Fusion

d'Lëtzebuerger Land vom 13.06.2025

Der Schule in der Stater Rue du Commerce eilt ihr Ruf voraus: Drogenhandel vor der Tür, Prostituierte um die Ecke. Ein paar Straßen weiter, im privilegierten Teil des Viertels, liegt die kleine Michel-Welter-Schule. Beide gehören zur École Gare. Seit Jahren gibt es Streit darum, welche Kinder in welche Schule gehen. Der 100,7-Podcast „Schlechte Schüler“ erzählt an diesem Beispiel, wie gutsituierte Eltern Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Denn während die Michel Welter 55 Schüler zählt und die Kinder aus den in den schicken maisons de maître wohnhaften Familien unterrichtet, gilt die Commerce-Schule als der Hotspot der sozialen Prekarität. Was die Interventionen für Kinder in Not angeht, rangiert sie in der Hauptstadt weit vorne. Dabei kann es sich um physische oder psychische Gewalttaten, Lernschwierigkeiten oder andere Probleme handeln, für die Interventionen nötig sind. Der Sozialindex für die École Gare ist der niedrigste der ganzen Stadt. Es liegt nicht im Interesse der Politik, die offensichtlichen Unterschiede weiter mit Zahlen aufzudröseln.

Am 16. Mai erklärte der CSV-Schulschöffe Paul Galles im 100,7, dass die Welter-Schule ihre Türen nach diesem Schuljahr schließen wird. Er würde die Schulen ungern gegeneinander ausspielen und verkündete, die Orientierung in die Sekundarschule sei die gleiche in den beiden Gebäuden. Eine Anfrage nach der Orientierung ins Secondaire blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Die Schließung begründete Paul Galles mit Ressourcenverschleuderung in einem Viertel, das dringend mehr Ressourcen braucht. Er bedauere, dass die Diskussionen in den letzten Jahren nicht immer sachlich, sondern auch emotional geführt wurden Die Zusammenführung will er den Eltern nächste Woche an einem Tag der offenen Tür mit einem „geselligen internationalen Buffet“ und einer Ausstellung der Künstlerin Letizia Romanini schmackhaft machen. Es werde eine „richteg cool Schoul“.

Jean-Marc Cloos, Psychiater, medizinischer Direktor des CHDN und Elternvertreter, sieht in der Entscheidung zur Schulfusion einen Putsch des Schulkomitees École Gare. Jahrelang hat er sich gegen eine Zusammenlegung gewehrt, seine beiden Söhne haben die Welter besucht. Seine Position reflektiere die Position der Elternvertreter, sagt er im Gespräch mit dem Land. Es hätten andere Vorschläge auf dem Tisch gelegen, etwa, dass Schüler der Commerce in die Welter rüberkämen. Oder der Cycle 4 integral in die Welter wechsle und so das Jugendhaus gegenüber beanspruchen könne. Die Schule müsse sich viel mehr Mittel geben, um ihrer Schülerschaft gerecht zu werden, sagt er. Mit seiner Partei, den Grünen, ist er mit seinen Ansichten nicht auf einer Linie: Sie fordern Solidarität. Überlegungen, die Ressourcenverteilung stärker an die Schulresultate zu binden, gebe es nicht, heißt es derweilen aus dem Bildungsministerium. Allerdings werde erwogen, Schulen mit niedrigem sozioökonomischen Status einen weiteren Speziallehrer für Schüler mit besoins spécifiques (I-EBS) an die Seite zu stellen. Was aus dem Michel-Welter-Gebäude wird, ist unklar. Langfristig ist ein völlig neues Gebäude für die Garer Schüler/innen geplant, ein „partizipatives Bildungshaus“ an der Ecke Glesener/Adolphe Fischer.

Sarah Pepin
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