CSV-Parteipräsident Marc Spautz zählt den internen Reformprozess zu den Höhepunkten von 2014. Welchen Reformprozess eigentlich?

Sterndeuter-Tage

d'Lëtzebuerger Land du 02.01.2015

Zufrieden über den Erfolg ihrer Partei bei den Europawahlen, unbeeindruckt von der Arbeit der blau-rot-grünen Regierungsmehrheit – so verabschieden sich CSV-Fraktionschef Claude Wiseler und Parteipräsident Marc Spautz vom Jahr 2014 auf der parteieigenen Webseite. „Chaos und Durcheinander im Vorfeld und nach der Budgetvorstellung“, eine „ideologische Wende“ bei der Familienpolitik – nein, neue Akzente setzen die Grußworte an die Parteibasis nicht, dieselben Kritikpunkte hatten die Christlich-Sozialen im Laufe des Herbsts mehrfach wiederholt. Als Herausforderung für 2015 sehen beide Politiker, das Land besser aufzustellen. Über die Neuaufstellung ihrer Partei verlieren sie dagegen kaum ein Wort. Man will die Besinnlichkeit zum Jahresende nicht stören.

Dabei dürfte es mit der Winterpause bald vorbei sein. Am 10. Januar treffen sich parteiinterne Kritiker zum traditionellen Dreikönigstreffen im Vitarium in Roost. Dort sollen jene Essays diskutiert werden, an denen Autoren seit Wochen, wenn nicht Monaten feilen: Mit Einwürfen zu Partizipation und parteiinterner Demokratie, dem Verhältnis der CSV zur Kirche und historischen Rückblicken wollen die Dissidenten dafür sorgen, dass die Aufmerksamkeit der Presse wenigstens für eine Weile wieder auf das Innenleben von Luxemburgs größter Partei gerichtet wird. Die Veranstalter des Dreikönigstreffens verstehen sich als Impulsgeber, die „so lange da sein werden, wie sie gebraucht werden“, wie es einer  ausdrückt.

Das ist spitzbübisch gesagt, denn ob die nicht mehr so jugendlichen Bedenkenträger gebraucht werden, ist nicht ausgemacht. Nicht wenige in der Partei könnten wahrscheinlich ganz gut ohne sie. Richtig ist, dass die Kritiker um den Zentrumsabgeordneten Serge Wilmes und ehemalige CSJ-ler wie Charel Schmit, Pierre Lorang und Sonja Kettmann, als sie nach der Wahlniederlage von 2013 eine Zukunftsdebatte verlangten, eine Malaise in der Partei angesprochen haben, die bis heute für viele nicht behoben ist.

Ob es sich dabei nur um das Bedürfnis einiger Zu-Kurz-Gekommener handelt, oder ob der Unmut von einer breiteren Basis getragen wird, wird sich Ende Januar zeigen. Dann soll der Schlussbericht des CSV-nahen Anwalts Marc Thewes und von Ex-Wort-Chefredakteur Marc Glesener vorliegen. Der Nationalrat bekommt die Ergebnisse, zusammen mit einer TNS-Ilres-Analyse, auf ihrer Sitzung Mitte Januar vorgestellt. Wer sich in den Bezirkssektionen und Unterorganisationen umhört, weiß, wo der Schuh drückt: Die Jugendorganisation CSJ hat nie einen Hehl aus ihrer Kritik an der Entwicklung der Mutterpartei gemacht. Sie war es, die noch unter der Führung von Serge Wilmes mehr Selbstkritik gefordert hat, Nachfolger Charel Hurt setzt die Tradition fort. Aus Bezirkskomitees kamen, sporadisch und hinter vorgehaltener Hand, ähnliche Wortmeldungen: Nicht wenige fühlten sich in den langen Juncker-Jahren zur Abnicker-Partei degradiert. Zu Wahlzeiten wird die Basis hofiert, das Zepter führen in Wirklichkeit andere. Der Unmut brach schließlich hervor, als beim Nationalkongress im Februar 2014 eine Resolution die mehr Partizipation und „breit angelegte Diskussionen“ forderte, großen Zuspruch fand.

