EU-Druck sorgt dafür, dass Luxemburg in knapp zwei Jahren ein Patientenrechtsgesetz haben muss. Die Zeit bis dahin könnte für die Diskussion des Themas auch nötig sein

König Patient und sein Arzt

d'Lëtzebuerger Land du 07.10.2011

Es war schon aufsehenerregend, was vor zwei Wochen die Patientevertriedung Asbl auf einer Pressekonferenz erklärte: Der Vorentwurf zu einem Patientenrechtsgesetz von Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) sei so mangelhaft, dass er „ganz neu“ geschrieben werden müsse.

An diesem Verriss erstaunte vor allem, dass er öffentlich stattfand. Denn was Di Bartolomeo Mitte April den Akteuren im Gesundheitswesen zur Konsultation hatte zukommen lassen, war nur die allererste Fassung eines Gesetzes-Vorentwurfs; ein non-paper, das auch nicht ein einziges Mal im Regierungsrat diskutiert wurde. Die Patientevertriedung aber beließ es nicht nur bei ihrer scharfen Kritik, sondern teilte den Text des Ministers samt Motivenbericht und Artikelkommentaren an die Journalisten aus.

Man habe sich dazu entschlossen, weil das Thema so wichtig sei und der Text schon halb-öffentlich zirkuliere; verschiedene Gutachten dazu ebenfalls, erklärte die Asbl. Damit hat sie nicht Unrecht, denn Patientenrechte gehen im Grunde die gesamte Bevölkerung an. Und während etwa die Ärztekammer ihren Avis zu dem Text auf ihrer Homepage veröffentlicht hat, druckte der Ärzteverband AMMD seine Stellungnahme samt aller Vorlagen des Ministers im Sommer in seiner Mitgliederzeitschrift ab.

Es dürfte aber noch einen anderen Grund für den Vorstoß der Vereinigung geben: Di Bartolomeos Text rührt an den Daseinsgrund der derzeit einzigen Patientenrechtsorganisation im Lande.

Der Text will eine Menge regeln. Nicht nur die „Rechte und Pflichten“ von Patienten und Gesundheitsdienstleistern untereinander; er will auch die Frage klären, wann ein Patient als „aufgeklärt informiert“ angesehen werden kann, um einer Behandlung zuzustimmen. Er will außerdem festlegen, wer Einsicht in das Patientendossier erhält und welche „Vertrauensperson“ die Vertretung des Patienten übernehmen darf. Nicht zuletzt sollen durch das Patientenrechtsgesetz Mediations-Instanzen für Streitfälle eingerichtet werden.

Doch an den Artikeln im Text des Ministers fällt unter anderem auf, dass als Vertrauensperson in Vertretung des Patienten nur ein Angehöriger oder ein „Gesundheitsberufler“ in Frage kommt – nicht aber eine moralische Person, die eine Patientenrechtsorganisation sein könnte. Dass die Patientevetriedung, wie derzeit, mit schriftlichem Mandat eines Bürgers für diesen Einblick in Behandlungsdossiers nimmt oder ihn bei einem Mediationsversuch vertritt, wäre künftig nicht mehr möglich. Ausgerechnet, wenn das Verhältnis zwischen Patient und Gesundheitsdienstleister hierzulande einen eigenen zivilrechtlichen Rahmen erhält.

Der Vorstoß der Patientevertriedung ist aber nicht der einzige Hinweis darauf, dass die Auseinandersetzungen um das Patientenrechtsgesetz noch kompliziert und spannungsreich werden könnten. Dabei steht das Vorhaben unter Druck aus Europa: Die im März dieses Jahres in Kraft getretene Richtlinie über die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung muss bis 1. September 2013 umgesetzt sein. Sie schreibt den Mitgliedstaaten unter anderem vor, dafür zu sorgen, dass EU-Ausländer, die sich bei ihnen in medizinische Behandlung begeben, dieselben Patientenrechte genießen wie die Einheimischen. Die Luxemburger Rechtslage, in der bisher Patientenrechte nur punktuell geregelt sind, wie im Palliativgesetz und Euthanasiegesetz, und abgesehen davon allein beim Krankenhausaufenthalt in ein paar Hinsichten, muss sich damit in knapp zwei Jahren mit der im Ausland messen.

