Auf Spiegel Online stand vergangene Woche ein Artikel mit der Überschrift „So teuer könnte Heizen mit Öl und Gas werden“. Die Rechnung hat eine Beraterfirma anhand von 650 Wohnimmobilien in Hamburg mit durchschnittlich 165 Quadratmetern Größe angestellt. Sie können sich sehen lassen: Im Jahr 2030 könne die Belastung auf 784 Euro und im „Extremfall“ auf 3 135 Euro steigen. Nur für den CO2-Ausstoß und je nachdem, welcher CO2-Preis dann gilt. 100 Euro oder, das Extrem, 400 Euro die Tonne.
Solche Beispiele sind zwar hypothetisch, aber nicht ganz aus der Luft gegriffen. Nur Deutschland-typisch sind sie auch nicht: Ab 2027 soll in der EU ein Handel mit CO2-Emissionslizenzen in den Bereichen „Transport“, „Gebäude“ und „Brennstoffe in bestimmten Industriezweigen“ gelten. So wie es schon seit 20 Jahren einen Emissionshandel für die große Industrie und die Stromerzeugung aus fossilen Quellen gibt. Später kam noch die Luftfahrt hinzu, zuletzt die Schifffahrt. Die CO2-Lizenzen werden versteigert und von Jahr zu Jahr verknappt. Im großen Emissionshandel liegt der EU-einheitliche CO2-Preis derzeit bei rund 67 Euro die Tonne. Beim kleinen Bruder, dem „ETS II“, soll er 2027 bei 45 Euro beginnen. Schätzungen gehen davon aus, dass er danach rasch steigen wird. Der Datenanbieter BloombergNEF schrieb im März von bis zu 149 Euro im Jahr 2030. Andere Schätzungen sprechen von 350 Euro die Tonne. So kommen „Extreme“ für eine Verbrennermotor-Tankfüllung oder fürs Heizen mit Öl und Gas zustande. Wobei der Preis für die fossilen Kraft- und Brennstoffe selber noch nicht inbegriffen ist. Insgesamt könnten laut BloombergNEF in Deutschland die Preise für Benzin und Diesel bis 2030 gegenüber heute um 22 bis 27 Prozent zunehmen, wenn die Tonne CO2 149 Euro kostet. Für Gas und Heizöl um 31 bis 41 Prozent.
Für Luxemburg sind derartige Rechenbeispiele nicht bekannt. Eine Anfrage bei der Klima-Agence, die es vielleicht wissen könnte, wird mit dem Hinweis beantwortet, es besser im Umweltministerium zu versuchen. Minister Serge Wilmes (CSV) hat im März 2024 einen Gesetzentwurf im Parlament eingereicht, der auch hierzulande den neuen Emissionshandel einführen soll. Der ist Teil des Green Deal aus der vorigen EU-Legislaturperiode. Seit 2019 wurde der Green Deal mit einer ganze Reihe von Richtlinien und Verordnungen größtenteils in Kraft gesetzt. Dass CO2 immer teurer werden wird, scheint ausgemacht.
Die Frage ist vor allem, wie teuer und wie schnell. Und wer davor auf welche Weise geschützt, beziehungsweise bei der „Transition“ unterstützt werden soll: beim Heizungstausch, der Gebäudesanierung oder beim Kauf eines Elektrofahrzeugs. Dazu ließ Serge Wilmes im März und April einen „Klimasozialplan“ diskutieren, mit den Sozialpartnern, Berufskammern, NGOs und der Wissenschaft. Ab September soll es zu einem Vorentwurf des Sozialplans eine öffentliche Konsultation geben. Wenn die Gewerkschaften OGBL und LCGB recht haben, die am Freitag vergangener Woche mit der Arbeitnehmerkammer und dem Mouvement écologique eine Pressekonferenz zum Thema gaben, dann steht der Plan noch ziemlich am Anfang. Helfen soll er nicht nur Haushalten, sondern auch „Mikro-Unternehmen“. Doch was heißt „Mikro“? Wie Romain Schmit, Generalsekretär der Handwerkerföderation, die Sache sieht, gibt es „im Handwerk eine ganze Menge Betriebe, denen es nicht gut geht“. Aus Deutschland hat er gehört, dass durch den Emissionshandel „die Spritpreise um 40 Cent pro Liter steigen könnten“. Das werde „nicht lustig“.