Doch mittlerweile scheint die Aufbruchstimmung verflogen, werden Stimmen laut, die fragen, wie es um den internen Reformprozess bestellt ist, von dem Spautz auf der CSV-Webseite behauptet, er sei einer der Höhepunkte des vergangenen Jahres gewesen. Viel war davon nicht zu sehen: Zwar wurden Arbeitsgruppen unter Leitung von Abgeordneten ins Leben gerufen, so wie das der Wille des Führungstrios Wiseler, Spautz und Generalsekretär Laurent Zeimet war. Angeblich, um für eine bessere Rückkopplung zwischen Basis und Fraktion zu sorgen. Nur warum werden die Ergebnisse nicht anderen Mitgliedern zugänglich gemacht? Wer mit Vertretern der Basis spricht, erhält ein Schulterzucken: Was in den Arbeitsgruppen läuft, wüssten nur Eingeweihte. Nicht einmal die Resolution vom Nationalkongress ist im Web abrufbar – so als erinnere sich die Partei nur ungern an die damals gegebene Selbstverpflichtung.

Auch die versprochenen Themenkongresse sind Mangelware: Anfang Dezember diskutierten Abgeordnete und Parteimitglieder über Arbeit und Beschäftigung. Der Facebook-Eintrag zeigt Fotos mit jungen und älteren Parteimitgliedern, die einander andächtig zuhören. Bisher blieb es bei dem einen Treffen. Zu Streitthemen wie dem Ausländerwahlrecht existiert keine Arbeitsgruppe. Vielmehr wurden Parteimitglieder im September vor vollendete Tatsachen gestellt: Im Wort konnten sie lesen, Nationalkomitee und Fraktion hätten sich auf eine Linie verständigt, politische Partizipation von Ausländern sei für die CSV nur über den erleichterten Erwerb der luxemburgischen Staatsbürgerschaft möglich (d'Land, 25.07.2014). Als treibende Kraft hinter dem Coup gelten Vertreter des rechten Flügels der Partei, wie Michel Wolter und Marc Spautz. Das Ansehen von Claude Wiseler, wegen seiner diplomatischen Art von manchen als idealer Mann des Übergangs oder gar als Premier 2018 gesehen, erlitt erste Kratzer: Statt einen sicheren Austragungsort für Meinungsdivergenzen zwischen Modernisierern und Wertkonservativen zu schaffen, schlug sich der Fraktionschef auf die Seite derer, die eine solche Auseinandersetzung partout verhindern wollen. In einem Zu-Gast-Beitrag im Land im September räumte Wiseler ein, dass „la participation politique est assurément un élément important d’une intégration et d’une participation abouties“, um Befürworter anschließend auf eine Reform des Nationalitätengesetzes zu vertrösten. Bloß: Wird eine erneute Lockerung des Nationalitätengesetzes von der Parteibasis getragen? Und kann sie das Problem des Demokratiedefizits wirklich lösen? Bislang wurden derlei Grundsatzfragen kaum breiter diskutiert, sondern von oben herab entscheiden, wie damals, als Justizminister François Biltgen das ein Jahr zuvor geänderte Nationalitätengesetz weiter vereinfachte und die Residenzklausel von sieben auf fünf Jahre herabsetzte.

Dieselbe Scheu, ja, Angst vor internen Kontroversen lässt sich weiterhin bei anderen Kernthemen beobachten: Beim Religionsunterricht war es für die CSV-Führung nach langen Jahre der Blockade aus wahltaktischen Gründen plötzlich möglich, auf den Religionsunterricht in der Sekundarstufe zu verzichten und einen allgemeinen Werteunterricht für alle zu fordern, um neuerdings auf einer Pressekonferenz im Dezember, durch die Nordabgeordnete Martine Hansen vorgetragen, einem „Mehr-Religionenkurs“ das Wort zu reden. Zuvor hatte sich der Erzbischof gemeinsam mit Vertretern von sieben weiteren Glaubensgemeinschaften für einen solchen Kurs in der öffentlichen Schule ausgesprochen.

