Der „Loyersdeckel“ von 1955 soll bald ausgedient haben. Dabei hat er erst kürzlich gezeigt, dass er in bestimmten Fällen nützlich sein kann

„Sozialer Sprengstoff“

Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 12.07.2024

Selten in dieser Legislaturperiode herrschte im Parlament so viel Einigkeit wie am Mittwoch, als die Abgeordneten die Reform des Mietgesetzes von 2006 fast einstimmig annahmen (nur déi Lénk enthielt sich). Erstmals werden in Luxemburg Wohngemeinschaften gesetzlich geregelt, Vermieter sollen künftig die Hälfte der Maklergebühren bezahlen, die Mietkaution wird von drei auf zwei Monatsmieten gesenkt, Mieten dürfen nur alle zwei Jahre um höchstens zehn Prozent erhöht werden, der Begriff der Luxuswohnungen wird aus dem Gesetz gestrichen, das Abschließen von mündlichen Mietverträgen untersagt.

Für Luxuswohnungen galt die 1955 eingeführte Mietobergrenze von fünf Prozent des investierten Kapitals nicht, deshalb wurde das Konzept missbraucht, um den „Loyersdeckel“ zu umgehen. Der Deckel an sich bleibt vorerst im neuen Gesetz bestehen, obwohl oder weil er kaum angewandt wird. Eindrücklich belegt wurde dies durch das sogenannte „Limpertsberg-Urteil“ aus dem Jahr 2020. Ein Mieter hatte damals Beschwerde bei der Mietkommission der Stadt Luxemburg gegen seine hohe Miete eingereicht. Da der Vermieter die zur Berechnung des investierten Kapitals benötigten Dokumente nicht vorlegte, wies die Mietkommission die Beschwerde zurück. Der Mieter legte daraufhin Einspruch vor dem Friedensgericht ein. Da der Vermieter die Dokumente über das investierte Kapital immer noch nicht herausrücken wollte (oder konnte), wurde ein Bauexperte damit beauftragt, den Kapitaleinsatz zu ermitteln. Den gesetzlich begrenzten Mietbetrag für die um 1958 erbaute Wohnung schätzte er auf 286 Euro, ermittelte aber gleichzeitig ihren Marktwert und kam auf eine „realistische“ Miete von 1 800 Euro. Der Richter beschloss auf der Grundlage eines irreführenden Paragrafen im Gesetz von 2006, dass statt des investierten Kapitals der Marktwert (valeur marchande) zur Berechnung der Miete ausschlaggebend sei. Das Urteil wurde in zweiter Instanz und vom Kassationshof bestätigt. Damit war der Mietendeckel quasi außer Kraft gesetzt.

Dieses Urteil veranlasste den vorigen Wohnungsbauminister Henri Kox (Grüne) dazu, im Juli 2020 einen Reformentwurf des Mietgesetzes vorzulegen. Neben den am Mittwoch verabschiedeten Bestimmungen sollte der Verweis auf die valeur marchande aus dem Gesetz gestrichen und noch einmal unmissverständlich präzisiert werden, dass nicht der Marktwert, sondern das capital investi zur Ermittlung der Mietobergrenze entscheidend sei und der Betrag samt Berechnung im Mietvertrag festgehalten werden. Der Entwurf sah jedoch keine Kontrollinstanz zur Einhaltung dieser Praxis vor und auch keine Neuregelung der häufig un- oder unterbesetzten Mietkommissionen. Zur Abstimmung kam die Reform jedoch nicht, denn aus den Gutachten zum Gesetzentwurf ging hervor, dass der 1955-er Loyersdeckel, würde er à la lettre appliziert, mutmaßliche Ungleichheiten schaffe zwischen Eigentümern, die seit Jahrzehnten im Besitz ihrer Wohnung(en) sind, und Vermietern, die ihre Immobilie(n) erst später – nach dem hohen Anstieg der Immobilienpreise – gebaut oder erworben haben. Während die Fünf-Prozent-Regelung für Erstere zu unterdurchschnittlichen Mieten führte, würde sie für Letztere in den seltensten Fällen überhaupt eine Begrenzung darstellen.

