Charles Schaefer (1856-1922), ein Luxemburger im Dienst der britischen Kolonialarmee, der ägyptischen Regierung und des Völkerbunds

Ein Vorkämpfer gegen die Sklaverei

d'Lëtzebuerger Land du 26.06.2020

Charles Schaefer wurde am 23. Dezember 1856 in Luxemburg geboren, seine Mutter stammte aus der einflussreichen Industriellenfamilie Metz1. Nach dem Abitur am Athenäum und einem abgebrochenen Jurastudium in Paris trat er in den Dienst der britischen Armee, die für das Empire händeringend auch im Ausland Personal rekrutierte. 1878 wurde er der Cameron-Mission zugeteilt, die im Osmanischen Reich Trassenverläufe für eine mögliche Eisenbahnverbindung zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf eruieren sollte. Nachdem der Berliner Kongress 1878 die Osmanen gezwungen hatte, in ihrem rückständigen Reich Reformen zuzulassen, wurde Schaefer Mitglied einer Kommission, die in Ostanatolien die Umsetzung dieser Reformen zugunsten der armenischen Bevölkerung begutachten sollte.

1884 heiratete Schaefer selbst eine Armenierin, Duruhitza Dadian, aber nicht aus Ostanatolien, sondern aus der Hauptstadt Konstantinopel. Sie war mit großer Wahrscheinlichkeit2 eine Tochter von Ohannes Bey Dadian und damit eine Schwägerin von Boghos Pasha Nubar (1851-1930), einem Sohn des späteren ägyptischen Ministerpräsidenten Nubar Pascha. Die Ehe zwischen Schaefer und Dadian hatte auch wirtschaftliche Vorteile für beide Familien: Beide hatten Geschäfte in der Schwerindustrie und im Eisenbahnwesen. Die Familie Dadian gehörte zu den Eisenbahnpionieren im Osmanischen Reich und war bis 1880 die barutçubaşı (türkisch: „Chef der Gewehre“)3. Mehr als hundert Jahre lang hatten die Dadians das Monopol auf die Pulver- und Waffenschmieden inne und spielten eine führende Rolle bei der Industrialisierung des Osmanischen Reiches. Diese eminente Position war an sich ein Paradox, denn damit war es eine armenische Dynastie, die die Bewaffnung des gesamten Reiches garantieren sollte, obwohl Christen selber keine Waffen besitzen durften4. Einem Dadian war es 1837 zu verdanken, bei Sultan Mahmud II. anlässlich eines Besuchs in der Waffenschmiede in Dolma Bachtche durchgesetzt zu haben, dass der jahrhundertealte Brauch beendet wurde, nach dem die Christen dem Sultan Knaben zur Verfügung stellen mussten. Die „Knabenlese“ (devşirme) war eine menschenverachtende osmanische Tradition, der Millionen christlicher Söhne zum Opfer fielen und die zur Herausbildung der osmanischen Eliteeinheit der Janitscharen aus zwangskonvertierten Christen geführt hatte.

Als Sklavereibekämpfer in Ägypten

1882 wechselte Schaefer nach Ägypten. Dort hatten seit der Eröffnung des Suezkanals 1869 die französischen und britischen Geldgeber der Suezkanalgesellschaft das Sagen. Der osmanische Sultan und sein Statthalter, der Khedive aus dem albanischen Geschlecht Mohammed Alis, wollten diesen europäischen Einfluss loswerden. Unter Arabi Pascha kam es zum Aufstand, dem 1882 einige Europäer zum Opfer fielen. Dies veranlasste die Briten, militärisch zu intervenieren und das Land am Nil zu besetzen, ohne jedoch direkt daraus ein Protektorat zu machen.