Während Konservative in anderen Ländern Studien in Auftrag geben, die das Leitbild der Kernfamilie mit männlichem Haupternährer für obsolet erklären, hält die CSV an der Hausfrauenehe fest und setzt sich für den „Choix“ ein – ohne konkret aufzuzeigen, was es für eine solche Wahlfreiheit braucht. Konsequent zu Ende gedacht, müsste da nicht jeder und jede individuell besteuert werden, um im Falle von Scheidung oder Trennung abgesichert zu sein? Bisher hat die CSV bei der Individualbesteuerung stets gebremst. Die Partei, die in den vergangenen Monaten keine Gelegenheit ausließ, um der Regierung „Konzeptlosigkeit“ vorzuwerfen, hat selbst wenig vorgelegt, um Alternativen aufzuzeigen. Bis zum Schluss hatte Wiseler die Spannung geschürt und versprochen, detaillierte Gegenvorschläge zum Haushaltsentwurf 2015 zu präsentieren, – was er und seine Kollegen im Parlament dann vorlegten, waren dieselben Forderungen und Phrasen, die Journalisten schon früher zu hören bekamen.

Man habe keine Verwaltung mehr im Rücken, die beim Redigieren helfen könnte, versuchte Wiseler den Auftritt seiner Partei in der Haushaltsdebatte zu erklären. Ein Versuch, davon abzulenken, dass selbst nach einem Jahr auf der Oppositionsbank längst nicht alles rund läuft. Im Frühjahr 2014 war bekannt, dass die Regierung den Haushaltsentwurf 2015 nutzen wollte, um wesentliche Akzente ihrer Sparpolitik zu setzen. Eine fitte Opposition hätte den Vorlauf genutzt und mit eigenen Vorschlägen die Debatte frühzeitig zu beeinflussen versucht. Vielleicht war es die plötzlich aufgetauchte Sparliste von Luc Frieden, die so weit nicht von der der Regierung entfernt war, die ein glaubwürdiges Eintreten für eine andere Politik erschwerte. Mit dem Fortgang Friedens, der sich als erfolgsverwöhnter Haushaltsminister nicht mit der Oppositionsrolle anfreunden mochte, scheint der Partei zugleich der intellektuelle Unterbau zu fehlen, um bezahlbare Alternativen zu denken. Jetzt rächt es sich, dass die Partei sich all die Jahre um einen starken Mann aufgebaut hat.

Der ist endlich am Ziel seiner Reise angekommen und sitzt als Kommissionspräsident in Brüssel – doch fort ist Jean-Claude Juncker deshalb noch nicht: In Parteigremien lässt er sich Insidern zufolge zwar nicht mehr blicken, aber im Fraktionssitz auf dem Fischmarkt soll es öfters nach kaltem Rauch riechen – ein sicheres Zeichen, dass sich der Gewohnheitsraucher nicht ganz verabschiedet hat. Wie schwer es dem Ex-Staatsminister fällt, sich aus der Innenpolitik seiner Heimat herauszuhalten, zeigte Juncker im RTL-Interview Ende November, als er, entgegen der Gepflogenheit zur politischen Neutralität von Kommissionsmitgliedern, großspurig behauptete, die CSV werde die nächsten Wahlen „haushoch“ gewinnen. Mit ihm als hinzugeschalteten Super-Guest-Act?