Womöglich aber ist die bis dahin noch verbleibende Zeit gerade genug zur Diskussion und Verabschiesung des neuen Gesetzes. Der neue zivilrechtliche Rahmen beträfe vor allem das Verhältnis zwischen Pa-tient und Arzt. Denn dieser ist es, der eine Behandlung verschreibt oder sie ausführt.

Weil damit die ärztliche Haftpflicht berührt ist, erstaunt es nicht, dass „Information“ und „Mediation“ die wichtigsten Punkte in den Stellungnahmen sind, die Patientevertriedung und Ärzteverband zu Di Bartolomeos Vorentwurf abgegeben haben.

Der erste Punkt betrifft die Frage nach der Vorab-Information des Patienten, ehe dieser seine aufgeklärte Zustimmung, sein consentement éclairé, zu einer Behandlung erteilt. und diese nicht etwa später allerschlimmstenfalls in einem Strafprozess als fahrlässige Körperverletzung betrachtet werden kann. Die AMMD weist darauf hin, wie kritisch diese Frage ist – und wie ungeklärt in Luxemburg: Bei einer noch nicht lange zurückliegenden Affäre vor dem Bezirksgericht Luxemburg hatte eine Patientin geklagt, dass bei einer Operation nicht die Technik angewandt worden sei, über die sie vom behandelnden Arzt unterrichtet wurde. Die erste Instanz gab der Patientin Recht. Die zweite Instanz dagegen entschied im Berfungsverfahren, weil die Patientin von Beruf Krankenschwester sei, hätte sie um die Risiken der Operation wissen müssen, auch ohne darüber gesondert inforniert worden zu sein.

Sowohl die AMMD, wie auch die Patientenvertriedung meinen, dass im Patientengesetz präzise festgelegt werden müsse, wie die Information sich später beweisen lässt. Denn landet eine Patientenklage vor Gericht, wird sehr oft zusätzlich zu einem Vorwurf auf Behandlungsfehler noch vorgebracht, der Patient sei über das Risiko, das sich später einstellte, nicht informiert gewesen. Aber ganz trivial ist die Lösung offenbar nicht: Während die AMMD findet, sie könne darin bestehen, dass behördlich standardisierte Erklärungs-Formulare eingeführt werden, die der Patient unterschreibt, wäre das für Steve Ehrmann, Berater bei der Patientevertriedung, noch keine Garantie dafür „dass der Patient auch wirklich verstanden hat, was da geschrieben steht“. Die mündliche Erklärung durch den Arzt sei unverzichtbar. Vielleicht müsse man die Zustimmung des Patienten „in Etappen einholen und jeweils genau dokumentieren lassen, auch, wenn das länger dauert“.

Doch eine solche Frage ist vergleichweise „technisch“ verglichen mit der nach dem Umgang mit Patienten-Reklamationen. Dass die in Luxemburg immer häufiger vor Gericht landen würden, wie der Ärzteverband, aber auch Krankenhausbetreiber schon seit längerem erklären, lässt sich zwar nicht anhand von Gerichtsstatistiken nachvollziehen, weil die nicht nach dem Klagegrund unterscheiden. Aber von den von der Patientevertriedung 2010 behandelten Dossiers führte knapp die Hälfte zu einer Klage, und Steve Ehrmann stellt fest: „Zu uns kommen immer mehr Leute, die gleich sagen: ,Wenn ihr mir nicht helfen könnt, klage ich’.“ Was zumindest nicht darauf hindeutet, dass die Zahl der Gerichtsklagen sinkt.