Der starke Mann in Ägypten war der Armenier Nubar Pascha (1825-1899), der zwischen 1878 und 1895 Premierminister, engster Berater des Khediven und Vertrauter der Briten war. Nubar berief 1882 Charles Schaefer, einen Schwager seines Sohnes, als Attaché ins Innenministerium, um die kasernierte Polizei Ägyptens zu reformieren5. Schaefer bekam dazu den militärischen Rang eines Majors. 1884 wurde Major Schaefer Chef eines Büros zur Bekämpfung des Sklavenhandels in Ägypten, welches infolge eines britisch-osmanischen Abkommens von 1880 geschaffen worden war. Großbritannien, wo 1833 die Sklaverei endgültig abgeschafft worden war, half seit den 1870-er Jahren den Osmanen, den Sklavenhandel im von ihnen 1821 besetzten Sudan zu bekämpfen.

Im Osmanischen Reich wurde die Sklaverei erst 1855 abgeschafft. Ausgenommen davon war die Provinz Hedschas mit den heiligen Städten Mekka und Medina, wo die Sklaverei bis ins 20. Jahrhundert fortdauerte. Entsprechend schwer hatte Major Schaefer es bei der lokalen Bekämpfung des internationalen Sklavenhandels, er erzielte aber dennoch gewisse Erfolge. 1885 konnte er exakt 553 Sklaven befreien. Allerdings musste er feststellen, dass der Sklavenhandel dabei war, sich zu diversifizieren. Mehr und mehr ging er einher mit den muslimischen Pilgerströmen nach Mekka und Medina, die seit alters her auch mit Handel aller Art verbunden waren. Beide Städte waren zu jener Zeit noch osmanisches Territorium und für Christen und also auch für Schaefer tabu6.

1889 wurde Charles Schaefer beauftragt, eine britische Hilfsexpedition ins von Sklavenhändlern bedrängte Deutsch-Ostafrika durchzuführen. Eine deutsche Expedition war dort in Bedrängnis arabischer Sklavenhändler geraten, die im Dienste des Sultanats Oman agierten. Schaefer stellte zwei Bataillone seiner sudanesisch-somalischen Polizeitruppen dem deutschen „Reichskommissar“ von Ostafrika, General Hermann von Wissmann, zur Verfügung, der sie für die Niederschlagung des Aufstandes des Sklavenhändlers Buschiri bin Salim al Harith einsetzte7. Dies war der Anfang der später legendären deutschen Askari-Armee in Ostafrika8. 1890 erhielt Schaefer den türkischen Ehrentitel Bey. 1894 scheute sich der Luxemburger nicht, drei Paschas und einen Bey aus der höheren ägyptischen Gesellschaft wegen Sklavenhandels zu verhaften und vor Gericht zu stellen. Das ägyptische Bürgertum revoltierte, selbst der Vater seines Schwager Boghos Nubar Pascha hatte nicht genug Einfluss, um die Gemüter zu beruhigen. 1895 musste Schaefer Ägypten verlassen. Erst danach beruhigten sich jene, die immer noch vom Sklavenhandel profitierten. Insgeheim profitierte auch Großbritannien weiter davon, denn 1892 übernahmen die Briten das Protektorat über das Sultanat Oman, den Staat, der wie kein anderer vom Sklavenhandel reich geworden war.

Niederlagen als Diplomat

1895 ging Charles Schaefer nach Europa zurück und zog mit seiner Frau und den beiden Kindern nach Wiltingen an der Saar, wo seine Mutter und sein Bruder ein Weingut erworben hatten. Als Diplomat und Militär blieb er auch in Wiltingen der großen Politik verbunden. 1895/96 kam es zu schweren Pogromen an Armeniern im Osmanischen Reich mit einem Zentrum in der Stadt Adana in Kleinarmenien. Sie forderten 100 000 Menschenleben und waren eine Art Vorläufer des Genozids von 1915-1923. Schaefer, der eine schlechte Meinung von der osmanischen Regierung hatte, aber eine gute vom türkischen Volk, warnte in Luxemburg davor, die dekadente Sultan-Regierung, die für die Massaker verantwortlich war, mit dem türkischen Volk, das nicht fanatisch sei, gleichzusetzen9.

