Wenn alles auf den Tisch gehört, dann auch die „Goldene Formel”

Who’s afraid of Wiseler Claude?

d'Lëtzebuerger Land du 23.02.2018

In diesen Wochen scheint die Wahlkampagne für die nächste Luxemburger Abgeordnetenkammer gut an Fahrt zu gewinnen. Es begann bei Gelegenheit der vielen guten Wünsche für das neue Jahr. Gute Wünsche für das Land, für sich selbst und für alle anderen freundlich Gesinnten … oder vielleicht auch Ausdruck eines Wunschdenken-Syndroms, das sich frei von der Leber weg, von der Lunge auf die Zunge, ziemlich hemmungslos äußert?

Bei all denjenigen, die sich beteiligen an den Spekulationen über a) eine CSV mit absoluter Mehrheit, also allein; b) fast alle, aber einzeln mit der CSV; c) die CSV mit einem oder mehr Partnern (eine CSV, die kritisiert und wenig vorschlägt, um ja keinen Wähler zu brüskieren); d) trotz CSV doch ein Kabinett „Gambia 2“, oder sogar „Gambia + 1“, oder auch bei denjenigen, die schlussendlich an eine Marschbewegung auch hierzulande denken?

Diese unsere Vertreter und Freunde in der begrenzten Welt der Luxemburger Politik und auch der lokalen Medien scheinen zu denken, dass in einer Vorwahlzeit nichts unbesprochen bleiben sollte und alles auf den Tisch gehört. Gut so. Alles ist sicher nicht umsetzbar oder greifbar, aber warum sich nicht ein bisschen Freude machen, sich ereifern, ein bisschen geifern, munter losdiskutieren und rundtafeln? Nicht alle, aber viele beteiligen sich daran.

Das Ausland wirkt sicher inspirierend, Jamaika und Groko lassen grüßen, En-marche-Anwandlungen locken. Warum auch nicht ablenken von eigenen politischen, vielleicht sogar persönlichen Schwächen, indem man einen stets griffbereiten und noch immer nützlichen kleinen Teufel an die Wand malt? 

Irgendwie wirkt diese plötzliche Frenetik jedoch überschwappend oder sogar ein bisschen symptomatisch für eine ziemlich orientierungsbedürftige oder ruderlose Welt der Politik, in Luxemburg, aber auch über Luxemburg hinaus. Vater- oder Mutterfiguren sind im Moment ziemlich out, und die Neulinge haben viel weniger Komplexe. Sie formulieren kürzer, schneller, und dann auch noch weniger präzis. Oft und leider immer öfter. Man muss dieses Milieu eben nehmen, wie dieses Milieu eben ist.

Aber wenn alles auf den Tisch gehört, wieso vergessen die agilen Leute von heute dann eine Koalitionshypothese? Die jetzige Debatte hat ihr Gutes, aber sollte sie dann nicht tatsächlich komplett, alles einschließend sein? Wieso wird eine Hypothese totgeschwiegen, und ist diese Laküne nicht erstaunlich?

Wenn schon alle Möglichkeiten auf den Tisch gehören, wäre es ratsam, sich noch über eine weitere Hypothese zu beugen, wenngleich die sicher etwas entfernt und fremdartig scheint. Nämlich die „Goldene Koalition“ oder so etwas wie die „Goldene Formel“, welche die Schweiz schon jahrzehntelang mit Erfolg praktiziert: Alle größeren verantwortungsbereiten und verantwortungsfähigen Parteien in einer Regierung, wohl verstanden nach den Wahlen im Herbst. Man kann in der Politik auseinandertreiben, sich bekämpfen, man kann sich aber auch auf der Tanzpiste treffen, sich vereinen und dann gemeinsam weiterschweifen.

Gemeinsam weiterschweifen: Gambia plus CSV

Also konkret gesprochen: Eine Viererkoalition mit Teilnahme der vier größeren Parteien Luxemburgs, als da sind in diesem Augenblick – die drei Gambia-Parteien und die CSV. Dieser kleine Beitrag will dazu dienen, ohne alle Ironie auch diese Möglichkeit ein wenig auszuloten. Klar scheint: Wenn fast niemand an etwas Bestimmtes denkt, dann ist dieses Bestimmte ganz bestimmt nicht populär. So auch hier und jetzt.