Was illustriert, dass ETS II ein Rennen um staatliche Unterstützung auslösen wird. Das liegt in der Natur der Sache. Das Prinzip hinter Emissionshandel heißt cap and trade: Eine endliche Menge CO2-Lizenzen steht zur Verfügung. Unternehmen entscheiden, ob es für sie rentabler ist, in emissionsmindernde Prozesse und Technologien zu investieren und dadurch überzählig gewordene CO2-Lizenzen zu verkaufen. Oder weiter zu emittieren und dafür Lizenzen von Firmen zu erwerben, die in CO2-Minderung investiert haben. Doch dieser marktbasierte Ansatz war vor 20 Jahren für Großunternehmen gedacht. Und so richtig funktioniert er erst seit fünf Jahren. Die EU-Kommission hatte ihn als Alternative zu EU-weiten CO2-Steuern angepriesen. Im ETS II dagegen werden nicht Privatleute und kleine Betriebe, die Verbrenner-Autos fahren oder mit Gas und Öl heizen, mit Lizenzen handeln, sondern Petrolfirmen und Gasversorger tun das für sie. Und werden die Kosten an die Endverbraucher weitergeben. Die hoffentlich imstande sind zur Transition auf weniger CO2.
Die Handwerkskammer beschäftigt diese Frage stark. Das Beihilfensystem zur Klimatransition für Betriebe sei „nicht schlecht“, sagt Gilles Reding, Direktor für Beratung und Dienstleistungen bei der Handwerkskammer. Der 2023 eingeführte „Klimapakt für Betriebe“ entfalte nun eine Dynamik. Die Handwerkskammer selber habe einen Mitarbeiter eingestellt, der vor allem kleine Firmen bei der „Dekarbonisierung“ berät. Dass mehr als 80 Betriebe davon Gebrauch gemacht haben, zeige, wie groß der Bedarf ist. Sorgen macht ETS II der Handwerkskammer dennoch. Die größten Auswirkungen könnte es beim Fuhrpark geben. Klar könne man sagen, „elektrifiziert ihn“. Oft aber würden die Mitarbeiter kleiner Bauhandwerksbetriebe, um Zeit zu sparen, in der Camionette der Firma nach Hause fahren und am Tag darauf zur Baustelle. „Wenn die Mitarbeiter Grenzpendler sind, und viele sind das, stellt das Problem sich, wo man das elektrische Firmenauto nachlädt.“ In den Nachbarländern gebe es nicht so viele Ladesäulen wie in Luxemburg, und in Einfamilienhäusern mit eigener Wallbox würden Grenzpendler-Mitarbeiter eher nicht wohnen. „Was sich wie ein Detail anhören mag, kann für diese Betriebe zu einer großen Frage der Produktivität werden“, meint Gilles Reding.
Härten für „vulnerable“ Haushalte und Mikro-Unternehmen soll ein EU-Klimasozialfonds abfedern, sagt EU-Verordnung 2023/955. Der Klimasozialplan soll festlegen, wie. Der Sozialfonds würde mit 65 Milliarden Euro aus der Versteigerung von Lizenzen im ETS II gespeist und mit weiteren 20 Milliarden von den Mitgliedstaaten. Weil Luxemburg reich ist, soll es zwischen 2026 und 2032 nur 66,1 Millionen aus dem Fonds beziehen können, und würde damit Nettozahler. An der Stelle setzt eine Kritik von Gewerkschaften, Salariatskammer und Mouvement écologique an: Diese Summe über sieben Jahre reiche nie und nimmer zur finanziellen Absicherung der Klima-Transition. Eine Diskussion über zusätzliche Mittel dränge sich auf.
Geführt wird sie noch nicht. Premier Luc Frieden deutete in seiner Erklärung zur Lage der Nation am 13. Mai nur an, „mir ergänzen de Klimaplang duerch eng sozial Komponent“. Was damit über die bestehenden Zuschüsse für Wärmepumpen, Renovierung und Elektroautos sowie beispielsweise den Steuerkredit „CO2“ für Einkommensschwache hinaus gemeint ist, soll vermutlich im Klimasozialplan stehen.
Noch aber verfügt das Umweltministerium über keine Schätzungen, wie ein CO2-Preis sich auswirkt, der höher wäre als die nationale CO2-Steuer, die zurzeit bei 40 Euro pro Tonne liegt und nächstes Jahr auf 45 Euro steigen soll. Zum Beispiel für Haushalte, die noch mit Gas oder Öl heizen. Hatte die Klima-Agence dazu ans Umweltministerium verwiesen, rät dieses, sich ans Finanzministerium zu wenden. Dabei ist eine Überschlagsrechnung nicht schwer. Mit jeder Erhöhung der CO2-Steuer um fünf Tonnen-Euro steigt die Besteuerung pro Liter Heizöl um 1,25 Cent. Pro Kubikmeter Gas sie um 1,1 Cent. Wer in einem schlecht isolierten Einfamilienhaus wohnt und mit Gas heizt, verbrauche davon 2 460 Kubikmeter im Jahr, teilte das Wirtschaftsministerium Ende 2024 mit. In einem gut isolierten Haus seien es 820 Kubikmeter. Eine Ölheizung in einem alten Haus schlucke jährlich 2 755 Liter.
