Staatliche Buchführung nach SEC-95-Norm

Der dritte Band

d'Lëtzebuerger Land vom 08.03.2007

Für einige Verwirrung sorgte im vergangenen Jahr, dass der Staat beim Verkauf beziehungsweise Tausch seiner Arcelor-Aktien 451 Millionen Euro kassierte, die nirgends als Einnahmen im Staatshaushalt auftauchten (d’Land, 17.11.06). Aber das war nur ein Vorgeschmack auf die neuen, mit dem Maastrichter Stabilitätspakt verbundenen Regeln für die staatliche Buchführung nach der europäischen statistischen Norm SEC 95. Diese sich enger an der Buchführung gewerblicher Unternehmen orientierenden Regeln sollen in den nächsten Jahren den Staatshaushalt tiefgreifend verändernund damit auch den Blick, den Wähler und Politiker auf die Staatsfinanzen werfen.

Versprochen wird eine größere Transparenz: Der Einbruch der Einnahmen von 2002, den die Regierung erst mit Verzögerung gemerkt hatte, hätte sich nach den SEC-95-Regeln schneller im Staatshaushalt bemerkbar gemacht–vorausgesetzt, der Staat hätte rechtzeitig über das nötige Zahlenmaterial verfügt ...

Seit der Einführung der doppelten Buchhaltung vor fast einem Jahrtausend sind Buchhaltungsregeln aber weder objektiv noch neutral. Deshalb hatten Oppositionspolitiker bereits beim Haushaltsentwurf für das laufende Jahr der Regierung vorgeworfen, die öffentliche Meinung zu manipulieren, indem sie Zahlen aus dem Haushalt des Gesamtstaats, des Zentralstaats und der Zentralverwaltung so vermischte, wie es ihr gerade passte.

Doch zuerst wirft die Umstellung praktische Probleme auf. Eine Arbeitsgruppe von Regierung und Parlament soll deshalb bis Ende des Jahres den Übergang planen und Lösungsvorschläge suchen. Diese Woche entsandte der parlamentarische Haushalts- und Finanzausschuss den CSV-Abgeordneten Lucien Thiel in die Arbeitsgruppe; daneben soll noch ein Oppositionspolitiker des Haushaltskontrollausschusses bestimmt werden.

Es war Thiel, der als Haushaltsberichterstatter im Herbst die Umstellung auch öffentlich zum Thema gemacht hatte. In seinem Haushaltsbericht warb er für den neuen Standard, der eine größere Wahrhaftigkeit erlaube. Doch die Meinungen gehen seither auseinander, wie rasch und radikal die Umstellung erfolgen soll. Haushaltsminister Luc Frieden warnte das Parlament während der Budgetdebatten im Dezember, „allzu schnell von den nationalen Buchführungsregeln zu einer alleinigen Aufstellung des Staatshaushalts nach den Maastrichtkriterien überzugehen“.

Ganz Vorsichtige haben sogar schon erwogen, doppelgleisig zu fahren: Das Parlament würde einen Haushaltsentwurf in gewohnter Aufmachung diskutieren und verabschieden, während eine Maastrichter Version nach Brüssel geschickt würde – ähnlich wie das statistische Amt einen nationalen Preisindex und einen europäisch harmonisierten veröffentlicht. Aber das wäre ebenso aufwändig wie verwirrend.

Nach längeren Diskussionen hatte sich der parlamentarische Haushaltsausschuss im Dezember darauf geeinigt, eine möglichst kurze Übergangszeit zu verlangen, das heißt von höchsten drei Jahren. Innerhalb dieser Zeit muss wohl auch das erst 1999 reformierte Gesetz über die staatliche Buchführung wieder geändert werden. Um den Übergang zu vereinfachen, soll der im Herbst vorliegende Haushaltsentwurf für 2008 erstmals einen dritten Band umfassen: neben dem eigentlichen Budgetentwurf und dem mehrjährigen Investitionsprogramm auch einen Band nach den neuen Regeln.

Die vielleicht wichtigste unter den noch unbeantworteten Fragen bei der Einführung der SEC-95-Norm ist die Zukunft der Investitionsfonds, die Planungssicherheit bei mehrjährigen Bauvorhaben schaffen sollen, ohne dass das Parlament Jahr für Jahr Kredittranchen stimmen muss. Weil die Maastrichter Regeln sie nicht vorsehen, stellt sich die Frage, ob der Staat diese Fonds nun abschaffen soll. Eigentlich erlauben auch die SEC-95-Richtlinien die Verbuchung langfristiger Ausgaben – wenn den Ausgaben die entsprechenden Einnahmen gegenüber stehen. Aber dadurch entstünde vielleicht schon zu viel Transparenz in Zeiten der Sparpolitik.

Ändern muss sich auch die Verbuchung von Rücklagen und Guthaben, die bisher den ganzen Stolz der Budgetpolitiker ausmachten. Betroffen ist auchdas Parlament selbst, das sich jährlich als Teil des Staatshaushalts einen Pauschalkredit stimmt und selbst verwaltetet. Die Maastrichtprozedur verlangt dagegen die Auflistung jedes einzelnen Ausgabenpostens. Wenn der Staat seine Staatsschuld abträgt, wird dies jährlich als Ausgaben im Staatshaushalt aufgeführt; nach den neuen Regeln wird der Schuldendienst aber keine Ausgabe mehr sein.

Die Umstellung gilt aber auch für die Sozialversicherung und die Gemeinden. Während die Sozialversicherung noch eine zentralisierte und leistungsfähige Buchführung besitzt,  laufen kleinere Landgemeinden Gefahr, von der Umstellung personell und materiell überfordert zu werden.

Romain Hilgert
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