Da Henri Kox inzwischen mit der Reform des Gesetzes zum erschwinglichen Wohnungsbau, Artikel 29bis im Pacte Logement 2.0 und anderen Maßnahmen das Ziel verfolgte, den Bestand an öffentlichen Mietwohnungen substanziell zu erhöhen, schlug er im Oktober 2022 für den „freien“ Mietmarkt eine Kompromisslösung vor: Neue Evaluierungskoeffizienten sollten den gesetzlichen Wert von älteren Wohnungen insbesondere für Vermieter, die regelmäßig Renovierungen vornehmen, erheblich steigern; gleichzeitig wollte er den Prozentsatz des investierten Kapitals zur Berechnung der Jahresmiete von fünf auf drei Prozent (beziehungsweise 3,5% für Wohnungen mit hoher Energieklasse) verringern. Damit sollte die Mietobergrenze für ältere Wohnungen den Marktpreisen von neueren Wohnungen gesetzlich angeglichen werden. Diese Neuregelung stieß jedoch sowohl beim Mieterschutz als auch bei den Interessenverbänden der Investoren auf Widerstand. Während die einen befürchteten, das Angebot an öffentlichen Mietwohnungen werde nicht so schnell wachsen wie geplant und günstige private Mietwohnungen würden deshalb noch gebraucht, deuteten die anderen die Senkung von fünf auf drei Prozent als negatives Signal an potenzielle Investoren. Die Koalitionspartner der Grünen – DP und LSAP – distanzierten sich ebenfalls von Kox’ Entwurf, der schließlich erneut nicht zur Abstimmung kam.

Kox’ Nachfolger Claude Meisch (DP) hat sich die Sache nun leicht gemacht, indem er das Gesetz von 2006 ohne Reform des Mietendeckels nur geringfügig abgeändert hat. Zumindest vorläufig, denn am Mittwoch im Parlament unterstützte die CSV-DP-Mehrheit eine Motion der Grünen, die fordern, dass Meisch spätestens in einem Jahr einen Gesetzentwurf für eine neue Mietpreisbremse in der Kammer hinterlegen soll. Auf breite Zustimmung stieß auch eine Motion der LSAP zur Erstellung eines Mietspiegels, der eine detaillierte Übersicht über die tatsächlich gezahlten Mieten in den unterschiedlichen Regionen und Gemeinden Luxemburgs bieten soll. Der frühere DP-Wohnungsbauminister Marc Hansen wollte bereits 2016 einen Mietspiegel einführen, was aber damals wegen „juristischer Probleme bei der Erfassung der Daten und dem Umgang damit“ offenbar nicht möglich war. Nun soll der parlamentarische Wohnungsbauausschuss sich erneut damit befassen.

Im Eigentümerland Luxemburg, wo nur rund ein Drittel der Haushalte zur Miete wohnen, war es bislang schwierig für Mieter/innen, ihre Interessen geltend zu machen. Doch ihr Anteil nahm in den vergangenen Jahren zu (seit 2011 von 13 auf über 30 Prozent), weil die Kaufpreise im vergangenen Jahrzehnt förmlich explodierten. Seit die Europäische Zentralbank nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine den Leitzinssatz beständig erhöhte, können sich immer weniger Menschen eine Eigentumswohnung leisten. Versprachen Immobilieninvestitionen noch bis 2020 Wertsteigerungen von jährlich zehn bis 15 Prozent, ist das seit zwei Jahren nicht mehr der Fall. Es wird weniger gebaut, was den Preisdruck auf den Mietmarkt erhöht. Seit 2017 sind die Mietpreise (prix annoncés) landesweit um 60 Prozent gestiegen; alleine im ersten Quartal dieses Jahres um sechs Prozent, in Esch/Alzette sogar um elf Prozent (zum Vergleich: Zwischen 2010 und 2017 wurde landesweit eine Steigerung von 14,5 Prozent verzeichnet).