Daraus folgt: Bei einem CO2-Preis von 149 statt 45 Euro läge in einem guten Haus die Mehrbesteuerung von Gas bei 187 Euro im Jahr und bei 562 Euro in einem schlecht isolierten Haus. In einem schlechten Haus mit Ölheizung betrüge sie 716 Euro. Zuzüglich acht Prozent Mehrwertsteuer auf Gas und 14 Prozent auf Öl, läge der CO2-Anteil am Endpreis in den drei Fällen bei 202, 607 beziehungsweise 816 Euro.
Solche Zusammenhänge in Betracht zu ziehen, ist auch deshalb von Belang, weil nicht sicher ist, wann Luxemburg beim ETS II mitmachen wird. Die EU-Regeln erlauben Staaten, in denen 2026 eine nationale CO2-Steuer von mindestens 45 Euro die Tonne gilt, erst 2030 in den neuen Emissionshandel einzusteigen. Noch die vorige Regierung hatte dafür gesorgt, dass diese Option für Luxemburg offengehalten wird. Sie beantragte die Ausnahme bei der EU-Kommission und griff noch kurz vor den Kammerwahlen der nächsten Regierung mit einem Gesetzentwurf vor, der für die Jahre 2024 bis 2026 eine um jährlich fünf Euro erhöhte CO2-Steuer vorsah. Die CSV-DP-Mehrheit verstand, dass eine Punktlandung bei 45 Euro CO2-Preis politischen Spielraum bieten würde und bugsierte den Gesetzentwurf diskussionslos durchs Parlament.
Unter anderem wurde zu diesem Kniff auch deshalb gegriffen, weil abgewartet werden sollte, was die Nachbarländer entscheiden. Würde der Preisunterschied bei Benzin und Diesel viel größer zugunsten Luxemburgs, müsste schnell eine Extra-CO2-Steuer beschlossen werden, damit eine regelrechte Neuauflage des Tanktourismus die Luxemburger Klimaziele nicht unerreichbar macht. Doch mit dem Beitritt zum ETS II zu warten, hieße, zu einem Stichdatum einen CO2-Preisschock zu riskieren. Vielleicht nicht nur einen von 45 auf 149 Euro – niemand kann vorhersehen, welcher Preis sich auf dem Markt der Emissionslizenzen ergibt.
Trotzdem wird der Klimasozialplan Prioritäten setzen müssen. Bis September, damit die Konsultation der breiten Öffentlichkeit Sinn hat. Wie OGBL, LCGB, Salariatskammer und Mouvement écologique in ihrer Stellungnahme zur ersten Runde der Beratungen schreiben, bleibt noch viel zu tun. Zu ermitteln, wo besonders schlecht isolierte Wohnhäuser stehen, beispielsweise. Oder unter welchen Bedingungen man sagen kann, dass Berufstätigen die Nutzung des öffentlichen Transports Probleme macht und sie aufs Auto angewiesen sind. Wonach ihnen vielleicht mit jenem „sozialen Leasing“ eines Elektro-Autos geholfen werden könnte, das Serge Wilmes Anfang 2024 als ein Stück „andere Politik“ angekündigt hatte. Wie gut die soziale Kompensation der bisherigen CO2-Steuer funktioniert, ist eine weitere Frage. Die Hälfte der Einnahmen aus der Steuer soll an Einkommensschwache rückverteilt werden. Die Gewerkschaften sagen, die Rechnung gehe nur auf, wenn zum Beispiel auch die Teuerungszulage als CO2-Ausgleich angesehen wird. Doch die sei viel älter als die CO2-Steuer. Eine Wahrscheinlichkeit, dass die Debatte um die Transition sich mit der um Sonntagsarbeit, Renten und natürlich höhere Militärausgaben vermischt, besteht. Dagegen sieht es nicht so aus, dass ETS II in der EU politisch gekippt wird. Eine Reihe Mitgliedstaaten tritt lediglich für eine Verschiebung des Starts auf 2028 ein. Und Deutschland zum Beispiel will bei dem neuen Emissionshandel gleich mitmachen. Obwohl seine nationale CO2 Steuer schon jetzt 15 Euro über der in Luxemburg liegt.