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Mythos Marilyn

d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.2022

Marilyn Monroe – der Name steht heute weniger für eine Schauspielerin, weniger noch für eine Frau, vielmehr für ein Konsumprodukt der Unterhaltungsindustrie, das das klassische Hollywoodsystem aus seiner heiligen Dreifaltigkeit von Studios, Stars und Genres hervorbrachte. Die Frau hinter diesem Namen und mehr noch hinter dieser körperlichen Hülle, hieß Norma Jeane Baker, eine naive und unsichere junge Frau, die aufgrund einschneidender Schicksalsschläge im Kindesalter, etwa der Abwesenheit des Vaters, der geistig gestörten Mutter, zu einer traumatisierten Gestalt wurde; ein Umstand, der den Weg für eine Karriere im Filmgeschäft von Ausbeutung, Missbrauch und Erniedrigung ebnete.

Damit jedenfalls ist die Ausgangslage von Blonde des neuseeländischen Regisseurs Andrew Dominik ausreichend skizziert, der den Großteil seines Porträts Marilyn Monroes auf diesen Aspekt stützt. Gleich vorweg: Blonde ist kein klassisches Biopic und gibt auch nicht vor, eines zu sein, obschon Dominik viele mehr oder weniger bekannte Fotos nachstellt und minutiös rekonstruierte Ausschnitte aus mehreren Filmen mit Marilyn Monroe wieder aufleben lässt. Nicht umsonst heißt es in dem gleichnamigen Roman von Joyce Carol Oates, auf dem der Film basiert, ganz unmissverständlich: „Blonde ist ein fiktionales Werk.“ Die Frage, inwieweit dieses Monroe-Bild mit der Historie in Einklang steht, ist demnach so müßig wie es nachgerade töricht wäre, von einem Spielfilm die „wahre“ Geschichtsschreibung zu erwarten. Von einem ausgewiesenen Filmemacher wie Andrew Dominik (The Assassination of Jessie James and the Coward Robert Ford, 2007; Killing Them Softly, 2012) darf man aber erwarten, dass er aus diesem Stoff ein spannendes Filmereignis gestalten würde. Das Problem des Films liegt nicht darin, dass er die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion unkenntlich macht, sondern an seinem begrenzten Blickwinkel: Andrew Dominik zeigt das Leben des Filmstars als eine Abfolge von Ausbeutung, Manipulation, Erniedrigung und sexuellem Missbrauch. Unerbittlich und ausschließlich, sodass sich schnell ein Sog entfaltet, der aufgrund seiner Schematisierung, Plakativität und Redundanz nie zu einer wirksamen Aussagekraft gelangt. Diese Norma Jeane ist keine Frau, die für ihren Ruhm hart arbeitet, die auch nur ansatzweise den Willen zur weiblichen Selbstbestimmung sucht. Nein, sie ist eine naive Frau, die zwischen ihrer Person und ihrer Rolle keine Trennlinie zu ziehen vermag; die Schauspielerin Ana de Armas macht dafür beispielhaft von ihren großen Rehaugen Gebrauch, ja limitiert sich auf diese. Blonde ist demnach ebenso wenig ein Film über die Kunstfertigkeit des Schauspiels: Weder ist es ein Film über die Schauspielerin Marilyn Monroe, zumal obendrein suggeriert wird, dass ihr schauspielerisches Können von niedrigem Rang ist, noch ist darin ein lustvolles Ausreizen der für Ana de Armas gegebenen Möglichkeiten der Doppelung, des Spiels im Spiel, erkennbar.

Regisseur Andrew Dominik hat seinen Film und die Vorlage ganz bewusst und konsequent bearbeitet. Blonde ist ein filmisches Porträt, das ganz als Alptraum angelegt ist. Getragen von einem suggestiven Soundtrack von Nick Cave und Warren Ellis schöpft Blonde zwischen Schwarz-Weiß-Bildern, Farbaufnahmen und Formatwechseln hin- und herspringend, die nahezu traumähnlich durch Monroes Leben führen, das filmisch-sinnliche Potenzial der Form aus, der Stringenz der Erzählung zuwiderlaufend. So desillusioniert und hart sich Blonde geben mag, erscheint der Film am Ende doch wie gepflegte bürgerliche Unterhaltung im Sinne der konsensstiftenden Botschaft, dass die Übergriffe des Studiosystems Hollywood sowie der „male gaze“ damals wie heute als verachtenswert eingestuft werden dürfen. So ungeschminkt und entzaubernd Dominiks Blick auf diese Ikone des 20. Jahrhunderts ist, so elektrisierend und befeuernd wirkt Blonde in der Aufrechterhaltung und Zuspitzung des „Mythos Marilyn Monroe“.

Marc Trappendreher
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