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Du meine kleine Unterwelt

d'Lëtzebuerger Land vom 07.10.2010

Auftragsstücke im Theater sind immer gut gemeint. Aber nicht immer gut. Sie entstehen aus der hehren Absicht, junge Autoren oder Regisseure unterstützen zu wollen, oder, öfters, weil ein Interessenverbund aus einem Theater und einer öffentlichen Vereinigung ein bestimmtes Thema auf die Bühne bringen will. Den Auftragsarbeiten haften die zähen Umstände ihrer Entstehung an, die unbedingte Absicht allen guten Intentionen und Erwartungen der Organisatoren gerecht zu werden.

Ihre Bedenken bezüglich der Anfrage des Kasemattentheaters beschreibt Regisseurin Carole Lorang in der Beilage zur szenischen Gestaltung Zerbrochen: „Es scheint mir wichtig, ein Thema wie häusliche Gewalt auch im Theater anzusprechen... Gleichzeitig fand ich es aber zunächst schwierig, das richtige Material, das dieser Thematik gerecht wird, zu finden. Mir fehlte der persönliche Bezug und es besteht bei einem solchen Thema auch immer die Gefahr, in die Gefühlsduselei abzurutschen und ausschliesslich die Opferperspektive zu berücksichtigen.“ Für Carole Lorang kam wohl erschwerend hinzu, dass das Stück Die zerbrochene Schale der finnischen Autorin Merja Repo, das der Inszenierung zugrunde liegen sollte, sowohl von der Sprache wie vom Aufbau eine flache, eher uninteressante Arbeit einer unbekannten Schriftstellerin ist.

Carole Lorang konnte sich letztendlich nur so aus der Affäre ziehen, wie sie es getan hat. Indem sie sich in Recherchen stürzt, um den eigenen Bezug zum Thema herzustellen und die Vorlage von Merja Repo mit literarischen Beiträgen von Heiner Müller, Kurt Tucholsky, Franz Kafka und Gottfried Benn, sowie mit wissenschaftlichen Texten zu ergänzen. Dadurch dass die Textcollage, die so entstanden ist, von zwei Schauspielerinnen vorgetragen wird, sind unterschiedliche Perspektiven möglich. Zudem wird die von Carole Lorang benannte „Gefahr in die Gefühlsduselei abzurutschen“ dadurch gebannt, dass sobald emotionale Nähe entsteht, auf die nächste Person gezappt wird.

Die Stärken der Inszenierung werden zu ihren Schwächen. Die intelligente Lösung, den Vortrag der Texte mit zwei Frauen in Szene zu setzen, gerät aus dem Gleichgewicht durch die unübersehbare Tatsache, dass die junge Tammy Reichling der in starken Frauenrollen erfahrenen Sascha Ley in körperlichem wie sprachlichem Ausdruck nicht ebenbürtig ist. Dies ist umso bedauerlicher, da es bei dem schwierigen Thema auf die Glaubwürdigkeit der Darstellung ankommt.

Carole Lorang wirkt derart bemüht, „nicht in das Register eines Betroffenheitstheaters mit großen Emo-tionen zu verfallen“, wie sie es selbst ausdrückt, dass die Perspektivenwechsel, Sprünge von Text zu Text, von Person zu Person, so rasant verlaufen, dass dem Zuschauer tatsächlich keine Möglichkeit für Betroffenheit oder Reflexion geboten wird. Man darf sich aber fragen, warum bei einem derart gefühlsbestimmten Thema jegliche emotionale wie intellektuelle Anteilnahme ausgeblendet werden soll. Die betonte Nüchternheit der kurzatmigen Darbietung (das Stück dauert weniger als eine Stunde) entlässt den Besucher relativ schadlos in die Nacht.

Erst der Blick in die Luxemburger Statistiken vergegenwärtigt dem Unkundigen, dass das Thema „Gewalt gegen Frauen“ oder „Häusliche Gewalt“ auch (oder gerade auch?) vor dem Wohlfahrtsländchen Luxemburg nicht haltmacht. Hinter den hellen Fassaden wird heftig zugeschlagen. Das Gesetz gegen häusliche Gewalt, das am 1.November 2003 in Kraft getreten ist, dient nicht nur der Prävention. Die diesbezüglichen „Wegweisungsmaßnahmen“ für die Täter werden durchaus angewandt, und zwar öfters als man meinen könnte. Da der Bezug zur Realität unabdingbar ist, um das Publikum für das Thema zu sensibilisieren, ist der stärkste Beitrag zu Zerbrochen die Auszüge aus den Gesprächsprotokollen mit Opfern, die Eléonore Mercier in ihrer 17-jährigen Tätigkeit als Sozialarbeiterin zusammengetragen hat.

„Was muss man nur tun, damit er nicht mehr schlägt?“ Der Text von Merja Repo verfolgt den evolutiven Verlauf einer gewalttätigen unheilvollen Beziehung. In ganzen 16 Phasen wird die Entwicklung vom ersten Treffen, über Schläge in der Schwangerschaft, Gefühle der Schuld, Scham und Hilflosigkeit beim Opfer bis hin zur Flucht aus dem Familienhaus und der Rache am Täter beschrieben. Leider wartet das Stück der finnischen Autorin mit zu viel Klischees und einer unglaubwürdigen Schlussentwicklung auf, als dass man die psychologischen Hintergründe von Opfer und Täter nachvollziehen könnte. Zerbrochen ist der erste Programmpunkt einer Reihe von Veranstaltungen, die auf dem Gebiet der Stadt Luxemburg unter dem Titel Femmes/violences in den nächsten Monaten stattfinden. Ein Blick ins Programm des Théâtre du Centaure erlaubt, sich die anstehenden Theaterinszenierungen zum Thema zu notieren.

Zerbrochen, eine szenische Gestaltung von Carole Lorang, mit Tammy Reichling und Sascha Ley, Raumgestaltung von Anouk Schiltz, weitere Aufführungen am 8., 9., 13., 14.,15. und 19. Oktober, jeweils um 20 Uhr im Kasemattentheater. Kartenvorbestellung unter
Anne Schroeder I
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