Grüner Wahlsieg und Wiederauferstehung links von der LSAP

Unser Dorf soll schöner werden

d'Lëtzebuerger Land vom 14.10.2011

Wie bei den Gemeindewahlen 2005 war auch am vergangenen Sonntag die Zahl der Proporzgemeinden und damit der zu vergebenden Mandate gestiegen. Wie 2005 erklärten sich deshalb am Sonntag wieder alle Parteien irgendwie zu Siegern. Doch zumindest in den nach Parteilisten wählenden Proporzgemeinden gehorchten die Gemeindewahlen noch anderen landesweiten Trends, die über die jeweiligen lokalen Besonderheiten hinausgingen. Und nach dem Verhältniswahlrecht stimmten drei Viertel aller Wahlberechtigten ab.

Einer der Trends: Im Durchschnitt der Proporzgemeinden, wo sie kandidierten, verloren die Regierungsparteien und die DP Stimmenanteile gegen über 2005:

2005 2011

LSAP 33,5% 31,9% –1,6%

CSV 30,3% 29,9% –0,4%

DP 22,3% 20,6% –1,7%

Gréng 14,1% 17,8% +3,7%.

Der andere Trend: Wahlsieger sind die Grünen. Sie setzen ihren kommunalpolitischen Aufstieg fort und verdoppeln beinahe die Zahl ihrer Mandate von Gemeindewahl zu Gemeindewahl: von 22 im Jahr 1999 auf 41 im Jahr 2005 und nun auf 74. Vielleicht halfen ihnen die anderen Parteien. Denn fast alle versprachen im Wahlkampf Dinge, die zu verwirklichen die Grünen als die Umweltschutzpartei besorgter Lehrer und Erzieherinnen für besonders sachkundig gehalten werden: Umweltschutz, Verkehrsberuhigung, Energiesparen, Kinderbetreuung…

So empfehlen sich die Grünen in den Gemeinden noch erfolgreicher als im Parlament jenem Teil der Wählerschaft, der sich materiellen Sorgen weitgehend enthoben wähnt und sich deshalb seiner Lebensqualität widmet. Als die Bioläden noch Reformhäuser hießen, hieß das „Unser Dorf soll schöner werden“, die Idylle der ruhigen, sauberen Dorfgemeinschaften und Wohnviertel mit Grünflächen und Spielplätzen, Fahrradständern und Müllsortierung.

Wie groß diese Wählerschaft inzwischen geworden ist, zeigt sich daran, dass die Grünen im Durchschnitt 17,8 Prozent der Stimmen in jenen Gemeinden erhielten, wo sie kandidierten. Nur in zwei Gemeinden bekamen sie weniger als zehn Prozent, in Diekirch und Monnerich; nur in einer Gemeinde verloren sie überhaupt einen Sitz, in Diekirch. In Betzdorf und Remich kamen sie dagegen auf mehr als 30 Prozent der Stimmen. Allerdings gelang es ihnen in zehn Gemeinden nicht, eine Liste aufzustellen, etwa in neuen Proporzgemeinden oder alten Arbeiterhochburgen.

So gelingt es der bisher mitgliederschwachen und langsam überalternden Kaderpartei, sich auf lokaler Ebene eine Wählerbasis aufzubauen. Diese Basis soll selbstverständlich auch dazu dienen, der Partei das nötige Gewicht zu verleihen, um in die Regierung zu kommen. Der Trend vom Sonntag sollte eigentlich schon bei den Kammerwahlen 2009 spielen. Doch da kam die Wirtschafts- und Finanzkrise im letzten Augenblick dazwischen, so dass viele Wähler die qualitativen Sorgen den quantitativen hintanstellen mussten und mit der CSV noch einmal auf Nummer sicher gehen wollten.

In vielen Gemeinden gewannen die Grünen dort, wo die DP verlor. Im Durchschnitt verlor die DP sogar mehr Stimmen als LSAP und CSV. Vor allem für einen jüngeren Teil der Mittelschichtenwähler, deren Eltern in den Siebzigerjahren noch linksliberal Gaston Thon gewählt hatten, geben sie die modischere und jüngere liberale Partei ab. Binnen einer Generation haben sich die Grünen vom Image der linken Antipartei befreit und verkörpern vor allem auf Gemeindeebene die gewissenhaften Technokraten. Außerhalb des Zentrumsbezirks, über Land, war die DP dagegen historisch die mäßig antiklerikale Notabelnpartei. Doch nun es will ihr nur noch ansatzweise gelingen, eine neue Genera[-]tion prominenter Kandidaten aufzubauen. Deshalb geht ihr Einfluss an der Mosel und im Ösling zurück.

