Rentenanpassung

Stellschraubendreher

d'Lëtzebuerger Land vom 22.11.2013

Das sah taktisch clever aus: Am Dienstag schrieb der OGBL in einer Pressemitteilung, Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) habe nicht nur für die amtierende Regierung erklärt, „eventuelle Rentenkürzungen“ zu Beginn des neuen Jahres würden „unmöglich“, sondern habe diese Zusage auch von den künftigen Dreierkoalitionären erhalten. Da hatte Finanzminister Luc Frieden (CSV) zwar schon den Übergangs-Budgetgesetzentwurf für die ersten vier Monate von 2014 im Parlament eingereicht, und darin steht, wie diese Kürzungen vermieden werden sollen. Aber Diskussionen darüber dürfte es noch geben. Vor allem mit dem Unternehmerverband UEL, der am Montag gegen einen solchen Eingriff opponierte. Da kann es nur klug erscheinen, die neue Regierung öffentlichkeitswirksam an sich binden zu wollen.

Ob von einem politischen Sieg der Gewerkschaften gesprochen werden kann, muss sich aber noch zeigen. Weil zwischen 2011 und 2012 die Reallohnentwicklung negativ war, müssten die Renten bei der automatischen Anpassung an die Reallöhne zwangsläufig sinken. Denn in die Rechnung geht die Reallohntendenz zwischen dem zweiten und dem dritten Kalenderjahr vor Fälligwerden der Rentenanpassung ein, so steht es im Gesetz. Sie würde sich mit minus 0,3 Prozent auf die Bruttorenten auswirken, hat das Sozialministerium ausgerechnet. Am Ende werden das netto nur ein paar Euro monatlich sein, doch dass die Gewerkschaften dagegen aufbegehren, ist plausibel: Seit 2007 wurde die Rentenanpassung dreimal ausgesetzt oder zeitlich gestreckt. Damals aber lag das noch im Ermessen der Regierung. Seit der Pensionsreform vom letzten Jahr erfolgt die Rentenanpassung tatsächlich automatisch. Greifen die Gewerkschaften die Negativanpassung zum 1. Januar an, greifen sie die Pensionsreform an. Denn darin steht auch, dass die Anpassung um die Hälfte gekürzt oder ganz abgeschafft werden kann, sobald der Beitragssatz zur Pensionskasse nicht mehr ausreicht, um deren Reserven zu erhöhen. Voraussichtlich 2018 bis 2020 sollte das der Fall sein können, hieß es während der Reformdebatte. Diese Option war für die Gewerkschaften einer der größten Anstöße bei der Reform gewesen. Am Ende trösteten sie sich damit, dass diese Aussicht noch in ziemlich weiter Ferne liege.

Das aber muss nun nicht mehr so sein. Denn um die Rentenkürzung zum 1. Januar zu vermeiden, nutzt der Budgetgesetzentwurf einen Kniff aus der Pen-sionsreform. Die hat einen so genannten Modérateur eingeführt – einen Korrekturfaktor, mit dem die Reallohnzuwachsrate multipliziert wird. Bis etwa 2018 sollte der Modérateur bei eins stehen und die Anpassung der bestehenden Renten voll wirksam bleiben. Danach sollte er auf 0,5 bis null sinken können. Bei null gäbe es keine Anpassung mehr. Doch: Um die Anpassung zum 1. Januar nicht vornehmen zu müssen, soll der Modérateur schon jetzt auf null gesenkt werden. Die Reallohnentwicklung würde damit künstlich auf null gezogen statt auf -0,3 Prozent. Nur so lässt sich auf die Schnelle das Versprechen „keine Rentenkürzung“ einlösen, ohne dafür eine Reform der Pensionsreform vornehmen zu müssen.

Die kleine Manipulation des Modérateur muss nicht bedeuten, dass die Rentenanpassung schon zehn Jahre eher verloren ist als in der Pensionsreform vage angedeutet – kann aber. Politisch wird die Zuständigkeit für die Rentenanpassung damit auf jeden Fall erneut an die Regierung zurückgegeben, wo doch eigentlich zumindest für ein paar Jahre Ruhe und Berechenbarkeit herrschen sollten. Gut möglich, dass sich nach dem Drehen an der Stellschraube Modérateur ziemlich bald nach Amtsantritt des neuen Kabinetts eine Debatte um die Rentenleistungen und die Rentenversprechen entzündet, auf die die Koalitionäre nicht vorbereitet sind.

Aber das hängt von Gewerkschaften und Patronat ab. Denn erstaunlicherweise steht in Friedens Gesetzentwurf, dass nicht nur für 2012, sondern auch für 2013 der Modérateur null betragen soll. Was bedeutet, dass auch Anfang 2015, wenn die Renten an die Reallohnentwicklung 2012/2013 angepasst werden, kein Ré-ajustement erfolgt. Di Bartolomeo aber hatte vergangene Woche die frohe Kunde verbreitet, dieses Jahr würden die Reallöhne „voraussichtlich“ gestiegen sein. Aber vielleicht hoffen DP, LSAP und Grüne und mit ihnen die CSV und ihr Noch-Finanzminister ja, dass eine nächstes Jahr ausbleibende Rentensenkung den Gewerkschaften gefällt und die Aussicht auf eine 2015 nicht gewährte Rentenerhöhung die Unternehmer beruhigt. Und dass das Rententhema in der neuen Legislaturperiode doch nicht zu sehr politisiert zu werden braucht – angesichts von Reserven von beinahe zwölf Milliarden Euro.

Peter Feist
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