Die Aussicht auf „Libra“ befeuert die Diskussion über digitale Zentralbank-Währungen

Sicheres Geld für alle?

d'Lëtzebuerger Land vom 30.08.2019

Vielleicht sollte doch mal jemand den Leuten erklären, was Geld ist und wie es gemacht wird. Selbst gestandene Staatsmänner outen da ihre Ahnungslosigkeit. Mitte Juli bramarbasierte der deutsche Finanzminister Olaf Scholz: „Die Herausgabe einer Währung gehört nicht in die Hände eines Privatunternehmens, denn sie ist ein Kernelement staatlicher Souveränität.“ Ähnlich konfus reagierten auch andere Politiker auf die Ankündigung des Libra-Konsortiums, einer Initiative von Facebook, ab 2020 digitales Geld anzubieten.

Dabei ist Geldschöpfung schon seit Jahrzehnten Privatsache: Das dominierende Giralgeld wird von Geschäftsbanken durch Kreditvergabe geschaffen; den staatlichen Zentralbanken bleiben nur kümmerliche Reste, das heißt Bargeld und Zentralbank-Reserven. Elektronisches Geld aber kann heute prinzipiell jeder weltweit in Umlauf bringen – die Frage ist bloß, ob man dafür Vertrauen findet, beziehungsweise ob Regierungen das verhindern können.

Was wird aus der Fiktion, der Staat kontrolliere das Geldwesen, wenn die „Libra“ – bei zwei Milliarden Facebook-Nutzern kaum zu ignorieren – weniger praktische Währungen ersetzt? Zunächst nur Weichgeld wie Griwna, Bolivar oder türkische Lira, später vielleicht auch Euro und Dollar?

Bedrängt von Kryptowährungen und Internetkonzernen überlegen jetzt immer mehr Zentralbanken, selbst staatliches Digitalgeld auszugeben, sozusagen Cyber-Cash. Dabei wird auch diskutiert, ob weiterhin nur Banken bei der Zentralbank ein staatlich garantiertes Konto eröffnen können – oder ob alle Bürger Zugang zu „sicherer“ Geldaufbewahrung erhalten sollen.

Laut einer Umfrage der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die im Januar 2019 veröffentlicht wurde, beschäftigen sich rund 30 Zentralbanken mit Central Bank Digital Currencies (CBDC). Bereits fünf Zentralbanken haben dazu Pilotprojekte gestartet. In Uruguay zum Beispiel wurden ab November 2017 testweise ein halbes Jahr lang 20 Millionen e-Pesos in Umlauf gebracht. An dinero électronico tüftelt auch Ecuador. Am weitesten sind die Pläne in Schweden.

Vor zwei Jahren hatte die BIZ selbst ihren Mitgliedern empfohlen, CBDC zu prüfen: Da elektronische Zahlungen zunehmend Bargeld verdrängen, würden Notenbanken ihren einzigen direkten Kontakt zu den Bürgern verlieren – und die Bürger hätten nur noch Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber privaten Banken. CBDC und allgemein zugängliche Zentralbank-Konten könnten in Krisen stabilisierend wirken. Weitere mögliche Vorteile seien Fälschungssicherheit, effizientere Zahlungssysteme und die Transparenz aller Zahlungen.

Mittlerweile scheint die virtuelle Zukunft im Basler BIZ-Turm skeptischer gesehen zu werden. BIZ-Generaldirektor Agustín Carstens versucht, die Bitcoin-Konkurrenz als „Kombination aus Spekulationsblase, Schneeballsystem und Umweltkatastrophe“ madig zu machen. Zu CBDC unkt die BIZ: Das Risiko von Bank-Runs könnte steigen, denn Haushalte könnten in großem Stil versuchen, ihre Ersparnisse als Digitalgeld in Sicherheit zu bringen. Kommerziellen Kreditgebern könnten Einlagen fehlen. Außerdem sei der Schutz von Daten und Privatsphäre problematisch.