Im überdurchschnittlich von Staatsbeamten, Geschäftsleuten, Zahnärzten und leitenden Angestellten bewohnten Zentrum, wo die DP fast die Hälfte ihrer Mandate bezieht und die stärkste Partei ist, versuchte sie dagegen ihre Wählerschaft am Überlaufen zu hindern, indem sie sich nach der Niederlage bei den Kammerwahlen einen grünen Punkt in den Parteinamen malen ließ und nun einen Wahlkampf mit Windrädern, Sonnenkollektoren und Spielschulkindern auf ihren Plakaten führte. Aber vielleicht ist das ein Denkfehler: Dann fehlt es der DP gar nicht am Umweltbewusstein, sondern sie wirkt altmodisch, weil sie noch immer rechtsliberal ist – und der neue liberale Wähler hat es lieber linksliberal wie die Grünen. Diesen Widerspruch vertuschen soll nun der aufsteigende Spaßpolitiker Xavier Bettel.

Der Einsatz ist hoch. Die Grünen versuchen seit Jahren, der DP den Rang der drittgrößten Partei im Land streitig zu machen. Seit den Kammerwahlen 2009 hat die DP nur noch drei Prozentpunkte Vorsprung, seit Sonntag ist die Größenordnung auf Gemeindeebene ähnlich. Die DP hat zwar landesweit ein halbes Dutzend Mandate hinzugewonnen, aber auch die Zahl der Proporzgemeinden hat zugenommen. Deshalb ist der Anteil der DP an den Mandaten seit 2005 sogar von 21,3 auf 19,3 Prozent gefallen.

Allerdings ist die DP noch in neun Gemeinden die stärkste Partei. Während sie den Spitzenplatz in Contern und Grevenmacher verloren hat, gewann sie ihn in Junglinster. Doch in Bartringen hat sie ihre landesweit einzige absolute Sitzmehrheit (nicht Stimmenmehrheit) verloren, in ihrer Hochburg Hauptstadt verlor sie einen Sitz und in der Vorzeigegemeinde von Parteipräsident Claude Meisch, in Differdingen, musste sie fast neun Prozentpunkte und einen Sitz einbüßen.

Die Gemeindewahlen standen aber nicht nur im Zeichen des den Mittelschichten Lebensqualität verheißenden weiteren grünen Aufstiegs und der blauen Konkurrenz. Deutlich machte sich auch eine Bewegung des sozialen Protests bemerkbar. Die LSAP verlor in der Mehrheit der als Hochburgen angesehenen Industrie- und Arbeiterstädte des Südens, wie Esch-Alzette, Schifflingen, Düdelingen, Kayl oder Rümelingen, und konnte sich nicht von ihrer historischen Niederlage in Differdingen erholen.

2005 hatte die LSAP die Zahl der Gemeinden, wo sie mit absoluter Mehrheit regieren konnte, von vier auf sieben erhöht, nun bleiben ihr immerhin noch fünf. Die LSAP kam auf durchschnittlich 31,9 Prozent der Stimmen, zehn Prozent mehr als die 21,6 Prozent bei den Legislativwahlen 2009. In den größeren Proporzgemeinden wird eben weniger konservativ gewählt als in den ländlichen Majorzgemeinden.

Dagegen wurden im Industrierevier und in der Hauptstadt zehn Räte von déi Lénk und KPL gewählt. Beide Parteien, die noch 1999 gemeinsam kandidiert hatten, waren bei den Gemeindewahlen 2005 – bis auf eine Ausnahme in Esch-Alzette – aus der Gemeindepolitik verschwunden. Nun, da jeder Blick in eine Zeitung das Vertrauen in den Kasinokapitalismus erschüttert, kehren sie gleich zu dritt in Esch-Alzette und zu zweit in Luxemburg zurück, vor allem auf Kosten der LSAP.

Die kommunalpolitische Wiederauf[-]erstehung der Parteien links von der LSAP in den größeren Städten legt den Verdacht nahe, dass dies eher eine na[-]tio[-]nalpolitische Reaktion auf die von der LSAP mitverantworteten Indexmanipulationen und Steuererhöhungen sind, welche die Kaufkraft eines Teils der Wähler insbesondere im Südbezirk spürbar strapaziert. Hinzu kommt die Entrüstung über mögliche Werksschließungen von Arcelor-Mittal in Schifflingen und Rodingen. Bei dieser Renaissance links von der LSAP ist der Erfolg der wiederholt totgesagten Kommunistischen Partei, die mit Karl Marx auf ihren Plakaten warb und viele Kandidaten im Rentneralter aufstellte, noch bezeichnender als derjenige der jüngeren und intellektuelleren déi Lénk.