Die demonstrative Siegesgewissheit dürfte diejenigen in der Partei bestärken, die mit Juncker groß geworden sind – und für die die Zeit in der Opposition nur eine lästige Zwischenstation zur nächsten Regierungsbeteiligung ist. Sie interpretieren die Wahl 2013 nach wie vor nicht als Niederlage, sondern eher als dummen Ausrutscher. Entsprechend triumphierend wird auf das gute Abschneiden bei den Europawahlen im Mai 2014 hingewiesen. Diese alte Garde hat kaum ein Interesse daran, dass sich die Partei erneuert, das würde ja bedeuten, sich eigene Konkurrenz heranzuziehen. Françoise Hetto-Gaasch, Wiseler, Spautz – sie alle haben das Alter und den Ehrgeiz, um noch einmal Minister zu werden. Die jetzige Ordnung zu hinterfragen, hieße auch, diese Erbfolge in Frage zu stellen.

Doch noch liegen die Wahlen in weiter Ferne. Was, wenn die Wirtschaft wieder anzieht, der niedrige Ölpreis könnte hier ankurbelnd wirken – und bessere Wirtschaftsdaten entgegen aktuellen Prognosen der DP/LSAP/Grüne-Regierung aus ihrem Umfragetief heraushelfen? Wahlgeschenke sind keine Erfindung der CSV. Dann wäre der sicher geglaubte Sieg so sicher nicht mehr und würde sich vielleicht doch bitter rächen, dass sich die Partei nicht modernisiert hat. Claude Wiseler räumte im Journal-Interview Nachholbedarf bei der Verjüngung der Partei ein. Dort, wo junge Männer die politische Leiter emporkommen, geschieht dies kontrolliert: CSV-Generalsekretär Laurent Zeimet wird als Nachrücker für Jean-Claude Juncker Mitglied in den Ausschüssen Innenpolitik, Bildung, Kultur und Umwelt, Marc Spautz hatte bereits im Herbst den Stuhl von Luc Frieden in der Finanzkommission übernommen. Auf der Strecke bleiben Abgeordnete, die mehr Expertise haben, wie die Zentrumsabgeordnete und Ökonomin Diane Adehm, die sich mit ihrer Ja-Stimme zur blau-rot-grünen Reform des Abtreibungsgesetzes bei den Wertkonservativen in der Partei keine Freunde gemacht haben dürfte, ebensowenig wie ihre Kollegen Sylvie Andrich-Duval, Gilles Roth und Serge Wilmes. Zu ihrem abweichenden Votum äußerten sich die Abgeordneten nicht öffentlich, bisher scheint die parteiinterne Kontrolle der Konservativen also noch recht gut zu klappen, von vereinzelten Presseberichten über angebliche Intrigen und Zankereien einmal abgesehen. Außer Wilmes hat von der Parlamentsfraktion niemand die Parteistruktur offen in Frage gestellt, obschon Abgeordnete wie Gilles Roth und Adehm versuchen, mit parlamentarischen Anfragen ihr Profil zu schärfen. Laurent Mosar sendete seine Unterstützung der CSJ-Forderung, den nächsten CSV-Spitzenkandidaten per Urwahl zu bestimmen, per Tweet.

Unzufriedenheit über den uninspirierten Eiertanz um Alternativvorschläge zum Haushalt etwa oder die SMS-Affäre von Parteipräsident Spautz wird nur abseits der Mikrofone geäußert. Aus der Deckung trauen sich die Kritiker (noch) nicht.

Schon deshalb werden die Dissidenten des Dreikönigstreffens, die nichts mehr zu verlieren haben, nicht locker lassen und auf sichtbare Veränderungen pochen. Erstmalig soll es ein Treffen mit der Presse geben. Für eine Grundsatzdebatte wird die Zeit jedoch knapp. Der nächste Nationalkongress soll im März stattfinden. Parteipräsident Marc Spautz hat für den Termin „todsicher“ Änderungen der Parteistatuten angekündigt. Gerüchten zufolge soll der Kongress erweitert werden. Bis zu einer Primaire wie bei der UMP in Frankreich oder Plänen für eine Urwahl wie bei der CDU in Deutschland ist es aber noch ein Stück Weg.

Ines Kurschat
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