Monarchie

Projekt Monarchie 2000

d'Lëtzebuerger Land vom 18.12.1997

Das Parlament, das am Dienstag nachmittag unter den drei schweren Kronleuchtern und dem Porträt des Großherzogs im Sitzungssaal des hauptstädtischen Gemeinderats zusammentraf, war eine verfassungsgebende Versammlung. Aber die Abgeordneten lasen die Zeitung wie gewöhnlich.

Immerhin waren die Reihen besser gefüllt als üblich, weil für eine Verfassungsänderung drei Viertel der Abgeordneten anwesend sein müssen. Und die Regierung, bis auf einen Kurzbesuch von Wirtschaftsminister Robert Goebbels, blieb der Sitzung fern.

Ansonsten herrschte zwischen Mehrheit und Opposition seltene Eintracht. Man blien unter sich. Nachdem die Änderungen der sechs Artikel drei Jahre lang hinter den verschlossenen Türen des zuständigen Ausschusses ausgehandelt worden waren, kehrten drei der vier Berichterstatter nach ihren Berichten gleich wieder in umgekehrter Reihenfolge als Sprecher der Fraktionen zurück ans Rednerpult. Sie streuten sich Blumen, scherzten entspannt und lächelten geschmeichelt.

Luc Frieden war zufrieden, daß "in Grundfragen alle demokratischen politischen Kräfte an einem Strick ziehen". Ausnahmsweise durfte sogar ein Oppositionsabgeordneter, Jean-Paul Rippinger, Berichterstatter zu einem der Gesetzentwürfe sein. Schließlich treten Verfassungsänderungen nur mit Zweidrittelmehrheit in Kraft, und die hat die CSV/LSAP-Koalition bei den Wahlen 1994 knapp verloren.

 

 

Der Präsident des Parlemantsausschusses für Institutionen und Verfassungsreform, der künftige Justizminister Luc Frieden, stellte den neuen Ankauf zu der unmittelbar vor den Wahlen 1994 kläglich gescheiterten Verfassungsänderung als Teil einer längeren Bemühung zugunsten der  Demokratie dar, zu dem die Schaffung von Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeiten, der "ersten neuen Institutionen in diesem Jahrhundert" gehörten. Aber die Verfassungskontrolle internationaler Abkommen ist noch immer nicht geklärt, und seit dem Rücktritt Guy Reilands steckt das Verfassungsgericht schon vor seiner ersten Verhandlung in einer Krise. Jean-Paul Rippinger konnte es sich dann auch nicht nehmen lassen, daran zu erinnern, daß die rezenten Verfassungsänderungen nicht durch den politischen Gestaltungswillen der Mehrheit, sondern "unter dem Druck des Auslands" zustande kamen. Von mehr als einem halben Hundert als änderungsbedürftig erklärten Verfassungsartikel seien bisher außerdem gerade acht geändert worden.

Daß die Demokratie 1994 auch durch die Einführung des kommunalen Ausländerwahlrecht ausgeweitet wurde, schienen die meisten Abgeordneten am liebsten schon wieder zu vergessen. 

Zwar hielt Rippinger die dieswöchigen Verfassungsänderungen hauptsächlich für Textkosmetik. Aber sie zielen doch darauf ab, das Bild der Monarchie in der Verfassung zu modernisieren. Es soll demokratisiert und säkularisiert, also an die politische Praxis der letzten Jahrzehnte angepasst werden.

Dabei wurde sich unter anderem an der Verfassung Spaniens orientiert, das nach dem Ende des Faschismus die Monarchie wieder einführte und seither als ein besonders modernes und aufgeklärtes Königreich gilt.

Wenn spätestens während der nächsten Legislaturperiode die Thronfolge vollzogen wird, soll der Großherzog, laut Frieden "höchste Person im Staat" und "Schlüsselfigur unserer Institutionen", auch verfassungsrechtlich dem Geist der Zeit entsprechen.

Nur die grüne Fraktionssprecherin Renée Wagener bedauerte, daß die monarchistische Staatsform seit 1919 kein Thema mehr sei. Sie selbst mußte dies aber aus Rücksicht auf die patriotischen Gefühle ihrer Fraktionskollegen "im persönlichen Namen" tun. Das ADR stimmte sogar wie ein Mann für die sechs Gesetzwürfe.

Zur Säkularisierung des Großherzogs nahm sich das Parlament Artikel vier der Verfassung vor, laut dem die Person des Großherzogs geweiht und unantastbar war. Die Sakralisierung war 1856 von König-Großherzog Wilhelm nach dessen Putsch in die Verfassung gesetzt worden, um seiner Herrschaft eine quasi überirdische Weihe zu verleihen. Weil ohnehin noch nie ein Großherzog geweiht wurde und der französische Begriff "sacré" oft mit heilig verwechselt wird, so Luc Frieden, wurde nun die Weihe gestrichen. Doch was eine zeitgemäße Abkehr von "Archaismen und Anachronismen" scheint, wie es Rippinger in einem anderen Zusammenhang nannte, ist in Wirklichkeit bloß die Rückkehr zur ursprünglichen Bestimmung aus der liberalen Verfassung von 1848.

Um auf der Leserbriefseite des Luxemburger Worts geäußerten Vorwürfen entgegenzutreten, daß in heutigen Zeiten alles in den Schmutz gerissen werde nichts mehr heilig sei, verschanzte sich die Parlamentsmehrheit ängstig hinter dem Textvorschlag des ehemaligen Ausschußvorsitzenden Georges Margue als Garanten klerikalkonservativer Werte.