Die Mietenfrage birgt durchaus „sozialen Sprengstoff“, wie François Bausch (Grüne) es am Mittwoch in seiner letzten Kammersitzung ausdrückte. Zur Miete wohnen überwiegend ärmere Haushalte, für die hohe Mieten eine erhebliche Last darstellen: Laut Liser gaben 2019 rund 35 Prozent der Mieter/innen mehr als 40 Prozent ihres Einkommens für Wohnkosten aus. 2023 schätzten 59 Prozent der Haushalte, die ohne Zuschüsse auf dem freien Markt mieten, ihre Wohnungsausgaben als überzogen ein, wie das Observatoire de l’habitat in seiner am Dienstag veröffentlichten Note 36 berichtet. Daraus geht ebenfalls hervor, dass über die Hälfte der Mieter/innen auf dem freien Markt mit Problemen wie Schimmel, Feuchtigkeit und unzureichender Schall- oder Wärmedämmung zu kämpfen haben.

Solche Mängel können sie theoretisch vor der Mietkommission als Grund für eine Mietminderung geltend machen. Die Voraussetzung dafür ist einerseits, dass die Mieter/innen über ihre Rechte informiert sind, andererseits, dass ihre Gemeinde über eine funktionierende kommunale oder interkommunale (aus Ehrenamtlichen bestehende) Mietkommission verfügt. Die Forderung der Linken nach einer nationalen Mietkommission lehnten sowohl Henri Kox als auch sein Nachfolger ab.

Bis Claude Meisch eine neue Regelung für eine Mietobergrenze gefunden hat, sie die Zustimmung des Staatsrats erhält (der sich 2005 noch dafür ausgesprochen hatte, das „régime de fixation légale des loyers“ durch ein „régime de fixation libre“ zu ersetzen) und in Kraft treten kann, dürfte noch etwas Zeit vergehen. Eine Motion der Linken, die Mieten bis dahin einzufrieren, unterstützten am Mittwoch nur die Grünen. Die in den vergangenen Wochen insbesondere von François Bausch zur Legitimierung von Henri Kox’ Reformplänen wiederholt getätigte Aussage, die Fünf-Prozent-Regel sei nach dem „Limpertsberg“-Urteil de facto außer Kraft, stimmt indes nicht ganz, wie eine rezente Jurisprudenz verdeutlicht. In Esch/Alzette hatte eine Wohngemeinschaft vor zwei Jahren bei der kommunalen Mietkommission eine Mietminderung von 2 850 auf 815 Euro beantragt, nachdem der Eigentümer die Miete erhöhen und zudem an den Index koppeln wollte. Anders als die damals von einem Anwalt präsidierte Stater Mietkommission im Fall „Limpertsberg“, hatte die Escher Mietkommission unter dem Vorsitz des Grünen Meris Sehovic die Einwände der Vierer-WG ernst genommen und sie unterstützt. Aufgrund der vom Vermieter vorgelegten Dokumente (Kaufakt, Renovierungen, Unterhaltsarbeiten) und unter Berücksichtigung der Reevaluierungskoeffizienten sowie der Abschlagsregelung hatte sie das investierte Kapital des um 1926 errichteten und 1980 vom Eigentümer erworbenen Einfamilienhauses auf 400 820 Euro berechnet. Unter Anwendung der gesetzlichen Fünf-Prozent-Regel war die Kommission auf eine Monatsmiete von 1 670 Euro gekommen. Der Eigentümer empfand diesen Betrag als ungerechtfertigt und gegenüber den Marktpreisen, die in dem Escher Nobelviertel gezahlt werden, zu niedrig. Er legte Einspruch gegen die Entscheidung der Mietkommission ein, doch das Escher Friedensgericht wies den Einspruch zurück. Auch das Bezirksgericht Luxemburg gab den Mieterinnen in zweiter Instanz hinsichtlich der Mietminderung in Höhe von 1 180 Euro recht (sowohl der Bericht der Mietkommission als auch die Urteile liegen dem Land vor).

Der Unterschied zwischen dem Limpertsberger Urteil und dem aus Esch besteht wohl vor allem darin, dass der Eigentümer aus Esch die Rechnungen und Dokumente zur Ermittlung des investierten Kapitals vorlegte, statt sie zurückzuhalten. Mit seiner „Ehrlichkeit“ erleichterte der Vermieter sowohl der Mietkommission als auch dem Gericht die Anwendung des Gesetzes – zu seinem eigenen finanziellen Nachteil. Mit der Folge, dass er der Wohngemeinschaft nun gekündigt hat, weil er die Wohnung angeblich zu persönlichen Zwecken nutzen wolle.

Luc Laboulle
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