildlicht.

Regie und Bühnenbild sorgen für die präzise geschaffene Atomsphäre, die schauspielerische Leistung der zentralen Figuren trägt ihren Teil dazu bei: Claudine Pelletier als Madame Balanzoni, Tammy Reichling als Rosaura oder Fränz Hausemer als Arlequin finden an ihren jeweiligen Rollen sichtlich Gefallen. In den Genuss reinster Spielfreude kommt das Publikum jedoch insbesondere bei Jean-Marc Barthélemy: Mit der Darstellung der beiden Zwillinge, die in ihrer Mimik völlig unterschiedliche, in ihrer komödientypisch charakterlichen Fehlbarkeit durchaus vergleichbare Anforderungen stellen, ist er keineswegs überfordert. Ganz im Gegenteil prägt seine frische, gefühlvolle und doch in ihrer gestischen Präzision nie zufällige Rolleninterpretation den Charme der gesamten Inszenierung.

Was Goldoni mit seiner Mischung aus Einzelelementen der Comedia dell’arte und den Grundzügen der Sittenkomödie à la Molière im 18. Jahrhundert schuf, bringt das Kapuziner-Theater mit der Süße eines pastellfarbenen Zuckergusses auf die Bühne. Visuell nah am Kitsch, aber nie kitschig. Rhetorisch in sprudelnder Bildlichkeit, aber nie überbordend. Ein Publikum mit einem Schmunzeln auf den Lippen, aber nie abwertend. Olingers Les deux jumeaux bot einen zuckersüßen Abend mit dem Biss menschlicher Fehlbarkeit.  

Claude Reiles
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