 

 

Gleichzeitig wurde Artikel 33 völlig ersetzt, der bestimmte, daß der Großherzog alleine die Exekutivgewalt ausübt. Dies könnte, so meinte Fieden, bei unaufmerksamen Lesern den Eindruck wecken, das Land werde von einer absolutistischen Monarchie beherrscht. Rippinger mahnte: "Wir erinnern uns wohl noch daran, wie aufgeregt das Land war, als die UNO unsere Verfassung einmal nicht in die Kategorie der Demokratie einklassiert hatte."

Deshalb heißt es künftig nicht bloß ausführlich, daß der Großherzog Staatschef, Symbol der staatlichen Einheit und der nationalen Unabhängigkeit ist, sondern auch, daß er die Exekutivgewalt gemäß der Verfassung und der Landesgesetze ausübt.

1994 war der von Georges Margue deponierte Vorschlag noch weiter gegangen und hatte vorgesehen, daß der Großherzog und die Regierung zusammen die Exekutivgewalt ausübten. Aber das hätte aus der vom Großherzog ernannten Regierung eine dem Großherzog ebenbürtige Exekutivgewalt gemacht und dem Großherzog vielleicht auch eigene Kompetenzen zuerkannt. Frieden war deshalb zufrieden, daß das "institutionelle Gleichgewicht nicht angetastet" bleibt und "der Großherzog herrscht, ohne zu regieren". Auf jeden Fall bestätigt die Verfassung den Großherzog nun zum ersten Mal als Staatschef.

Ersatzlos abgeschafft wurde zudem Artikel 73 und damit die seit der Zeit der Restauration nach der belgischen Revolution 1841 in die Verfassung gesetzte Kompetenz des Großherzogs, das Parlament zu vertagen. Dies sei laut Jean Asselborn "ein Instrument einer anderen Epoche". Es sei nicht mit demokratischen Prinzipien zu vereinbaren, daß die Lösung einer Krise unter Umgehung der Kammer gesucht würde.

In Artikel 80 wurde nebenbei die 1856 eingeführte und seit Jahrzehnten nicht mehr genutzte Möglichkeit abgeschafft, daß Regierungsmitglieder sich im Parlament durch Kommissare, das heißt Regierungsbeamte ersetzten lassen können.

Mit der Änderung von Artikel 115 der Verfassung kommt es zu einer leichten Machtneugewichtung zwischen Thron und Parlament. Er sah vor, daß die Verfassung nicht während einer Regentschaft geändert werden darf, die einen kranken Großherzog oder einen minderjährigen oder fehlenden Thronnachfolger ersetzt.

Das Verbot einer Verfassungsänderung während einer Regentschaft soll verhindern, daß der Thron nicht voll handlungsfähig ist, wenn die Macht im Staat neu aufgeteilt wird. Dies könnte aber, so Lucien Weiler, andererseits dazu führen, daß Luxemburg beispielsweise wegen einer jahrelangen Regentschaft, wie sie zwischen 1908 und 1912 stattfand, einen wichtigen EU-Vertrag nicht ratifizieren könnte, wenn dieser eine Verfassungsänderung nötig machen würde.

1994 hatte deshalb der von Georges Margue deponierte Vorschlag des Parlamentsausschusses die ersatzlose Streichung von Artikel 115 vorgesehen. Aber dagegen hatte sich der Staatsrat gewehrt. So daß nun der Textvorschlag des Staatsrats gestimmt wurde, laut dem während einer Regentschaft keine Verfassungsbestimmungen geändert werden dürfen, welche Vorrechte, Statut oder Erbfolge des Großherzogs berühren.

Es genügt jedoch nicht, die autoritären Spuren des 19. Jahrhunderts aus der Verfassung zu entfernen, aus der Zeit, als der Machtkampf zwischen Monarchie und aufstrebendem Bürgertum im jungen Nationalstaat noch nicht abgeschlossen war. Es heißt auch, positive Definitionen zu schaffen.

In der sozialen Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg war 1948 vorgeschlagen, worden, den Staat gleich im ersten Artikel der Verfassung als parlamentarische, soziale und wirtschaftliche Demokratie zu bezeichnen. Aber das grenzte dann doch an Sozialismus. Deshalb wurde damals lediglich in Artikel 51 hinzugefügt, daß das Land unter dem Regime einer parlamentarischen Demokratie stehe.

Erst 1989 schlug das Parlament wieder vor, gleich am Anfang dre Verfassung den Staat nicht bloß als frei, unabhängig und unteilbar, sondern auch als demokratisch zu bezeichnen. Was das Parlament nun am Dienstag tat, auch mit Blick auf den internationalen Vergleich. Und um das Ganze noch zu bekräftigen, wurde auch noch beschlossen, daß das Großherzogtum keinen demokratischen, freien etc. Staat bildet, sondern ganz einfach ist.

Luc Frieden meinte, daß wohl noch Verfassungsartikel elf die demokratischen Grundfreiheiten frisch definieren müßte, um dem neuen Verfassungericht präzisere Richtlinien erteilen zu können. Aber dann sollte "wieder Ruhe in das konstitutionelle Gefüge" einkehren. Die Monarchie ist jedenfalls gerüstet für das nächste Jahrtausend.

 

Romain Hilgert
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