1897 war Charles Schaefer im Gespräch, Gouverneur von Kreta zu werden: Nominell stand die Insel noch unter osmanischer Oberhoheit, doch die mehrheitlich griechische Bevölkerung revoltierte immer mehr dagegen. Nachdem die europäischen Mächte der Nominierung bereits zugestimmt hatten, verweigerten die osmanischen Behörden wegen Schaefers sehr armenierfreundlichen Haltung10 ihre Zustimmung. Jetzt wusste auch Schaefer, dass die Armenier auf der Abschussliste des Osmanischen Reiches standen.

1908 war ein Jahr der Hoffnung für Schaefer. In Konstantinopel hatten die Jungtürken die Macht übernommen, den alten Sultan Abdul Hamid gestürzt und ihn durch seinen Halbbruder Mehmed ersetzt. Erneut wurden scharenweise europäische Berater ins Land gerufen; darunter auch Weggefährten Schaefers aus früheren Tagen. Er selbst begann zu schreiben, in einem Artikel für die Zeitschrift La Revue beschrieb er als „Colonel Schaeffer“ am 1. März 1909 unter dem Titel „La Turquie parlementaire“ die Zustände in der Türkei aus seiner Sicht. Euphorisch setzte er seine ganze Hoffnung in den Reformwillen der Jungtürken und warf dem Westen eine verzerrte Sichtweise der türkischen Verhältnisse vor11.

1912/1913 ging Schaefer selbst als Berater nach Konstantinopel. Er übernahm verschiedene Funktionen im Militär des Osmanischen Reiches, das in diesen Jahren fast alle seine europäischen und afrikanischen Territorien verlor. Dies nutzten die Preußen aus, um ihren Einfluss am Bosporus zu vergrößern. Jetzt wuchs auch in Schaefer die Enttäuschung über die Jungtürken, die 1913 schließlich mit dem Triumvirat Enver, Talaat und Djemal putschten und das Land an der Seite Deutschlands in den Krieg führten. Major Schaefer war 1913 an die Saar zurückgekehrt. Im Juli 1914 wollte er im Auftrag seines Freundes Lord Kitchener für Albanien eine einheimische Militärtruppe aufstellen, die dem dort seit März amtierenden deutschen Prinzen Wilhelm zu Wied (1876-1945)12 helfen sollte, sich als Landesvater zu etablieren. Die Vorbereitungen der Expedition wurden vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs überrascht, Schaefer an der Luxemburger Grenze von der preußischen Feldpolizei als Spion verhaftet und gefangen genommen13. Erst nach sechs Wochen Gefängnis in Trier wurde er freigelassen. Noch während Schaefers Haft verlor Prinz Wilhelm zu Wied seine Krone in Albanien. Die Familie Schaefer wechselte nach der Haftentlassung ihren Wohnsitz von Wiltingen ins besetzte Luxemburg.

Während des Ersten Weltkrieges kam es im Osmanischen Reich zum Völkermord an den Armeniern, dem etwa zwei Drittel dieses christlichen Volkes zum Opfer fielen. Die Jungtürken, in die Schaefer und auch viele gebildete Armenier selbst so viel Hoffnung gesetzt hatten, waren für den Völkermord an den Armeniern verantwortlich. Die im Krieg siegreichen Alliierten setzten den alten Sultan wieder ein und wollten mit seiner Hilfe die für den Völkermord Verantwortlichen bestrafen. Das aber misslang auch, weil der Sultan zu schwach war und der Jungtürke Kemal Atatürk bereits eine Gegenregierung in Anatolien, in ehemals armenischen Gebieten, gebildet hatte, die sich durchsetzen konnte.

