Béierdeckelgespréicher

Die Sorgen der Luxemburger

d'Lëtzebuerger Land vom 16.11.2006

Unsere Sorgen möchte man haben. Geht man davon aus, dass politisches Kabarett auch immer ein Stimmungsbarometer für die Befindlichkeiten der Regierten ist, dann erregen die Luxemburger Gemüter derzeit nur zwei Phänomene wirklich: Gott Juncker und der großherzogliche Hof. Na, wenn's weiter nichts ist. Wenn sich in der jüngsten Produk-tion der Kabaretttruppe Roude Léiw – Jay Schiltz, Monique Melsen und Rol Steichen – denn ein Wermutstropfen finden lässt, so ist es wohl dieser. Zu achtzig Prozent bieten der Premier als Naturereignis an sich und die Herrscherfamilie mit den jüngsten Skandälchen den Stoff, der uns zum Lachen bringt. Das restliche politische Personal dieses unseren Landes wird im Grunde ausgespart. Auch wenn man sich ein wenig über die Herren Frieden, Asselborn und Armani-Bausch auslässt und ein paar Problemchen im Schnelldurchlauf anschneidet – Stichwort Unterrichtsreformen – sowie eine herrliche Realsatire (Monique Melsen at her best) von Frau Moderts Literaturrede liefert. Im Rückblick bleibt's jedoch bei Jean-Claude, Henri und Konsorten. Sie haben wohl offensichtlich die Lufthoheit über die Stammtische. Genau da befinden wir uns auch in der unaufdringlichen, jedoch punktgenauen Inszenierung von Valérie Bodson. Am Stammtisch. Im wahrsten Sinne des Wortes. Der Aufführungsort selbst verfügt vermutlich über mehr als nur einen solchen Tisch, an dem man seinem gerechten Zorn ob der Obrigkeit bei einem Bierchen oder Glas Wein freien Lauf lässt. So gesehen, bietet die Brasserie Kirchberg als Austragungsort der sarkastischen Reflexionen der drei Vertreter des real existierenden Volkes – das die Politiker so oft zu vergessen scheinen – den idealen Rahmen. Schiltz, Melsen und Steichen lassen ihren Ärger raus. Das eine oder andere Glas Wein hilft dabei. Denn: In vino veritas und nicht im Fernet Branca, dem braunen Lieblingsgesöff des Regierungschefs. Die drei Akteure spielen sich selbst. Sie sitzen ganz entspannt da, und vieles wirkt, als wäre es ihnen tatsächlich erst in dieser Sekunde eingefallen. Was natürlich nicht stimmt – dazu ist der Text viel zu ausgeklügelt, bis in die genau einstudierte Spontaneität eben. Man genießt es, ihnen dabei zuzusehen, vor allem aber ihnen zuzuhören. Da jagt vom ersten Satz an eine Pointe die andere, Lachen ist also garantiert. Jay Schiltz – sonst nicht so unbedingt glücklich mit Herrn Juncker – teilt mit ihm eine heimlich Leidenschaft. Die Lürik. Er "rilkelt" halt gern. Wenn er es auch nicht zur Meisterschaft von Jean-Claudes Lieblingsgedicht Der Tüger bringt, so deklamiert er doch ganz nett, wie ein Schulbub vor dem Nikolaus. Ein erster Hinweis auf die Literatur, die uns schon im Eingangsstatement versprochen wurde. Schiltz kann mehr als nur Gedichtchen reimen. In den besinnlicheren Momenten – man soll sich, so Schiltz, im Kabarett ja nicht nur auf die Schenkel klopfen vor lauter Lachen, sondern auch mal innehalten und nachdenken – verwöhnt er sein Publikum mit drei Prosatexten, die jeder für sich klug komponiert und äußerst stimmungsvoll sind. Dass diese Qualität beim bloßen Zuhören vermittelt werden kann, spricht zusätzlich für die Geschichten und die Präsentation durch die drei Erzähler. Als Beispiel sei nur eine herausgegriffen, es sei hier nicht zuviel verraten. In dieser Geschichte erinnert sich ein erwachsener Mann, den es ärgert, dass der Herr Juncker sich immer als Arbeiterkind und Minettsdapp verkauft, obwohl in Beles nie eine Schmelz gestanden hat, an das Begräbnis seines Großvaters. Eines Mannes, der tatsächlich harte Arbeit an den Hochöfen verrichtet hat, was nicht unbeträchtlich zu seinem Ableben beigetrug. Berührend, wie der Text Bilder vorm geistigen Auge entstehen lässt, Freiraum für eigene Assoziationen lässt. Trotzdem vermittelt er, dass Sozialromantik keine reelle Basis hat und man sie nicht für politische Zwecke missbrauchen sollte. Denn wenn die rote Erde im Regen zu einem roten Bach verläuft, dann wird klar, wofür sie steht. So mischt sich ins oft befreite Lachen denn doch Bestürzung. Doch keine Angst, man geht leichteren Herzens nach Hause, als man gekommen ist. Man hat mit den Béierdeckelwourechten mitresigniert, sich mitempört, und vor allem mitgelacht. So als hätte man mit am Stammtisch gesessen. In der letzten Zeit nicht genug Spaß gehabt? – Gehen Sie ins Kabarett!

 

Jutta Hopfgartner
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