Die amerikanische FED und die Schweizer SNB, beide vor allem Großbanken verpflichtet, planen vorerst keine CBDC. Erfrischend ehrlich warnte Jens Weidmann, der Chef der Deutschen Bundesbank, im Mai in einer Rede vor „möglicherweise gravierenden Auswirkungen“: Mit einer „zusätzlichen, sehr liquiden und sicheren Anlagealternative“ könnten „sowohl ‚Flucht in Sicherheit‘ im Allgemeinen als auch ein digitaler Bank-Run im Speziellen schneller und in größerem Umfang ablaufen als in der Vergangenheit“. CBDC könnten die „Finanzstabilität“ gefährden und „die Geschäftsmodelle von Banken und die Intermediation auf Finanzmärkten grundlegend verändern“. Auf Deutsch: ohne Zwang würde kein Sparer mehr sein Geld den Banken anvertrauen. Wenn es sicheres digitales Zentralbankgeld für alle gäbe, hätten Politiker und Steuerzahler wohl kaum noch Lust, Spekulanten zu retten.

Andere Zentralbanken geben sich bürgernäher. Am 15. Juni informierte in Stockholm die Konferenz „The Future of Money. Central Bank Digital Currencies and Beyond“ zum Stand der Dinge. Organisiert wurde das Experten-Treffen von Positiva Pengar aus Schweden und Monetative aus Deutschland, also von zwei Vollgeld-Initiativen für staatliches elektronisches Geld.

Miguel Fernández Ordóñez, Ex-Chef der spanischen Zentralbank, warb in Stockholm für CBDC: Die fehlende Trennung von Geld und kommerziellen Bankaktivitäten mache das Geld fragil, die Banken ineffizient. Wenn der Staat das Geld registriere und schöpfe und notfalls auch die Zahlungsinfrastruktur bereitstelle, könne Banking wie jede andere Branche liberalisiert werden: Die „Mega-Privilegien“, aber auch die „sowjetähnliche Hyperregulierung“ der Banken könnten dann aufgegeben werden. Bail-outs würden unnötig: „Wir brauchen Banking, aber nicht unbedingt Banken.“ Der Übergang zu CBDC müsse allerdings sorgfältig geplant werden und brauche Zeit, auch damit sich neue Wettbewerber entwickeln könnten.

Schnellen Bedarf sieht die Schwedische Riksbank, erläuterte Carl-Andreas Claussen, ihr Senior-Advisor: In Schweden ist Bargeld marginalisiert, sein Nominalwert erreicht nur noch 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts (in der Euro-Zone noch über 10 Prozent). Je mehr Stellen Münzen und Scheine ablehnen, desto geringer wird der Nutzen: „Das passierte einfach. Wir haben nie bewusst entschieden, Bargeld aufzugeben.“ Diese Entwicklung werfe Fragen auf: Darf eine öffentliche Funktion privaten Banken überlassen werden? Was passiert bei Stromausfall, Hacker-Angriffen oder im Kriegsfall? Können Behinderte die Zahlungs-App „Swish“ nutzen? Oder auch philosophische Überlegungen: „Was habe ich eigentlich auf der Bank? Was ist eine Schwedische Krone, wenn es keine Krone mehr gibt?“

Sveriges Riksbank gab 1661 die ersten Banknoten aus. Jetzt könnte die älteste Zentralbank der Welt wieder Vorreiter werden: Im Frühjahr 2017 startete sie das Projekt „e-Krona“. Zunächst wurden rechtliche Voraussetzungen und mögliche Konsequenzen analysiert. Beim Parlament beantragte die Riksbank, das „Konzept des gesetzlichen Zahlungsmittels zu überarbeiten“. Wie im Rest Europas gilt in Schweden rechtlich nur Bargeld als echtes Geld. Die Riksbank plädiert dafür, das „technisch neutral“ zu formulieren – so dass auch elektronisches Geld „legal tender“ werden kann.

