Vor fünf Jahren war die katholische Kirche groß in den sozialen Wohnungsbau eingestiegen. Mittlerweile setzt sie auf den freien Markt

„Wir bedauern das sehr“

d'Lëtzebuerger Land vom 05.03.2021

Ist der soziale Wohnungsbau für die katholischen Kirche eine wichtige Einnahmequelle? Was Weihbischof Leo Wagener dem Radio 100,7 am 24. Dezember sagte, konnte man so verstehen. Die Kirche, so Wagener, benötige „unbedingt andere Pfeiler von Einnahmen, zum Beispiel im Immobilienbereich“. Es gebe, fuhr er fort, „Pfarreien, die wirklich ganz weit gegangen sind, die auch im Bereich des sozialen Wohnungsbaus große Projekte gemacht haben. Wir müssen also viel aktiver werden, auch in diesem Bereich, um in Zukunft unsere Subsistenz abzusichern“.

Die Subsistenzfrage scheint sich für die Kirche akuter zu stellen als noch vor einem Jahr. Der Weihbischof hatte sich als „Invité vum Dag“ am Morgen von Heiligabend 2020 auch über die Auswirkungen der Corona-Seuche geäußert: Ein Drittel der Kirchgänger/innen bleibe mittlerweile zu Hause; vor allem ältere Menschen, vermutlich aus Sorge, sich anzustecken. Dadurch seien die Einnahmen aus Spenden und Kollekten je nach Pfarrei um 30 bis 40 Prozent zurückgegangen. In dem Interview hielt Leo Wagener es für unwahrscheinlich, dass der Kirchenbesuch wieder den Stand vor Ausbruch der Pandemie erreichen werde. Und er schloss nicht aus, dass Kirchen aus Geldmangel aufgegeben werden müssten.

Auf Nachfrage des Land bestreitet Leo Wagener jedoch, mit „anderen Pfeilern von Einnahmen“ den sozialen Wohnungsbau gemeint zu haben. „Mir ging es um den Wohnungsbau für den freien Markt, für die Mittelschicht. Wir haben ja eine Reihe von Grundstücken.“ Diese Art Wohnungsbau wolle das Bistum entwickeln. Im sozialen Wohnungsbau dagegen sei die Kirche von der Regierung „entmutigt“ worden. „Wir bedauern das sehr. Wir waren da richtig eingestiegen, wir hatten direkt Projekte für 200 bis 300 Wohnungen.“

Und die waren schon als Einnahmequelle gedacht – jedenfalls vor zwei Jahren. Kirchenfabriken und der Kierchefong, der am 1. Mai 2018 Rechtsnachfolger aller Kirchenfabriken geworden war, können wie gemeinnützige Vereine und Stiftungen für den Bau sozialer Mietwohnungen staatliche Subventionen beantragen. Die Subventionssätze sind ähnlich hoch wie die für Gemeinden und die beiden öffentlichen Bauträger Fonds du Logement und Société nationale des habitations à bon marché (SNHBM). Ein wichtiger Unterschied wird gemacht, wenn die Wohnungen fertig sind und vermietet werden: Dann müssen Gemeinden, Wohnungsbaufonds und SNHBM die Mieten nach einer einheitlichen „Sozialformel“ festlegen. Die Formel ist kompliziert, unter anderem berücksichtigt sie das verfügbare Nettoeinkommen eines Haushalts. Deshalb lagen die sozialen Mietpreise Anfang 2019 im landesweiten Schnitt bei knapp 4,50 Euro pro Quadratmeter.

Dagegen fasst das Wohnungsbau-Beihilfengesetz Vereine, Stiftungen und der Kierchefong als „private Träger“ auf. Sie sind nicht an die Sozialformel gebunden; was sie an Mieten erheben, regeln Konventionen mit dem Wohnungsbauministerium. Im Januar 2019 aber ergaben Recherchen des Land, dass das Ministerium nicht imstande war zu kontrollieren, welche Mieten tatsächlich erhoben wurden (d’Land, 11.1.2019). Und Kierchefong-Präsident Norbert Haupert hatte in der Vorweihnachtszeit 2018 – ebenfalls im Radio 100,7 – die Finanzlage der Pfarreien gar nicht so schwarz sehen wollen: Als die „Trennung von Kirche und Staat“ nahte, genauer gesagt, das Ende der öffentlichen Finanzierung des Kirchenbetriebs, hätten die Kirchenfabriken „nicht geschlafen“. Es gebe, erzählte er, „Kirchenfabriken, die ganz viel Arbeit geleistet haben, die Projekte im sozialen Wohnungsbau gemacht haben, um nachher Einnahmen zu bekommen und die Kirchen, die Katecheten, um all das funktionieren zu lassen“.

