Reform unterer Sekundarunterricht

Bindeglied

d'Lëtzebuerger Land du 30.09.2010

„Da gibt es eine gewisse Kohärenz“, sagte der schulpolitische Sprecher der Liberalen, Eugène Berger, am Mittwochnachmittag nach der Sitzung im Parlament. Zuvor hatte Erziehungsministe-rin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) etwas eilig in gerade einmal 35 Minuten ihre Reform der unteren Klassen des Sekundarunterrichts in der parlamentarischen Bildungskommission vorgestellt. Kernstück der auf 109 Seiten zusammengefassten Änderungen: Der Kompetenz­ansatz, der letztes Jahr in den Grundschulen eingeführt wurde, wird auf der Sekundarstufe fortgesetzt.

Neu ist das nicht: Im Rahmen des unter Delvaux’ Vorgängerin Anne Brasseur (DP) eingeführten (und dann von ihr kritisierten) Projet cycle inférieur, auch bekannt als Proci, hatten sechs Schu-len vor sechs Jahren freiwillig zentrale Bausteine der Reform im technischen Unterricht (EST) bereits vorgenommen: Proci-Schüler blieben in der siebenten und achten Klasse (dem fünften Zyklus) zusammen; die Klasse zu wiederholen war nicht vorgesehen. Im Prinzip, denn rund 25 Prozent der Proci-Jugendlichen wiederholten die 9e freiwillig, um doch noch ihre Wunschausbildung zu packen. Der Unterricht ist auf Kompetenzen umgestellt, ein Tutor kümmert sich um eine begrenzte Anzahl Schüler, Portfolio und kompetenz­basierte Zensuren sollen die Lernfortschritte etwa in den Sprachen präziser abbilden.

Die Zwischenergebnisse des Pilotversuchs konnten sich sehen lassen: Proci-Schüler schnitten bei der Pisa-Bildungsstudie deutlich besser ab als ihre Klassenkameraden aus den Regelschulen, weshalb die Kernelemente nun auf allen anderen Lyzeen ausgedehnt werden.

Die Ministerin setze zu sehr auf „Quantität statt Qualität“, be-mängelt dagegen Berger und meint die Möglichkeit für schwache Schüler, nach der 9e (Régime Technique ebenso wie Préparatoire) gegebenenfalls ein weiteres Jahr anhängen zu können. Wichtiger als verlängerte Schuljahre sei eine „andere pädagogische Praxis“.

Bedenken, die auch Claude Adam teilt. Der grüne Abgeordnete stört sich mehr noch als an der so genannten 9e-allongée an der „verpassten Gele-genheit“, den Übergang zwischen Technique und Classique durchlässiger zu machen. Grundsätzlich soll ein Jugendlicher, der mehr als die vorgeschriebenen Basiskompetenzen erreicht (Socles avancés), künftig vom EST direkt in den Classique wechseln können. Allerdings verfügen noch immer sechs Lyzeen im Land nicht über beide Schulzweige. Die Kompensationsmöglichkeiten für Schüler, die auf der Kippe stehen, werden abgeschafft. Wer die Mindestkompetenzen am Ende des Schuljahrs nicht erreicht, soll ohne Umwege direkt in den Préparatoire ver-wiesen werden, um dort mit einem „Plan de prise en charge“ individualisiert betreut zu werden, so die Ministerin.

Das müsste doch jenen die Sorgen nehmen, die in der Unterrichtskommission die Gefahr eines Nivellement vers le bas thematisiert haben: die Abgeordneten des christlich-sozialen Koalitionspartners und, wenig überraschend, Fernand Kartheiser von der ADR, der weder mit dem Kompetenzansatz, noch mit der neuen Benotung etwas anfangen kann.

Letztere dürfte, ähnlich wie in der Grundschule, zumindest bei Eltern für Diskussionen sorgen. Denn wie laut dem ministeriellen Dokument Lernfortschritte entlang von Kompetenzen beschrieben werden sollen, dürfte sogar Experten schwindelig werden lassen: Im Profil d’orientation, das künftig jeder Schüler nach der 9e erhält und das ein nuanciertes Zeugnis der Kompetenzen darstellt, als „Socle atteint“ oder „Socle avancé“; im umgemodelten Complément au bulletin mit den Würdigungen „insuffisant“, „satisfaisant“, „bien“, „très bien“; in der Classe d’accueil für ausländische Quereinsteiger A für „acquis“, CA für „en cours d’acquisition“ und so weiter. Man werde die Zeugnisse später vereinheitlichen, versprach Mady Delvaux-Stehres, die erneut betonte, an den Punkten im Sekundarunterricht festhalten zu wollen.

Eine Änderung dürfte aber weitgehend auf Zustimmung stoßen: Die neue Orientierungsprozedur soll bereits in der 7e EST beginnen, wo die Jungen und Mädchen sich und ihre Interessen entdecken und erforschen sollen. In der 8e (und nicht wie heute in der 9e) werden sie umfassend und für alle Lyzeen einheitlich über die weiteren Ausbildungswege informiert, worauf hin die Jugendlichen ein Projet personnel entwickeln sollen: was sie für eine Ausbildung anstreben und wie sie diese erreichen wollen. Mit dem verbindlichen Profil d’orientation, das die erreichten Kompetenzen Ende der 9e zusammenfasst, erfolgt dann die Orientierung zu den weiteren Ausbildungswegen.

Ines Kurschat
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