Marc Glesener, Thierry Nothum, Yves Feltes, Isabelle Faber und Alain Rousseau – für wen arbeitet man, wenn man einmal ganz oben war?

Neue Selbstständigkeit

d'Lëtzebuerger Land vom 12.05.2017

Wenn Arbeitgeberverbände und Wirtschaftsminister den Unternehmergeist beschwören, haben sie meist ein Bild von jungen Hochschulabgängern vor sich, die mit dem Laptop in der einen, dem Smartphone in der anderen Hand und einer innovativen Idee im Kopf die Welt erobern. Doch in den vergangenen Monaten häufen sich die Beispiele dafür, dass die Selbstständigkeit nicht nur zum Karriereanfang Möglichkeiten bietet.

Marc Glesener, Jahrgang 1969, hatte sich beim Luxemburger Wort vom Lokal- zum Chefredakteur hochgearbeitet. 2012 wechselte der St. Paulus Verlag nach dem Misserfolg der Regionalausgaben, der Gratiszeitungem und der Voix du Luxembourg die Firmenspitze aus. Seither ist Marc Glesener selbstständiger Unternehmer. Als M(a)G Solutions bietet er Kommunikationsdienstleistungen an.

Yves Feltes, Jahrgang 1962, war Journalist beim Lëtzebuerger Land, bevor er zum Satellitenbetreiber SES wechselte und dort die Firmenkommunikation übernahm. Das machte er 25 Jahre lang. Vergangenes Jahr machte er sich mit der Firma Ycomm selbstständig, die sich auf Kommunikationsdienstleistungen mit Themenschwerpunkt Weltraum spezialisiert.

Isabelle Faber, Jahrgang 1968, arbeitete sich erst zum Direktionsmitglied der Supermarktkette Match hoch, leitete die Kommunikationsabteilung des Beratungsunternehmens PWC und wurde Pressesprecherin des großherzoglichen Hofes. Als das großherzogliche Management im Herbst 2015 einen Strategiewechsel beschloss, verließ der erst seit zwei Jahren genannte Hofmarschall Pierre Bley Colmar-Berg, und eine Woche später folgte ihm Isabelle Faber. Vergangenes Jahr gründete sie die Firma Leitmotif, die Kommunikationsdienstleistungen anbietet.

Thierry Nothum, Jahrgang 1959, fing als Bahnhofsvorsteher bei der CFL an, wechselte zur IT-Abteilung der staatlichen Bahngesellschaft und dann zur Luxair. Dort wurde er Personalchef wurde, bevor er erst als Generalsekretär und dann als Direktor während 23 Jahren bis zum Ende März die Geschicke der Handelskonföderation (CLC) leitete. Seither bietet er als selbständiger intellektueller Arbeiter unter dem Namen Coast Consulting Beratungsdienstleistungen an.

Alain Rousseau, Jahrgang 1967, fing als Motorsportkorrespondent beim Républicain Lorrain an, bevor er zum Luxemburger Wort wechselte. Dort war er hauptsächlich für Außenpolitik zuständig, bis er 2001 zum Sender RTL Télé Lëtzebuerg wechselte, dessen Nachrichtenredaktion er während zehn Jahren als Chefredakteur bis Ende Januar leitete. Dann gab er seinen Posten im Zuge der Lunghi-Schram-Affäre auf und gründete Tismo Consulting, eine Firma, die sich auf Kommunikationsdienstleistungen spezialisiert.