Neben Verlusten in den traditionellen Arbeiterhochburgen musste die LSAP auch das Verschwinden ihrer absoluten Mehrheit in Bettemburg, Roeser und Steinfort verbuchen. Darüber können auch die spektakulären Erfolge in Monnerich, Sassenheim und Niederkerschen nicht hinwegtäuschen oder die historische Revanche in Diekirch. Die LSAP war die große Wahlsiegerin der Gemeindewahlen 2005, nun ist sie die Verliererin der Gemeindewahlen 2011: Der landesweite Anteil ihrer Mandate ging um vier Prozentpunkte zurück, was die größte Einbuße aller Parteien darstellt. Sie landete als stärkste Partei auf Gemeindeebene derart knapp vor der CSV, dass das Luxemburger Wort am Montag die noch unter den Namen aus Majorzzeiten kandidierenden LSAP-Listen in Kopstal und Lorentzweiler abzog, damit es der CSV einen Sitz Vorsprung bescheinigen konnte.

Trotzdem gehört die CSV keineswegs zu den Wahlgewinnern. Ihr landesweiter Anteil an den Mandaten ist um ein Prozent gesunken. Stärkste Partei ist die CSV in 14 Gemeinden gegenüber zehn bisher. Sie kam im Durchschnitt auf 29,9 Prozent der Stimmen in den Proporzgemeinden, gegenüber 38 Prozent bei den Landeswahlen. Der deutliche Unterschied – das spiegelverkehrte LSAP-Verhältnis – erklärt sich auch dadurch, dass in kleinen Majorzgemeinden über Land bei den Nationalwahlen viel konservativ gewählt wird.

Der CSV-Durchschnitt von 29,9 Prozent liegt unter demjenigen der LSAP von 32 Prozent. Anders als die LSAP hielt die CSV bisher in keiner Gemeinde die absolute Mehrheit. Das änderte sich nun dadurch, dass Hobscheid zur Proporzgemeinde wurde und die CSV in diesem schwarzen Rümelingen auf 73 Prozent der Stimmen kam.

Die CSV hatte sich vorgenommen, endlich wieder in einem Schöffenrat der drei größten Gemeinden vertreten zu sein, wie es sich ihrer Meinung nach für die wichtigste Partei des Landes gehört. Doch in Luxemburg verlor sie nach ihrem Fiasko 2005 einen weiteren Sitz. In Esch-Alzette büßte sie ebenfalls einen Sitz ein, und in Differdingen kann die bisherige Koalition auf ihre Dienste verzichten. Hinzu kommen die peinliche Niederlage ihres Parteipräsidenten Michel Wolter in der neuen Fusionsgemeinde Niederkerschen und das Fiasko der von Ex-LCGB-Präsident Robert Weber angeführten Liste in Roeser. Erfolgen in neuen Proporzgemeinden, wie Betzdorf, Sandweiler oder Hobscheid, stehen Niederlagen in Diekirch, Schüttringen und Sassenheim gegenüber.

Rechts von der CSV gewinnt die ADR in Petingen und Düdelingen zwei Sitze, verliert deren aber drei in Esch-Alzette, Monnerich und Sassenheim, so dass sie landesweit nur noch vier Mandate zählt. Anders als den Grünen ist es der ADR weder als Rentner-, noch als Protestpartei gelungen, sich in den Gemeinden eine Wählerbasis und ein Mitgliederreservoir zu schaffen.

Vor den Wahlen hatte die CSV, die kommunalpolitisch meist nur den zweiten Preis gewinnt, betont, Gemeindewahlen seien lokale Ereignisse, die keinerlei nationalpolitische Bedeutung hätten. Es sei [-]keineswegs so, hatte CSV-Präsident Michel Wolter gemeint, dass die Wähler zwischen zwei Legislativwahlen Kommunalwahlen zu Unmutsbekundungen wie im Ausland nutzten.

Die LSAP, seit ihrem Wahlsieg 2005 mit Abstand kommunalpolitisch stärkste Partei, hatte dagegen angekündigt, dass die Gemeindewahlen auch nationalpolitische Zeichen setzen würden. Sie erwartete sich aus den Gemeinden eine Stärkung für künftige wirtschafts- und sozialpolitische Auseinandersetzungen mit der im Parlament doppelt so mächtigen CSV.

Vom Prinzip her hatte die LSAP sicher recht, dass die Gemeindewahlen auch von der Landespolitik beeinflusst werden und diese wiederum beeinflussen. Doch das Ergebnis vom Sonntag zeigt, dass die LSAP sich das vielleicht etwas anders vorgestellt hatte als eine Wiederholung des enttäuschenden Ergebnisses der Kammerwahlen 2009. Denn dass auf der Linken LSAP, Grüne, Lénk und KPL mit 50 zusätzlichen Mandaten doppelt so viele Sitze hinzugewannen wie die rechten CSV, DP und ADR mit 24 Sitzen, ist vor allem das Verdienst der Grünen und der Parteien links von der LSAP – also der Opposition zur [-]Regierungspolitik.

Romain Hilgert
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