Das Sparbudget 2011 spart bloß bei den Investitionen und setzt lieber auf höhere Einnahmen

Der Zauberer

d'Lëtzebuerger Land vom 07.10.2010

Budgetminister Luc Frieden sei zweifelsfrei ein Zauberer, schrieb LSAP-Präsident Alex Bodry im November 2008 im Lëtzebuerger Land. Denn mit dem wenige Monate vor den Kammerwahlen gemachten Versprechen, dass die gerade offen ausgebrochene Finanzkrise keinerlei Auswirkungen auf die Einkommenslage der Haushalte haben werde, hatte der Minister seinen unrealistisch gewordenen Budgetentwurf im Handumdrehen in ein „antizyklisches Budget“ verwandelt. So dass ein Überschuss von 13,2 Millionen Euro im Wahlbudget am Ende zu einem Defizit von 785,5 Millionen Euro in den Konten werden konnte und niemand ein schlechtes Gewissen zu haben brauchte.

Zwei Jahre später ist Alex Bodry ­Berichterstatter zu Luc Friedens Haushaltsentwurf für 2011 und als solcher recht herzlich eingeladen, dem CSV-Minister beim Zaubern zu helfen. Einen Vorgeschmack seiner Kunstfertigkeit lieferte Frieden am Dienstag, als er den Haushaltsentwurf im Parlament deponierte und wieselflink mit dem Staatshaushalt, dem Haushalt des Zentralstaats, dessen voraussichtlicher Ausführung, den Vergleichsjahren 2009, 2010 und desgleichen mehr jonglierte, ganz wie es gerade in seine Beweisführung passte.

So lobte er als eines der angeblich vier Charakteristika seines Entwurfs, dass „die Investitionen auf einem sehr hohen Niveau“ blieben. In Wirklichkeit soll ein Viertel der vergangenes Jahr im Konjunkturprogramm für 2011 versprochenen Investitionen gestrichen, das Volumen auf 1 688,2 Millionen Euro gesenkt werden. Frieden betonte, dass dies noch immer ein Anstieg gegenüber 2009 darstelle, und vergaß zu erwähnen, dass es rund 200 Millionen weniger als 2010 sein werden. Jedenfalls sei das ein „weniger brutaler Ausweg aus der Krise“, als man hätte erwarten können.

Doch die Investitionskürzungen um 361 Millionen Euro, die zumindest kurzfristig niemandem wehtun, sind notwendig, damit überhaupt irgendwo gespart werden kann. Sie machen nämlich genau drei Viertel aller Einsparungen aus. Die seit Monaten groß angekündigten Einsparungen bei den Funktionskosten des Staats kommen dagegen bloß auf 34 Millionen Euro oder 0,3 Prozent des Gesamthaushalts.

Trotzdem meinte der Minister, ein weiteres Charakteristikum sei die „starke Haushaltsdisziplin“, denn im Entwurf für 2011 seien „die Ausgaben fast nicht gestiegen“. In Wirklichkeit sollen die Ausgaben um stolze 5,3 Prozent steigen. Obwohl die Regierung angekündigt hatte, die Funktionskosten um zehn Prozent zu kappen, sollen die laufenden Ausgaben sogar um 5,9 Prozent oder um 6,0 Prozent zunehmen, je nachdem, ob man sich lieber an Seite 28* im ersten Band oder Seite 14 im dritten Band des Haushaltsentwurfs hält.

Das sieht nicht gerade nach einem „Haushalt zur Defizitreduzierung“ aus, wie Frieden meinte, und dies um so mehr, als der Haushaltsentwurf von einer sehr niedrigen Inflationsrate von 1,9 Prozent ausgeht, so dass die laufenden Ausgaben real um vier Prozent zunehmen sollen. Dabei ist bis frühestens Oktober 2011 keine Indextranche vorgesehen, und hatte das Parlament für das Vergleichsjahr 2010 ein angeblich antizyklisch aufgeblähtes Budget verabschiedet.

Der Budgetminister beschrieb die mehr als fünfprozentige Ausgaben­steigerung am Dienstag mit den feierlichen Worten: „Selten zuvor sind die Ausgaben so wenig gestiegen, so gut wie gar nicht. Wir haben also das Defizit reduziert, und die Ausgaben steigen fast nicht.“ Um das als „solide Bremse bei den Ausgaben“ darstellen zu können, verglich er nicht, wie üblich, das Staatsbudget von 2011 mit dem Budget von 2010, sondern das Budget des Zentralstaats von 2011 – das heißt einschließlich der Ausgaben, statt der Speisung der Sonderfonds und öffentlichen Einrichtungen – mit der „wahrscheinlichen Ausführung nach den aktualisierten Vorhersagen“ des Budgets des Zentralstaats von 2010.