„Ich war mit unter 30 Jahren Mitglied im Vorstand einer Handelskette“, sagt Isabelle Faber, „und habe für den Staatschef gearbeitet“. In ihrem Bereich, findet sie, ist so weit nach oben gekommen, wie es nur möglich war. „Für wen arbeitet man danach?“, fragt sie. „Ich war 28 Jahre im Beruf, habe Print, Radio, Fernsehen und Internet gemacht“, stellt Alain Rousseau fest. Auch wenn das Internet als Nachrichtenquelle immer wichtiger wird, gibt es auch heute noch gute Gründe, den Chefredakteur des einzigen Fernsehsenders in luxemburgischer Sprache als mächtigsten Journalisten in Luxemburg zu betrachten. In der Hierarchie kommt kurz danach der Chefredakteur der größten Tageszeitung. Yves Feltes hat die Entwicklung von SES von Anfang an miterlebt, von Satellit Nummer eins bis zum „world-leading satellite operator“ mit über 50 Satelliten, heute eines der letzten börsennotierten Unternehmen in Luxemburg. „Früher“, erinnert er sich, „flogen wir mit der Concorde mit 100 Journalisten nach Kourou, damit sie sehen konnten, wie die Trägerrakete für den Satelliten zum Startfeld gebracht wurde. Dann flogen wir zurück nach Europa, um drei Tage später wieder alle für den Start nach Kourou zu bringen.“ Die Frage, für wen man danach arbeitet, haben die fünf mit „mich selbst“ beantwortet.

Yves Nothum steht zwei Jahre vor der Pensionierung. Für ihn ist die Selbstständigkeit eine Art sanfter Übergang in den Rentnerstand, weil er nicht mehr so viel arbeiten möchte wie bei der CLC. Weil er einen Gang zurückschalten will, ist ihm ein Termin morgens um neun deshalb zu früh. Weil er möglichst frei bleiben will, hat er keine Firma gegründet. Den Namen, unter dem er seine Beratungsdienste anbietet – Coast Consulting –, hat er sorgfältig gewählt. Das „Co“ steht für „commerce, conseil“ und „communication“, das „a“ als Kürzel für das englische Bindewort „and“ und „st“ für „Strategie“. In dem Vorstellungspapier, das er vorbereitet hat, um seine Tätigkeiten zu erklären heißt es: „Coast Consulting joue également sur la métaphore d’un décideur qui, du haut d’une falaise, laisse promener son regard le long de l’horizon et s’interroge sur l’immensité des défis qui lui offre le monde des affaires. Dans une symbolique opposée, la côte représente la terre ferme qui peut sauver un marin d’une mer déchaînée.“ Die neue Selbstständigkeit ist für ihn, der immer im Team gearbeitet hat, Neuland, wo er erst eimmal ankommen muss. Nothum will das Wissen und die Erfahrung, die er sich im jahrzehntelangen Austausch mit Unternehmern angeeignet hat, als geldwerte Leistung verkaufen, indem er sich gewissermaßen als Vertrauter des Unternehmenschefs anbietet. Denn wer an der Spitze eines kleinen oder mittelständigen Unternehmens stehe, sei da oben oft recht allein und brauche jemanden von außerhalb, um sich auszutauschen. Eine Art Beichtvater. Nothum ist Autor des 2016 erschienen Buches L’intelligence servicielle – Transformer le bien-être en performance économique. Als Berater will er Unternehmen nicht nur helfen, sich auf die neuen Konsumgewohnheiten der Kundschaft einzustellen – Stichwort elektronischer Handel –, sondern ihnen auch nahebringen, wie wichtig guter Service ist. Weil er Erfahrung in Personalverwaltung hat, kann er sich vorstellen, bei Tarifvertragsverhandlungen beratende Funktionen zu übernehmen. Eine Webseite hat er bisher nicht eingerichtet, im Internet-Telefonbuch ist er auch nicht zu finden. „Ich habe nicht das Gefühl, viel Werbung machen zu müssen.“ Die Kundschaft komme durch Mundpropaganda zu ihm.

