Deutschland

Menschen in Uniform

d'Lëtzebuerger Land vom 26.06.2020

Es war vor drei Wochen. In Berlin demonstrierten etwa 15 000 Menschen gegen Rassismus und Diskriminierung. Am Rande des Protests kam es zu Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Menschen und der Polizei. Die Situation eskalierte. Die Polizei griff hart durch. Videoaufnahmen zeigen das schlagende und prügelnde Vorgehen der Berliner Polizei. Zu hart, wie im Nachgang viele Protestierende angaben, und mehr noch: Es seien gezielt Schwarze und vermutliche Migrantinnen und Migranten festgenommen worden – auf einer Antirassismus-Demonstration.

Der Vorwurf wiegt schwer. Und das ausgerechnet in Berlin, wo wenige Tage zuvor im Abgeordnetenhaus das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG) vom rot-rot-grünen Senat verabschiedet worden war. Mit dem Gesetz werde nun, laut der Senatsverwaltung für Justiz, europäische Vorgaben umgesetzt. „Es gibt in dieser Stadt Menschen, für die gehört es zum Alltag, diskriminiert zu werden“, erklärte dazu Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Das passiere in der U-Bahn, auf der Straße oder bei der Arbeit. Es könne aber auch sein, dass sie von staatlichen Stellen anders behandelt würden als andere Berliner. „Wenn beispielsweise drei weiße Männer eine Gaststättenerlaubnis beantragen und sie bekommen, ein schwarzer Mann aber nicht, muss man genauer hingucken, woran das liegt“, so Behrendt weiter. Im Falle einer Diskriminierung stünde dem Opfer dann eine Entschädigung des Landes Berlin zu.

Konkret sieht das Gesetz vor, dass niemand im Rahmen öffentlich-rechtlichen Handelns aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Herkunft, der Religion und Weltanschauung, einer Behinderung, der sexuellen Identität und einer Reihe weiterer Merkmale diskriminiert werden darf. Vorgesehen sind unter anderem gegebenenfalls Schadensersatzpflicht, die Möglichkeit einer Verbandsklage sowie die Einrichtung einer Ombudsstelle. Zum „öffentlich-rechtlichen Handeln“ zählt auch das Beantragen von Sozialleistungen, die Notengebung in der Schule wie das Agieren der Polizei.

Was unter anderem Bundesinnen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU) auf den Plan rief: „Wir müssen hinter der Polizei stehen und dürfen sie nicht unter Generalverdacht stellen“, sagte er in einem Gespräch mit der Tageszeitung Der Tagesspiegel. Seehofer stößt sich daran, dass nachdem LADG-Opfer glaubhaft darlegen müssen, dass sie diskriminiert wurden, es dann an der öffentlichen Stelle liegt, diesen Vorwurf zu entkräften. Behrendt konterte, dass gerade im Diskriminierungsrecht eine derartige Beweislasterleichterung ein „sehr probates Mittel“ sei, weil in der Regel nicht offen, sondern subtil diskriminiert werde. Zudem zeigte er sich überzeugt, dass die „übergroße Mehrheit“ der Polizistinnen und Polizisten – wie auch Mitarbeitende bei anderen öffentlichen Stellen – nicht diskriminieren wollten und nicht diskriminierend handelten. „Für die ändert sich durch das neue Gesetz überhaupt nichts.“ Doch die Berliner wollen Diskriminierung bereits in der Ausbildung zum Öffentlichen Dienst angehen und sich beispielsweise an der Polizei in Nordrhein-Westfalen ein Beispiel nehmen: Dort soll die Ausbildung schon bald reformiert werden, so dass künftig vor dem Einstieg in die Polizei ein dreijähriges Studium mit Bachelor-Abschluss erforderlich ist.

Das neue Berliner LADG sorgt für eine hitzige Diskussion innerhalb der deutschen Innenminister auf Länderebene. Obwohl das Gesetz regelt, dass etwaige Entschädigungsansprüche sich nie gegen einzelne Mitarbeitende richten, sondern stets gegen das Land Berlin, wollen die übrigen Bundesländer derzeit keine Polizisten zur Unterstützung ihrer Kollegen nach Berlin schicken.

Zu Recht, wie Burkard Dregger, Fraktionschef der Christdemokraten im Berliner Abgeordnetenhaus, findet. Er hält das LADG schlichtweg für überflüssig: „Jeder, der sich diskriminiert fühlt, kann das vor Gericht geltend machen. Es gibt keine belastbaren Erkenntnisse, dass Landesbedienstete regelmäßig diskriminieren.“ Er wirft den Regierungsparteien im Berliner Senat vor, die Bediensteten des Landes unter Generalverdacht zu stellen. „Ganz Deutschland schüttelt ein weiteres Mal den Kopf. Es ist zum Fremdschämen.“ Der baden-württembergische CDU-Innenpolitiker Thomas Blenke dazu: „Deutschland ist nicht USA. Wir haben hier kein Rassismus-Problem in der Polizei.“ Die Berliner FDP-Fraktion erwägt sogar rechtliche Schritte gegen das neue Gesetz. Holger Krestel, Sprecher für Recht und Verfassungsschutz, sagte in einem Gespräch mit dem Sender RBB, dass das Gesetz eine schallende Ohrfeige für alle Polizistinnen und Polizisten der Hauptstadt sei. „Wir als FDP-Fraktion behalten uns vor, die Verfassungsmäßigkeit im Rahmen einer Normenkontrollklage prüfen zu lassen und somit für die Polizei wieder Rechtssicherheit zu schaffen.“

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) geht hingegen davon aus, dass viele Kritiker des neuen Berliner Antidiskriminierungsgesetzes keine Erfahrung mit dem Thema gemacht haben. „Die Kritiker sind meist ältere weiße Männer, die behaupten, das sei nicht notwendig. Ja, sie werden ja auch nicht diskriminiert“, so Geisel in einem Interview mit dem Magazin Cicero. „in unserer Stadt haben 35 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund – das sind immerhin 1,3 Millionen Menschen. Wenn die uns von ihren täglichen Wahrnehmungen und Erleben berichten, die alte weiße Männer allesamt nicht haben, dann müssen wir das ernst nehmen.“

Um den Polizistinnen und Polizisten Rechtssicherheit zu bieten, werden in Berlin jetzt Polizisten, Mitarbeitende der Feuerwehren und Rettungskräfte mit sogenannten Bodycams ausgestattet. Die Kameras sollen auch auf Verlangen – etwa von zu überprüfenden Menschen – eingeschaltet werden können. Die Aufnahmen können später von beiden Seiten in möglichen Gerichtsprozessen genutzt werden.

Martin Theobald
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