Das Sparbudget, das lediglich bei den Investitionen spart, fußt im Gegenzug auf einem für nächstes Jahr erhofften Einnahmenzuwachs um beachtliche 13,7 Prozent. Was vor allem auf die gängige Entwicklung der Steuereinnahmen zurückzuführen wäre. Laut Hochrechnungen auf der Grundlage der bisher eingenommenen Steuern werden nämlich die Staatseinnahmen dieses Jahr keine 8 468,8 Millionen Euro ausmachen, wie im Budget für 2010 vorgesehen, sondern 9 246,3 Millionen. Das fördert den Optimismus, mit dem für nächstes Jahr 9 626,2 Millionen eingeplant werden.

Das vor zwei Monaten als Gesetz­entwurf eingebrachte Steuerpaket spielt im Vergleich dazu eine untergeordnete Rolle – es ist sogar schon um ein Drittel, von 350 auf 236 Millionen Euro, dahingeschmolzen. Nicht nur weil auf Wunsch der Gewerkschaften die Kilometerpauschale nicht gesenkt wird und die Einnahmenschätzung für den neuen Spitzensteuersatz und die Krisensteuer schon deutlich verringert wurde. Aus der Aufstellung Seite 29* ist auch die Mindeststeuer von 1 500 Euro auf Investitionsfonds wieder verschwunden ist; sie sollte 50 Millionen einbringen. Als nächstes könnte auf Druck der Unternehmerverbände die Erhöhung der Solidaritätssteuer für Betriebe abgesagt werden, die 14 Millionen Euro Mehreinnahmen verspricht.

So schließt der Entwurf des Staatshaushalts mit einem Defizit von 684 Millionen Euro ab, der durch die Ausgaben der zügig entleerten Sonderfonds zu einem Defizit des Zentralstaats von 1 401,3 Millionen Euro anschwillt. Ohne die Kürzung der im Konjunkturprogramm vor­ge­se­he­nen Investitionen würde er noch höher ausfallen. Dank der Sozialversicherungsüberschüsse wird aus dem Defizit des Zentralstaats dann ein Defizit der öffentlichen Verwaltung von 521,3 Millionen Euro oder 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – zulässig sind in der Eurozone drei Prozent.

Dass unter diesen Umständen der Budgetminister ab und zu zaubern muss, ist nicht weiter verwunderlich. Denn mit seiner Rhetorik gefällt Luc Frieden sich in der von EU-Kreisen hoch angesehenen Rolle des monetaristischen Bußpredigers und Sparapostels, auf die er seine ganze politische Laufbahn aufgebaut hat. Doch in der Praxis der Haushaltspolitik muss er sich dem pragmatischen und bisher ziemlich großzügigen keynesianistischen Luxemburger Sozialstaatsmodell fügen, auf dem der ganze Deal mit der CSV- und LSAP-Wählerschaft aufgebaut ist.

Spannender ist die Frage, wie lange der Minister noch zaubern muss. Denn der Haushaltsentwurf wird zu einem Zeitpunkt verhandelt, da sich der Kampf zwischen Unternehmern und Gewerkschaften um das möglich Ende des pragmatischen und bisher ziemlich großzügigen keynesianistischen Luxemburger Sozialstaatsmodells Woche für Woche zuspitzt. Während die Regierung den raschen Konjunkturaufschwung bereits im Budgetentwurf fest ein­plant, um die nötigen Mittel zur Verfügung zu bekommen, mit der sie den sozialen Frieden zurückzukaufen hofft.

So verläuft die Trennline zwischen Befürwortern und Kritikern des Haushaltsentwurfs ähnlich wie zwischen Befürwortern und Kritikern des rezenten Indexkompromisses: LCGB-Präsident Rober Weber bescheinigt CSV und LSAP, dass es „keine Alternative“ zu ihrem „realistischen Budget“ gebe, und CGFP-Generalsekretär Romain Wolff freut sich, dass das Defizit am Ende des Haushaltsjahrs verschwunden sei. Dagegen nennt Pierre Bley von der Union des entreprises luxembourgeoises das Defizit „unverantwortlich“, und der Handwerkerverband vermisst „strukturelle Maßnahmen zur Ausgabenkontrolle“. Er wirft der Regierung vor, „beim kleinsten gewerkschaftlichen Gegenwind vom Kurs ab[zu]kommen“.

Die aktuelle Koalition hat sich bemüht, das Staatsdefizit so abzubauen, dass ihre Wähler und die Gewerkschaften damit leben können. Und gibt sich schwerhörig gegen­über den Unternehmern, die sich aus dem der Exportwirtschaft abträglichen Rheinischen Kapitalismus verabschieden wollen, da er am Rhein bereits längst durch Ein-Euro-Jobs, Hartz IV und Minijobs ersetzt wurde.

Romain Hilgert
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