Boghos Pasha Nubar (1851-1930), der Schwager von Duruhitza Schaefer, der seit 1908 Vorsitzender der armenischen Nationalversammlung (Millet) im Osmanischen Reich sowie Gründer der Armenischen Allgemeinen Wohltätigkeitsunion war, wurde 1914 bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges der Spionage für Russland angeklagt. Damit sollte er als oberster weltlicher Repräsentant der osmanischen Armenier wohl noch vor allen anderen Armeniern ausgeschaltet werden. Allein die Tatsache, dass er sich in Ägypten aufhielt, rettete ihn vor dem Zugriff, denn die Briten änderten den Status Ägyptens mit Beginn des Weltkrieges in ein Protektorat und wiesen die Osmanen aus. Als ein Jahr später der Völkermord an den Armeniern begann, war Boghos Nubar bereits in Paris. Dorthin rettete er auch die Armenische Allgemeine Wohltätigkeitsunion, die unter seinem Nachfolger Calouste Gulbenkian zu einer der größten Wohltätigkeitseinrichtungen weltweit wurde14. Nach Paris retteten sich auch die Dadians. Wie viele Familien des armenischen Bürgertums waren sie schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts nach Frankreich orientiert und hatten damit eine alte französisch-armenische Freundschaft wiederbelebt, die es seit der Kreuzfahrerzeit gab.

Da sich Charles Schaefer bei Kriegsende mit 64 Jahren noch nicht zu alt fühlte, bewarb er sich sofort wieder um eine diplomatische Mission. Als neue Weltorganisation war 1920 der Völkerbund – Vorläufer der Vereinten Nationen – gegründet worden. 1921 stellte der Völkerbund eine Mission nach Albanien auf, deren Leiter Schaefer wurde. Da seine Gesundheit sich während des Einsatzes verschlechterte, musste er am Neujahrstag 1922 Albanien verlassen und kehrte nach Genf, den Sitz des Völkerbundes, zurück. Dort verstarb er am 16. Januar 1922 in einem Hotel. Charles Schaefer war der erste Völkerbundexperte, der während einer Mission verstarb. Der Völkerbund erwies ihm in einer Sitzung am 13. Mai 1922 unter Vorsitz von Lord Balfour die letzte Ehrung.

1 J.M., „Oberstleutnant Karl Schaefer (1856-1922)“, Obermosel Zeitung, 31.10.1935

2 Es gibt nur einen wenig dienlichen Hinweis auf den Vater von Duruhitza Dadian in einem Artikel im Luxemburger Wort vom 31.8.1914. Damals hieß es, dass ihr Vater türkischer Finanzminister gewesen sei. Die Dadians hatten viele Funktionen am Sultanshof, aber nie war jemand von ihnen Finanzminister des Osmanischen Reiches.

3 Pars Tuğlacı, The Role of the Dadian Family in Ottoman Social, Economic and Political Life. Istanbul, Pars Yayın ve Tic. Ltd.Şti., 1993; Anahïde Ter Minassian, „Une famille d’amiras arméniens: les Dadian”, in: Daniel Panzac ed., Histoire économique et sociale de l’Empire ottoman et de la Turquie (1326-1960). Leuven: Peeters, 1995, S. 505-519

4 Pascal Carmont, Les Amiras: Seigneurs de l’Arménie ottomane. Éditions Salvator, 2000

5 Jules Mersch, „Charles Schaefer“, in: Biographie nationale, vol. 1, 1946, S. 268

6 Jules Mersch (1946), op. cit, S. 271

7 Thomas Morlang, „Finde ich keinen Weg, so bahne ich mir einen. Der umstrittene ,Kolonialheld‘ Hermann von Wissmann“. In: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hrsg.): Macht und Anteil an der Weltherrschaft. Berlin und der deutsche Kolonialismus. Münster 2005, S. 37-43

8 Jules Mersch (1946), op.cit., S. 274

9 Jules Mersch (1946), op. cit., S. 284

10 Jules Mersch (1946), op. cit, S. 280

11 Pierre Marson (Hrsg.), Von der Sauer bis zum Nil, Luxemburger Autoren und die islamische Welt, eine Anthologie. Luxemburg, 2011, S. 199 ff.

12 Sein Vater Wilhelm zu Wied war 1891/92 Vorsitzender des Deutschen Antisklaverei-
Komitees, deshalb kannten sich beide Familien.

13 Luxemburger Wort, 31.8.1914

14 https://de.wikipedia.org/wiki/Boghos_Nubar_Pascha, abgerufen am 7.5.2020

Bodo Bost
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