Damit sie gar nicht nötig werden, „weil sich gut und gern 90 Prozent aller Reklamationen durch Kommunikationen ausräumen lassen“, wie Ehrmann aus Erfahrung schätzt, wurde schon unter Di Bartolomeos Vorgänger Carlo Wagner darüber nachgedacht, eine Mediation einzuführen. Di Bartolomeo griff das auf. Doch erst nach der Krise in der neurochirurgischen Abteilung des CHL, als öffentlich von mehreren Fällen angeblicher Fehlbehandlung die Rede war, kam Schwung in die Angelegenheit: Der Gesundheitsminister bestand nicht nur darauf, die Behandlung von Patientenreklamatio-nen innerhalb der Spitäle zu verbessern. Er versprach auch, auf nationaler Ebene neben einer Media-tionstelle zur gütlichen Einigung auch eine Schlichtungsinstanz für Patientenbeschwerden einzuführen.

Aber obwohl auch die Patientevertriedung findet, dass „nur Anwälten damit gedient wäre, wenn das Arzt-Patient-Verhältnis so angespannt würde, dass ein Mediziner ständig auf der Hut vor einer Klage sein müsste“, wie Ehrmann unterstreicht, könnte es zum Kapitel „Mediation“ im Patientenrechtsgesetz besonders schwierig werden, einen Konsens zu finden. Während die AMMD nur der Schaffung einer Mediationsstelle zustimmt, ginge das der Patientevetriedung nicht weit genug: Der nationale Patienten-Mediateur sollte auch über Beamte mit polizeilicher Untersuchungsvollmacht verfügen.

So weit will der Gesundheitsminister bisher in seinem Text nicht gehen. Der sieht vor, in jedem Spital eine Mediationsstelle zu schaffen, und daneben eine nationale Struktur mit einem von der Regierung ernannten Mediateur an der Spitze. „Bei Bedarf“ aber „könnten“ für die nationale Stelle „besondere Prozeduren“ festgelegt werden, damit sie Expertengutachten in Auftrag geben kann.

Der Ärzteverband hat bereits seine „formelle Opposition“ für den Fall erklärt, dass nicht ausdrücklich festgeschrieben würde, diese Experten nur im Konsens mit dem von der Patientenreklamation betroffenen Mediziner zu bestellen. Aber damit könnte die Debatte um die außergerichtliche Einigung noch nicht beendet sein. Ginge es nach der AMMD, würde mit dem Patientenrechtsgesetz auch das No fault-Prinzip eingeführt, für das sie seit vier Jahren eintritt: Es liefe einerseits darauf hinaus anzuerkennen, dass es bei Diagnose und Therapie Unwägbarkeiten geben kann, die sich für den Patienten verhängnisvoll auswirken können, auf die Gesundheitsdienstleister – nicht nur Ärzte – jedoch nicht unbedingt Einfluss haben. Statt in einem solchen Fall in einem langwierigen und kostspieligen Verfahren eine Fehlbehandlung nachzuweisen, könnten die Patien-ten nach einer Tariftabelle entschädigt werden; die Kosten übernähme ein öffentlicher Fonds.

Solche Entschädigungsmöglichkei-ten, die von den Ärzten im Gegenzug Haftungsdruck nehmen und ihre hohen Berufshaftpflichtprämien sinken lassen, gibt es mittlerweile nicht nur in den skandinavischen Ländern mit ihren staatlichen Gesundheitssystemen, sondern auch in Frankreich, Belgien oder einzelnen österreichischen Bundesländern. Die Luxemburger Regierung hat im Koalitionsvertrag verienbart, No fault zu „studieren“.

Auf der Pressekonferenz der Patien-tevertriedung vor zwei Woche war No fault allerdings der einzige Punkt aus dem Avis der AMMD zu Di Bartolomeos Text, den die Asbl kommentierte – und ablehnte. Hauptgrund: Dass der Entschädigungsfonds öffentlich gespeist und „die Bürger ihre Entschädigungen selber finanzieren“ würden, könne nicht sein. Wegen der starken Präsenz vom OGBL-Vertretern im Vorstand der Patientevertriedung scheint es nicht ausgeschlossen, dass zu No fault eine große Abwehrdebatte geführt werden könnte. Im Gesundheitsministerium aber soll demnächst tatsächlich das Studium dieser Option beginnen – erklärt der Minister dem Land auf Anfrage.

Peter Feist
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