Österreich

Vollwichs und „Neuer Stil“

d'Lëtzebuerger Land vom 02.02.2018

Er hat Symbolcharakter, der Wiener Akademikerball: In den repräsentativen kaiserlichen Prunksälen der Wiener Hofburg tanzen Mitglieder von Studentenverbindungen, darunter vor allem schlagende Burschenschaften, der Dresscode heißt: Vollwichs. Geputzte Stiefel, Band und Mütze. Die Gegendemo, weit außerhalb einer rigiden Bannmeile gehalten, wehrt sich gegen eine symbolhafte Anerkennung des Veranstalters durch den symbolträchtigen Ort: Hervorgegangen aus dem Ball des Wiener Korporationsrings, der vor allem schlagende Verbindungen umfasst und als rechtsextrem eingestuft wird, wurde der Akademikerball zunehmend zum Vernetzungstreffen der Rechten und Rechtsextremen aus ganz Europa. Um die Kritik abzuschwächen, löste 2014 die Freiheitliche Partei Österreichs den rechtsextremen WKR als Organisator ab; als internationales Ereignis der Rechten verliert der Ball seitdem an Bedeutung, büßt aber innerhalb Österreichs nichts an Symbolkraft ein.

Gerade in diesem Jahr nicht, nachdem der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache seine Ansprache erstmals nicht nur als Parteichef, sondern als Vizekanzler halten sollte. Zudem hatte Udo Landbauer, seines Zeichens Spitzenkandidat der niederösterreichischen Freiheitlichen zur Landtagswahl, die just am Sonntag nach dem Ball erfolgen sollte, eine wichtige Burschenschaft in Verruf gebracht: Die Wiener Wochenzeitung Falter hatte aufgedeckt, dass im Liederbuch der „Germania“, der Landbauer angehört, ein Lied mit einer obszön antisemitischen, den Holocaust verherrlichenden Strophe abgedruckt war.

Straches Job an diesem feierlichen Ballabend war also, die Burschen in ihrem Selbstverständnis zu bestärken, vor allem gegen „die da draußen“, die rund 10 000 Demonstranten und andere Kritiker. Strache musste aber gleichzeitig staatstragend Vizekanzler-würdig auftreten und durfte seine niederösterreichische Wählerschaft nicht verunsichern. Zum Erstaunen Vieler fand Strache klare Worte: „Die Verantwortung und das Gedenken an die Opfer des Holocaust sind uns Verpflichtung und Verantwortung in der Gegenwart und für kommende Generationen. Wer das anders sieht, soll aufstehen und gehen. Er ist bei uns nicht erwünscht.“ So sprach der Vizekanzler und erntete kurzfristig Ratlosigkeit inner- und außerhalb des Ballsaals.

„Burschenschaften haben mit der FPÖ nichts zu tun“, hatte er bereits zuvor erklärt, und auch mit diesem Ablenkungsversuch Kopfschütteln ausgelöst. Denn die Partei ist ohne Burschenschaften nicht zu denken. Einst als Auffangbecken der personellen Restbestände nationalsozialistischen Gedankengutes gegründet, verordnete Jörg Haider der Partei einen neoliberal-smarten Weg und drängte den Einfluss der Burschenschafter zurück. Unter Strache, der wieder stark auf dieses Netzwerk baut, rücken auch die Schlagenden, die in den vergangenen Jahren das ganz rechte Spektrum der Partei repräsentierten, wieder ins Zentrum.

Das spiegelt sich im Nationalrat, wo der Anteil an Burschenschaftern unter den FPÖ-Mandataren mit 20 von 51 (bei insgesamt 183 Abgeordneten) einen Höchststand erreicht hat. Aber auch auf entscheidende Posten in der Ministerialbürokratie rücken Burschenschafter nach. Ihr deutschnationales, patriarchales und autoritär orientiertes Weltbild wird die Politik des Landes künftig mit prägen. Strache hatte mit dieser Szene nie Berührungsängste, schließlich gehörte er ihr selbst an, wenn auch als Nichtakademiker lediglich in einer Schülerverbindung beheimatet. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig als diesen Einfluss zuzulassen, weil die FPÖ in ihren Reihen kaum intellektuelles Reservoir außerhalb der schlagenden Kreise hat.

Ob Strache und die Seinen es nun tatsächlich ernst meinen mit Abgrenzung und Verantwortung, das lassen die ersten Wochen unter blauer Mitregierung bezweifeln. Eher scheint in den freiheitlichen Reihen und in ihrer Anhängerschaft die Stimmung vorzuherrschen, auszuprobieren, wie viel möglich ist, ohne den Bogen oder das Gesetz zu überspannen. So twitterte ein bei der FPÖ-Jugend sozialisierter führender Aktivist der Identitären in Österreich über die „Omas gegen Rechts“, die gegen den Opernball demonstrierten: „Wenn man länger lebt, als man nützlich ist…“. Innenminister Herbert Kickl schlug in der Flüchtlingsdebatte vor, Asylwerber in Großquartieren am Stadtrand „konzentriert zu halten“. Der Mann, der Sprüche wie „Daham statt Islam“ erfand, reimt nur scheinbar plump, setzt seine Worte aber sehr gezielt ein und es ist schwer vorstellbar, dass ihm dieser eindeutige NS-Anklang nur passiert sein sollte.

Es wirkt eher wie ein Schritt, die Grenzen zu verschieben – auch, wenn Kickl nun in der NS-Liedgut-Frage erklärt, ein Verwaltungsverfahren eingeleitet zu haben, um ein Verbot der Burschenschaft zu prüfen. Wer einzig das Strafgesetz als Rote Linie gelten lässt, lagert Fragen der persönlichen Moral und politischen Ethik an eine scheinbar neutrale Instanz aus und ersetzt Integrität durch Konformität. Damit lässt sich der „Neue Stil“, den Sebastian Kurz programmatisch für seine Regierung ausgerufen hat, wohl schwerlich umsetzen.

Irmgard Rieger
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