Der Eindruck, dass der Kirchenbetrieb über den Umweg des sozialen Wohnungsbaus kofinanziert werde, stellte sich vor zwei Jahren auch deshalb ein, weil Haupert gegenüber dem Land einräumen musste, dass in von Kirchenfabriken gebauten Wohnungen Mietpreise von bis zu zehn Euro pro Quadratmeter erhoben werden. Zumindest in neueren Wohnungen. Was zwar beim damaligem Stand nur halb so viel war wie auf dem freien Markt und noch immer dem Maximum entspricht, das Sozialagenturen berechnen, wenn sie Wohnungen stellvertretend für Privatbesitzer vermieten. Verglichen mit der Sozialmiete aber schien dem Kierchefong ein beträchtlicher Erlös zu winken. Dazu schien zu passen, dass die Zahl der Mietwohnungsprojekte, die Kirchenfabriken und später der Kierchefong zur Subvention einreichten, wuchs, während die politischen Diskussionen um die Abschaffung der Kirchenfabriken konkreter wurden. 2017 überschritt die Zahl der in Kirchen-Projekten geplanten Mietwohneinheiten die hundert. In den Jahren zuvor waren es allenfalls zwanzig. Im November 2019 wurde mit Plänen für 280 Mietwohnungen und 38 Studentenwohnungen der Höchststand erreicht.

Neue Projekte habe der Kierchefong seitdem keine eingereicht, bestätigt das Wohnungsbauministerium. Im Sommer 2019 hatte die damalige Ministerin Sam Tanson (Grüne) die Regeln geändert. Hatte sie im Februar 2019 auf die Land-Veröffentlichung hin erklärt, „es kann nicht sein, dass öffentliche Gelder, die wir zur Verfügung stellen, für andere Zwecke genutzt werden“ (d’Land, 15.2.2019), zeigte sich ein knappes halbes Jahr später, dass damit nicht nur Kontrollen gemeint sein sollten: Bis Juli 2019 konnte eine mit Staatszuschuss gebaute Mietwohnung nach Ablauf von zwanzig Jahren auf dem freien Markt verkauft werden. Diese Frist verdoppelte Sam Tanson auf vierzig Jahre. Der Kierchefong war entrüstet, auch weil die Entscheidung der Ministerin sehr plötzlich fiel. Das Luxemburger Wort sprang ihm bei und fand, das sei „an Dreistigkeit kaum zu überbieten“.

Die Wogen von damals haben sich geglättet. „Vierzig Jahre waren für uns einfach zu viel. Damit legt man ein Vermögen über beinahe zwei Generationen fest“, erklärt Weihbischof Leo Wagener. Eine Gemeindeverwaltung habe mit vierzig Jahren weniger Probleme als eine Pfarrei, glaubt er. „Es kann ja niemand wissen, welche Kosten innerhalb dieser Zeit auf die Pfarrei zukommen.“ Außerdem zeige die Erfahrung, dass Mietwohnungen nach ungefähr dreißig Jahren renoviert werden müssten. „Dass die Renovierung staatlich bezuschusst werden könnte, wurde uns damals nicht so deutlich gesagt.“ Ein weiterer Streitpunkt sei die Frage gewesen, ob Erlöse aus dem Sozialwohnungsbau in diesen reinvestiert werden müssten. Leo Wagener findet es noch immer „schade“, dass damals kein Deal möglich war.

Aber die Entscheidung der damaligen Wohnungsbauministerin war nicht nur eine politische, nachdem die Äußerungen des Kierchefong-Präsidenten Ende 2018 im Radio darauf hatten schließen lassen, dass die Regeln breit ausgelegt wurden. Das Ministerium verdoppelte die Frist bis zum Weiterverkauf auf dem freien Markt für sämtliche Träger – auch für die öffentlichen, die dann in Erbpacht verkaufen können. Einerseits sollte mit staatlicher Unterstützung errichteter Wohnraum generell länger als Mietwohnraum mit niedrigeren Preisen erhalten bleiben. Andererseits war das Teil einer größeren Operation: Die Subventionen für Neubauwohnungen sollten an eine Entscheidung der EU-Kommission über Staatsbeihilfen angepasst werden. Sam Tanson kündigte damals an, sämtliche Projekte „konform zu machen“ (d’Land, 6.9.2019). In der Kommissions-Entscheidung steht, aus Beihilfen für Projekte, die im allgemeinen Interesse ausgeführt werden, dürfe nur ein „bénéfice raisonnable“ entstehen. „Vernünftig“ demnach der gültige Swap-Zinssatz plus hundert Basispunkte. Da der Swap im Moment nahe Null liegt, kann der Erlös kaum höher sein als ein Prozent. Zurzeit jedenfalls.

Vielleicht war es neben den vierzig Jahren auch diese Argumentation, die Kierchefong und Bistum die Lust auf sozialen Wohnungsbau nahm und sie jetzt auf den freien Markt setzen lässt, um, wie Leo Wagener sich ausdrückt, über „eine sichere und rekurrente Einnahmequelle“ zu verfügen. Wer auf dem freien Markt vermietet, darf laut Mietgesetz jährlich bis zu fünf Prozent vom investierten Kapital als Erlös aus der Miete erzielen. Leo Wagener versichert, „so teuer wie auf dem freien Markt vermieten wir nicht“. Mehr als die „erschwinglichen zehn Euro“ pro Quadratmeter nehme der Kierchefong aber.

Peter Feist
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