Im Osten starten die Grünen durch

Jung, nicht so wild

d'Lëtzebuerger Land du 14.10.2011

„Für die nächsten Wahlen peile ich den Bürgermeisterposten an.“ Gilles Baum gibt sich selbstbewusst. Er ist der Gewinner der Gemeindewahlen in Junglinster. Um 0,38 Prozent auf 31,04 Prozent hat seine Partei, die DP, bei diesen Wahlen zugelegt und ist somit, wenn auch knapp, die stärkste Partei. „Wir hatten eine Top-Equipe“, so erklärt sich der 38-jährige Lehrer den Zugewinn eines vierten Sitzes. Das Ergebnis kann sich nicht nur wegen der 1 639 persönlichen Stimmen sehen lassen, mit denen Baum den ehemals stärksten DP-Mann von 2005, Fränz Ries (62 Jahre) überholt hat, sondern auch, weil alle vier DP-Mandatäre die 1 000-Stimmen-Marke überschritten. Das ist dem Wahlsieger von 2005, der CSV, nicht [-]gelungen.

Für den Wechsel wird es dennoch nicht reichen. Der alte und neue Bürgermeister François Colling-Kahn (CSV) hat bereits bekräftigt, mit dem ehemaligen roten Koalitionär weiterregieren zu wollen, obwohl die CSV fast 2,5 Prozent verloren hat. Déi Gréng haben mit dem neuen Kandidaten Christian Kmiotek ihr Vorwahlergebnis immerhin um 3,75 auf 19,57 Prozent verbessern können, der dritte Sitz wurde knapp verfehlt und geht an die LSAP (19,86%). An die nächste Gemeindewahl denkt Kmiotek dennoch nicht, sondern hofft zunächst einmal auf eine gute Oppositionsarbeit: „Wir müssen versuchen, unsere Akzente zu setzen“, so Kmiotek, der sich insbesondere für „soziale Themen“ einsetzen will.

Dabei hätte man ein wenig mehr Euphorie von den Grünen erwarten können. Sie sind die großen Gewinner der diesjährigen Gemeindewahlen, ganz besonders im Osten. Zweimal über 30 Prozent – in Betzdorf mit 31,50 und in Remich mit 33,58 Prozent der Stimmen – nirgendwo ist der Siegeszug der Grünen so deutlich zu sehen wie in der Moselregion. In Echternach erzielten Déi Gréng um Carole Dieschbourg, einigen bekannt durch ihr Buch zur Luxemburger Mühlengeschichte, und den omnipräsenten Aktivisten Raymond Becker, mit 21,77 Prozent der Stimmen aus dem Stand heraus sensationelle drei Sitze und könnten bei den laufenden Koalitionsverhandlungen noch zu Königsmachern werden. In der neuen Proporzgemeinde Remich hat der grüne Abgeordnete Henri Kox vor CSV-Spitzenkandidat Gaston Thiel und seiner Parteikollegin Marianne Beissel die mit Abstand meisten Stimmen auf sich vereinen können. In Betzdorf werden die Grünen um den Ökobauer Raymond Aenderkerk zusammen mit den Liberalen sogar die Koalition stellen, das stand bereits am Wahlabend fest. „Das ist eine Bestätigung für die gute Arbeit in der Region, die wir geleistet haben“, findet Henri Kox.

Ob es dem grünen Bürgermeister in seinen zwei Jahren Amtszeit, nachdem zuvor Jeannot Belling von der DP die Geschäfte der damaligen Majorzgemeinde geführt hatte, tatsächlich gelungen ist, haben die Wähler offenbar bejaht.

Noch mehr aber als ihre Arbeit dürfte den Grünen im Osten der Bevölkerungswandel in die Hände spielen: Junglinster etwa liegt, wie Kmiotek betont, nur zehn Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Die gehobenen Miet- und Wohnungspreise können sich insbesondere Mittelschichtfamilien leisten. Hier ist es, woher die Grünen ihre Wähler rekrutieren: junge Familien, aufstrebende Angestellte, umweltbewusste Lehrer, die aufs Land ziehen, weil selbst sie sich die überteuerten Wohnpreise in der Stadt nicht mehr leisten können, aber auf das urbane Flair nicht ganz verzichten wollen.

Der Bevölkerungswandel im ländlichen Raum, so scheint es, geht vor allem zu Lasten der traditionellen Parteien. Da mag die CSV in Remich noch sehr Werte wie „Traditionsbewusstsein“ und „Beschaulichkeit“ beschwören, den Takt vor Ort bestimmen mehr und mehr die Neu-Zugezogenen – und die scheren sich nicht um Traditionen und gewachsene Strukturen, sondern wollen vor allem eines: besser leben. Darunter verstehen viele eine funktionierende transparente Verwaltung, gute Betreuungsstrukturen, gesunde Luft – das Versprechen zumindest scheinen die Grünen glaubwürdiger zu verkörpern als andere.