Auf der Webseite von M(a)G Solutions schaut Marc Glesener den Internauten mit stechendem Blick direkt in die Augen. Offensichtlich hält er nichts von falscher Bescheidenheit. Unter „Profil“ heißt es: „M(a)G Solutions, das ist ein Name: Marc Glesener.“ Er gibt sich dynamisch, spricht von globaler Erfahrung. Zu seinen Kunden gehören der Ärzteverband AMMD, die Robert Schuman Spitäler, der Verband der Osteopathen, die Steuerberatungsfirma Atoz und für die Schlachterei Coboulux schreibt er Meldungen über die Eröffnung neuer Emo-Filialen. Ganz aktuell ist seine Webseite nicht, aus dem dort angekündigten House of Com ist er wieder ausgezogen, die Partnerin Nathalie Dondelinger hat sich aus der Kommunikation zurückgezogen und leitet eine Start-up. In der Rubrik „kürzlich veröffentlicht“ stammt der neueste Beitrag, eine „Carte blanche“, vom Mai 2015 mit dem Titel: „A wat geschitt nom 7. Juni?“ In seinem Büro in den Terraces de l’Europe in Dommeldingen empfängt Marc Glesener im battle dress des smarten Geschäftsmannes, Seidentuch in der Brusttasche des Sakkos. In seinem Büro sind die Insignien des modernen Luxemburg ausgestellt, Aschenbecher für Zigarren und Elefanten-Skulturen à la Elephant parade. Neben den Auftragsarbeiten für Kunden schreibt er weiterhin Medienbeiträge für RTL, für 100,7, auch fürs Wort und für das Journal könnte er noch schreiben, wenn er mehr Zeit hätte. Seine Meinung passt offensichtlich durch all diese Kanäle, obwohl er als Berater die CSV zu seinen Kunden zählt.

Nach fünf Jahren arbeitet er weiterhin alleine. Das ist eine bewusste Entscheidung. „Ich will keine große Struktur.“ Deshalb greift er, je nachdem welche Dienste gefragt sind, auf andere Firmen zurück, beispielsweise, um Meinungsumfragen durchzuführen oder Grafikarbeiten zu liefern. Zwischen 40 und 50 Kunden, große und kleine, bedient er. Nach der Festanstellung müsse man sich erst einmal an die Fluktuation gewöhnen. „Aber wenn du deine erste Rechnung schreibst und sie wird bezahlt, dann ist das auch ein gutes Gefühl“, berichtet er. Man müsse „Gas geben“, sagt Glesener und unter allen Umständen „liefern“. Er denke in Projekten. Das Unternehmertum sei sehr zeitintensiv, aber seine Arbeit könne er besser einteilen als vorher als Angestellter.

Yves Feltes ist am Dienstag und am Mittwoch in Kirchberg beim ICT Spring, das den Weltraumgeschäften einen Schwerpunkt widmet. Dort trifft er sich mit potenziellen Kunden und hört den Gastrednern zu. Seit er als Student in einem Schreibwettbewerb einen Aufenthalt in Japan gewann, ist er von audiovisuellen Medien fasziniert, erklärt er. Eine Faszination, die bis heute anhält. Für den Neu-Selbstständigen Feltes war es ein Glücksfall, dass Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) Luxemburg zur führenden Nation im Abbau von Rohstoffen im Weltall machen will. Als die Regierung vergangenes Jahr ihre Spaceressources-Initiative lancierte, engagierte sie Feltes. Am Tag vor der Pressekonferenz erschien in der Financial Times ein großer Beitrag über die Luxemburger Bemühungen, Wenig später folgte ein Artikel im Wall Street Journal. Internationale Medien nahmen Schneiders Schnapsidee ernst, und gaben ihr damit Legitimität und Glaubwürdigkeit. Als Schneider mit Staatsminister Xavier Bettel (DP) und dem Ex-Nasa-Mitarbeiter (und auf die alten Tage selbstständigen Berater) Pete Worden in Senningen vor die Presse trat, waren Journalisten aus der ganzen Welt zugeschaltet. Am Tonpult saß Yves Feltes. Konferenzschaltungen wie jene sind beim börsennotierten Unternehmen SES bei der Bekanntgabe der Finanzergebnisse Pflichtübung. Feltes hat ein Adressbuch voll mit Namen aus der Fachpresse, Journalisten, mit denen er über Jahre in Kontakt stand. Heute hat er Kunden in den USA, Start-ups in Seattle, in San Francisco und im Silicon Valley. Da sie erst um Mitternacht Luxemburger Zeit zur Arbeit fahren, nutzt er moderne Kommunikationstechnologien, um nachts Telefonkonferenzen durchzuführen. Das ist anstrengend, berichtet er, und in Start-ups stehe und falle alles mit der Finanzierung. Doch ihm gefalle die Aufbruchsstimmung.

