Späte Einsicht

Vom Glück

d'Lëtzebuerger Land vom 23.09.2010

Heute loben wir die späte Einsicht. Endlich begreifen wir, warum wir immer so unglücklich durchs Leben stolpern. Jahrzehnte lang plagte uns ein einziger Gedanke: Warum nur will es uns nicht gelingen, glücklich zu sein? Wieso können wir der ­Existenz nichts Positives und Erfreuliches abgewinnen? Vergebens suchten wir nach einem handlichen Glücksbegriff, nach einem Anhaltspunkt, der auch uns ein bisschen Zufriedenheit beschert hätte. Nun ist diese schmerzliche Suche zum Glück vorbei. Herr Ratzinger aus Bayern, der die Wahrheit gepachtet hat und über alles genau Bescheid weiß, hat unsere Qualen mit einem einzigen, grandiosen Satz beendet.

„Glück ist der Glaube an Gott.“ So hat es Herr Ratzinger im St. Marys Universitäts-Kolleg von Twickenham verkündet, so stand es groß in der glücklichsten Zeitung des Landes, dem Luxemburger Wort. Von jähen Glücksgefühlen überwältigt, möchten wir noch ein bisschen zitieren aus diesem unfehlbaren Blatt: „Beim Empfang der Königin im Holyrood Palast malte er die ‘ernüchternde Lektion von atheistischem Extremismus’ an die Wand, wonach der ‘Ausschluss von Gott, Religion und Tugend zu einer abgestumpften Vision der Gesellschaft führt’.“ Danke, Herr Ratzinger. So ist es. Jetzt geht uns endlich ein Licht auf, wieso wir immer so abgestumpft durch die Landschaft streunen. Von extremistischen Hintergedanken getrieben, schneiden wir immer und überall unsere unglückliche Grimasse und provozieren so die glücklichen Gläubigen. Der Grund ist sonnenklar: Wir glauben nicht an Gott.

Jetzt klopfen wir uns reumütig an die Brust und sind sofort bereit zur Umkehr. „Religion ist tatsächlich die Garantie von authentischer Freiheit und Achtung“, predigte Herr Ratzinger in Glasgow. In unserem gottlosen Wahn dachten wir immer, Religion sei das exakte Gegenteil von Freiheit, eine einzige Strategie der Unterwerfung und Entmündigung. Das war leider nur ein krauser Atheistengedanke. Wir bedauern aufrichtig, den Zugang zum Glück leichtfertig verpasst zu haben. Nie mehr dürfen wir uns zum Beispiel in einem katholischen Internat der Herausforderung des Glücks stellen. In diesen herausragenden Glücksfabriken werde sogar störrische Zöglinge mit sanftem Nachdruck auf den Glauben an Gott eingestimmt. Wenn es sein muss, opfern sich zutiefst glückliche Kleriker, das Glück artisanal herbeizuführen, mit der Hand in der Unterhose der geachteten Minderjährigen.

Wir müssen uns also auf eigene Faust aus der atheistischen Umklammerung befreien. Zum Glück haben wir höchst stimulierende Vorbilder vor Augen. Der glückliche Herr Sarkozy zum Beispiel, ein frommer und gläubiger Politiker, deportiert missliebige Minderheiten und steigert so sein Glück. Wir nehmen an, dass all die Roma, dieses unfranzösische Ungeziefer, leider nur Atheisten sind, also abge-stumpfte und gefährliche Schreckschrauben. Auch der eminent gottgläubige Herr Berlusconi, den wir – Gott vergelt’s – bis vor kurzem für eine politische Naturkatastrophe gehalten haben, einen vor Dummheit und Arroganz strotzenden Demokratievernichter, strebt immer nur nach dem Glück der Gottesanhänger. Natürlich ist auch er umzingelt von depressiven und lustlos stänkernden Atheisten. Aber Gott ist seines Glückes Schmied.

Auch unser Herr Juncker ist unverkennbar ein glücklicher Mensch. Wenn 2 500 Demokratieverfechter gegen seine Glücksvorstellungen manifestieren, sagt der Gottesfan: „Sie haben alle Unrecht, ich habe Recht.“ Früher hätten wir einen solchen Satz für eine Anmaßung ohnegleichen gehalten. Jetzt aber, wo uns endlich eine Ahnung vom wahren Glück heimsucht, erkennen wir Herrn Junckers Glücksdemonstra-tion in ihrer vollen Bedeutung. Auf dem Clairefontaine-Platz randalierten 2 500 Atheisten. Das hat unser glückliches Land nicht nötig. Herr Juncker hat all diese Abgestumpften sozusagen verbal hinweg gefegt. Gott sei Dank.

Erinnern Sie sich noch an den unschlagbaren Glücksbringer Augusto Pinochet? Den chilenischen Putschisten, der sich beruflich als glücklicher Massenmörder betätigte? Als er in englischer Untersuchungshaft saß, darbte er anschaulich im Rollstuhl, ein gepeinigter Märtyrer der Glücksfraktion. Aber sobald er als Heimkehrer in Chile aus dem Flugzeug stieg, sprang er plötzlich vom Glück beseelt aus seinem Rollstuhl und eilte völlig normal seinen glücklichen Anhängern entgegen. Was lernen wir aus diesem glücklichen Augenblick? Erstens, dass Großbritannien ein einziger Atheistensumpf ist, eine finstere Insel der Unglücklichen. Zweitens, dass Gott offenbar blutrünstige Faschisten liebt. Drittens, dass Glück eigentlich ein Fall für die Menschenrechtskommission ist. Verflucht! Jetzt werden wir schon wieder polemisch. Also unglücklich.

Betrachten wir lieber geduldig und lernwillig die schönen Bilder vom Herrn Pinochet, wie er begeistert auf der Kommunionbank kniet und Gott dankt für sein großes Glück. Wie sagte Herr Ratzinger? „Glück ist der Glaube an Gott.“ Wir glauben, das war blutiger Ernst.

Guy Rewenig
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