„Wir denken nicht an einen Ersatz von Bargeld oder Bankeinlagen, sondern an eine Ergänzung“, erklärte Claussen. Die e-Krona soll in Schwedischen Kronen denominiert sein und als Anspruch gegenüber der Riksbank den öffentlichen Zugang zu sicherem Zentralbank-Geld garantieren. Für Kleinbeträge könnte eine anonyme Zahlmöglichkeit angeboten werden. Die Technologie sei noch ungeklärt: aufladbare Karte, App, Token, Blockchain oder etwas anderes? „Ab Herbst werden wir eine Plattform für Zahlungen mit e-Krona testen“, kündigte Claussen an. Über die Einführung müsse dann die Politik entscheiden, denn das sei „eine große Frage für die ganze Gesellschaft“.

Auf der Konferenz warnte Jón Helgi Egilsson, ehemaliger Zentralbanker in Island und nun Fintech-Unternehmer, der Staat solle nicht bestimmte Technologien oder Geschäftsmodelle vorschreiben. In einigen Ländern, zum Beispiel Großbritannien, Litauen und Lettland, könnten Elektronische Geld-Institute bereits heute Kundeneinlagen bei der Zentralbank deponieren – das komme CBDC sehr nahe und verringere die systemische Bedeutung von Großbanken. Vielleicht sei dieses „indirekte“ Zentralbank-Geld sogar besser als CBDC: Die Zentralbanken könnten sich auf Rechtsstandards und Vertrauensbildung konzentrieren, die EMI auf technische Innovationen.

In den Niederlanden sei CBDC „ein heißes Thema“, berichtete Martijn van der Linden, Finanzprofessor aus Den Haag: „Das Verständnis der Instabilität des Geld- und Zahlungssystems hat sich in letzter Zeit stark verbessert.“ Bereits 2016 hatte das niederländische Unterhaus „sichere Häfen für Buchgeld“ gefordert. Im Januar 2019 veröffentlichte der Wissenschaftliche Beirat der Regierung den Report „Geld und Schulden“: Safe-Haven-Konten seien in der Tat nötig; wenn es „eine echte Alternative“ gäbe, hätte das einen „disziplinierenden Effekt auf die Banken“. Allerdings fanden die Forscher auch, der Übergang zu CBDC sei „ein gefährliches Experiment“.

In der Folge schoben sich in Den Haag Regierung und Nationalbank gegenseitig die Verantwortung für Geldreformen zu. Als ein Hauptproblem gilt in den Niederlanden die Einlagensicherung. Bei einem Round-Table-Gespräch im Unterhaus fanden im Juni die meisten Experten, „sichere Konten“ würden den Konsumenten mehr Auswahl geben und könnten eine Alternative zur Einlagensicherung sein. Für das Geldsystem seien die Politiker verantwortlich. Im kommenden Herbst soll darüber im Unterhaus debattiert werden.

Zunächst aber könnte die Diskussion von Richtern in Luxemburg vorangetrieben werden. In Deutschland hatte der Bargeld-Rebell Norbert Häring sich geweigert, seine Rundfunkgebühren zu überweisen. Untere Instanzen gaben dem Hessischen Rundfunk Recht. Das deutsche Bundesverwaltungsgericht aber fand, es gebe für öffentliche Stellen keine rechtliche Grundlage, Bargeld abzulehnen. Die Leipziger Richter legten dem Europäischen Gerichtshof die Frage vor, ob bei „hoheitlich auferlegten Geldleistungspflichten“ bare Euros angenommen werden müssen.

Wenn der EuGH demnächst gegen die Interessen der Bankkonzerne entscheiden würde, wäre das eine Überraschung – die Begründung, warum die Bürger nicht mit gesetzlichen Zahlungsmitteln zahlen dürfen, sondern privates Giralgeld verwenden müssen, könnte jedoch ein spektakulärer juristischer Eiertanz werden. Vielleicht wird das die Idee befördern, Geld sei wirklich eine Staatsaufgabe.

Martin Ebner
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