Isabelle Fabers Büro in der Kapuzinergasse ist lichtdurchflutet und mit Architektenregalen und Designerlampen ausgestattet. An den Wänden hängen Erinnerungsstücke an ausgeführte Projekte und Arbeiten von befreundeten Künstlern. Jedes Detail stimmt. Genauer gesagt, jedes violette Detail, von den violetten Aktenordnern über die violetten Post-its und Stifte bis hin zu den violetten Mülltüten. Das ist nicht nur Ausdruck davon, dass sich Faber für schöne Dinge und Innenausstattung interessiert. Es ist ein Versprechen an die Kunden, ihren Auftrag mit genauso viel Präzision wie die Einrichtung ihres Arbeitsplatzes auszuführen. Isabelle Faber gelingt, was wenige können. Sie kann über die Erfolge und Misserfolge ihrer Karriere reden und klingt dabei weder aufgeblasen noch bedauernswert. Sie kann das ohne leere Worthülsen aus dem Manager-Handbuch zu benutzen, obwohl sie jahrelang bei einer Big 4 einen Mitarbeiterstab von 20 Personen geführt hat, fast eine Firma in der Firma. Wenn sie darüber spricht, was sie ihren Kunden bietet, tut sie das in einer verständlichen, konkreten Sprache. Aus ihrem früheren Berufsleben kennt sie alle Werbe- und Grafikagenturen, Eventveranstalter, Catering-Dienste, Journalisten und dazu noch die Protokollregeln. Nach eineinhalb Jahren hat sie einen Kundenstamm von 20 Auftraggebern, darunter Gemeinden, öffentliche Einrichtungen, Banken; die allermeisten davon luxemburgisch. Sie hat einen jungen Mitarbeiter eingestellt und ist stolz darauf, jemandem eine Chance geben zu können, „so wie jemand mir eine Chance gegeben hat“.

Das Online-Telefonbuch Editus führt Tismo Consulting unter der Rubrik „Entspannung, Yoga, Medita­tion“. Alain Rousseau versucht, die Panne mit Humor zu nehmen. Tismo ist für ihn ein Akronym für „Time is money“. Rousseau ist ein unruhiger Mensch, ständig in Bewegung, wenn er redet. Er läuft Marathon und ist Triathlet und wird bald 50. Deshalb habe er auch vor der Lunghi-Affäre schon über eine neue Herausforderung nachgedacht. Rousseau spricht viel vom Mehrwert von effizienter Kommunikation. Seine Rolle dabei versteht er als Mittelsmann zwischen denen, die sich etwas zu sagen haben: Institutionen, Medien, Öffentlichkeit. Als Chefredakteur fiel ihm auf, wie viele Pressemitteilungen es gibt, die keine klare Botschaft enthalten, und sah eine Marktlücke. „Hören ist nicht gleich verstehen“, sagt Rousseau, und Kommunikation nicht unbedingt das, was die Leute suîch darunter vorstellen. Er bietet von der Produktion von Kampagnen, dem Schreiben von Beiträgen, übers Medien- und Kameratraining zur Managementberatung alles an Diensten an, was im Zusammenhang mit Kommunikation steht, bis hin zur Krisenkommunikation. Eine der Institutionen, die Rousseau berät, ist der großherzogliche Hof, den Isabelle Faber vor eineinhalb Jahren verließ. Vergangenes Jahr hatte RTL eine völlig unkritische Werbedoku über die großherzogliche Familie ausgestrahlt. Als Chefredakteur der Nachrichtenredaktion, betont er, habe er damit nichts zu tun gehabt. Die Umstellung ins Unternehmertum sei ihm leicht gefallen, sagt Rousseau. Er sieht großes Potenzial durch die im Rifkin-Plan vorgesehene digitale Revolution und erwartet sich viele Technologie Start-Ups, wenn Luxemburg auf saubere Energie umgestellt werden soll. Die brauchen sicher jemanden, der für sie PR-Arbeit macht.

Michèle Sinner
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