Das gilt freilich nicht absolut. Junglinster beispielsweise ist für die sehr mäßige Gesamt-Performance der Liberalen im Osten ein positiver Ausreißer. In der urban geprägten Gemeinde ist den Blauen gelungen, was in anderen Gemeinden verpasst wurde: ein junges ansprechendes Team aufzustellen. Dass der Altersfaktor spielt, lässt sich an Gemeinden wie Grevenmacher ablesen, wo es das ehemalige Zugpferd Robert Stahl nicht mehr vermochte, die Wähler zu überzeugen, und nur Zweitgewählter hinter René Sertznig wurde. Im Gegensatz zu Bad Mondorf, wo es Maggy Nagel verstanden hat, um sich ein junges Team aufzubauen: Der Zweitplatzierte hinter der alten und neuen Bürgermeisterin Nagel, Alexandre Delles, dürfte zu den jüngsten blauen Gemeinderäten im Osten zählen. In Bad Mondorf wird traditionell liberal gewählt, das Städtchen blickt auf eine längere bürgerliche Tradition zurück. Wobei Leute wie Delles oder Gilles Baum aus Junglinster, beides Lehrer, zeigen: Das Etikett der Notabelnpartei passt zur DP heute nicht mehr so, wie das früher noch der Fall war.

Der Wechsel der Generationen gelingt längst nicht allen. In Grevenmacher musste die von Polit-Urgestein Robert Stahl (67 Jahre) angeführte DP mächtig Federn lassen: -9,1 Prozent. Dort bereitet nun der Erstgewählte der Gemeinde, Léon Gloden von der CSV, eine Koalition mit Déi Gréng vor. Es ist nicht lange her, dass die Ostsektion der DP ihren Generationenkonflikt recht offen ausgetragen hatte. Gilles Baum, der eigentlich „das Regionale nicht kommentieren“ will, rutscht es dann doch heraus: In Grevenmacher habe der „Aufbau“ gefehlt. Der Ex-Liberale Marcel Lamy ging wegen „parteiinterner Unstimmig[-]kei[-]ten“ für Déi Gréng ins Rennen. Verluste von fast sieben Prozent musste auch die Demokratesch Partei um den 57-jährigen Echternacher Spitzenkandidat André Hartmann hinnehmen.

Etwas anders ist der Fall in Mertert-Wasserbillig gelagert. Mit dem Hafen und der Eisenbahn ist der Ort eher industriell geprägt statt von Weinbergen – und entsprechend sind die Sozialisten in dieser Ecke der Region traditionell stärker vertreten. Die LSAP um Bürgermeister Gust Stefanetti konnte ihre Mehrheit halten (48,41 gegenüber 47,39 Prozent im Jahr 2005). Allerdings könnte die klare rot-schwarze Dominanz trügen. Vielleicht mangelt es ja an Alternativen: Die Liberalen um Armand Jaminet haben es nicht geschafft, eigene Akzente zu setzen, nicht einmal eine verjüngte Liste half. Jaminet verpasste den Einzug in den Gemeinderat. In Mertert waren die Grünen nicht angetreten – aus Mangel an aktiven Mitgliedern, sagt Kmiotek. Wer weiß, vielleicht hätten die Grünen den Liberalen sonst, wie andernorts, noch den einen oder anderen Sitz abgeluchst?

Denn für die Déi Gréng im Osten ist sicherlich noch mehr drin: In Junglinster haben sie den dritten Sitz knapp verpasst. In Mondorf, wo die Grünen mit dem von der LSAP übergewechselten Steve Schleck erstmals zu Gemeindewahlen angetreten waren, schaffte die Partei mit 12,6 Prozent einen Sitz. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Schon hört man hier und da Grüne auf nationaler Ebene von einem zweiten Parlamentssitz im Osten träumen. Unmöglich ist das nicht: Mit ihrem guten Abschneiden in Echternach untermauerte die Grüne Carole Dieschbourg ihren Anspruch als zweite Spitzenkandidatin im Ost-Tandem neben Henri Kox.

Nicht viel Grund zum Träumen hat dagegen die LSAP. Die Sozialisten, im ländlich geprägten Osten ohnehin nicht so stark, verlieren in mehreren Proporzgemeinden deutlich: in Echternach 8,5 Prozent und einen Sitz. In Mondorf, wo die LSAP je einen Sitz an die Christlich-So-zialen sowie an Déi Gréng abgeben musste, sind es sogar über zehn Prozent Verlust. Lediglich in Junglinster, Grevenmacher und Mertert-Wasserbillig halten die Sozialisten mehr oder weniger den Status quo beziehungsweise legten leicht zu.

Aber auch in den Majorzgemeinden gab es einige Überraschungen: So wurde die Bürgermeisterin von Dalheim, Marie-Ange Mousel-Schmit, vom Wähler regelrecht abgestraft und mit 337 Stimmen nur Achtgewählte, während Schöffe Joseph Heisbourg mit 629 Stimmen als unangefochtener Gewinner aus den Wahlen hervorging. Mousel-Schmit erklärte daraufhin, ihr Mandat nicht annehmen zu wollen.

Und in Bech, Waldbillig, Wellenstein, Wormeldingen und Schengen (das ab dem 1. Januar 2012 mit Bürmeringen und Wellenstein fusionieren wird) erhielten Bürgermeister nicht die Unterstützung der Bevölkerung und mussten zum Teil deutliche Stimmeinbußen hinnehmen.

Ines Kurschat
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