Eine Viererkoalition ist bei vielen Politikern möglicherweise nicht beliebt, weil dann für jede teilnehmende Partei deutlich weniger Posten zu verteilen wären. Würde die Gewinnerpartei diese Aussicht attraktiv finden? Ist für viele Menschen in der Politik der persönliche Karrierepfad nicht doch das Hauptmotiv, Politik zu machen, und wichtiger noch als die Sache an sich? Die Haut ist halt näher als das Hemd. Mehr Posten also, für die CSV, oder in einer Koalition mit der CSV, obwohl dann der Juniorpartner einmal mehr riskieren würde, zermahlen zu werden? Einer von ihnen sagte allerdings kürzlich, man solle das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist. Noch ein Gedanke: Liegt nicht auch ein Hauch von Revanche in der Luft?

Wie ist es mit den Bürgern? Wenn Politiker und Medien nicht über etwas reden, dann reden wahrscheinlich auch die Bürger nicht wirklich viel darüber. Eine „Goldene Formel“ mag dann eventuell sowohl sinnvoll und praktisch als auch sogar ästhetisch sein: Wenn man etwas nicht vor Augen hat, denkt man bestimmt viel weniger daran. Tatsache ist: Die „Goldene Formel“ glänzt heute nicht am Luxemburger Horizont.

Aber „Zusammen“ ist durchaus denkbar, und der Beweis liegt vor, in der Schweiz! Warum nicht auch in Luxemburg über dieses Thema nachdenken?

Jede öffentliche Debatte gehört angestoßen, und die Debatte über einen derartigen echten Neuanfang in der hiesigen Politik ebenfalls. Angesichts der offensichtlichen Frühlingsstimmung mitten im Winter scheint es keine Sekunde zu früh, um mit diesem Thema eines Klimawechsels in unserer Demokratie hausieren zu gehen.

Der Frühling in der Natur ist nicht immer ganz ungefährlich: Das Gras stößt, die Hecken schießen und die Bäume schlagen aus. Frühling in der Politik ist ebenfalls nicht ohne Risiken, und so manche gewagte Initiative wurde schon zerissen oder landete im Wasser. Oder in der sprichwörtlichen Schublade. Zusammenarbeiten? Wird diese Hypothese vom Tisch gewischt werden, Sekunden nur, nachdem sie endlich auf den Tisch gelegt wurde? Wird sie nur Spott und Achselzucken ernten? Durchaus möglich, Vorstellungskraft ist nicht jedermanns Sache.

Allerdings: Schade wäre es schon. Mit gutgemeinten Ideen macht man keine Politik, und wer von Visionen geplagt ist, sollte zum Artz gehen. Das sind altbekannte Weisheiten. Da ist was dran, aber sei’s drum, diese Debatte braucht doch diesen Beitrag. Zusammenarbeiten! Dieses Konzept verdient, diskutiert zu werden.

Oho, der riesengroße Einwand ist jetzt schon absehbar: Jetzt ein breites Kabinett vorschlagen, würde das nicht die Wahlkampagne aushöhlen, sie zur Farce degradieren und damit sogar demokratiegefährdend sein? Im Moment des großen Auseinandersetzens schon an den glücklichen und hoffnungsvoll erwarteten Moment der Begegnung zu denken, scheint auf den ersten Blick tatsächlich etwas überzogen, und eine Begegnung von vier Parteien – scheint das nicht wirklich an den Haaren herbeigezogen? Sie streiten doch so gerne und schon seit so langem, oft wie Bürstenbinder, und dann sollten (fast) alle zusammenarbeiten? Das klingt wirklich sehr unwahrscheinlich.

Und natürlich könnte diese Möglichkeit auch so verstanden werden: Sparen wir uns die Mühe und das Gerede, klären wir die Sache unter uns und ohne den Wähler allzu ernst zu nehmen. Diese Aussicht wäre vielen Wählern zuwider, sie würde den meisten bittersauer aufstoßen und überhaupt nicht gefallen, und niemand wäre erstaunt darüber.

Wenn das Thema vor den Wahlen auch auf dem Tisch liegen sollte, dann ist trotzdem klar, dass es erst nach den Legislativwahlen im Herbst näher erörtert werden könnte.

Inzwischen sollte jeder seine Überzeugungen darlegen, seine Programmpunkte herausschälen, seine Überzeugungskraft ausschöpfen, und jeder muss seine Anhänger zählen können. Selbstverständlich muss der Wähler zuerst zum Zuge kommen, und jeder Wähler muss die Gelegenheit erhalten, seinen Willen deutlich zu machen. Kräfteverhältnisse werden sich dann abzeichnen. Und wenn eine gewaltige Neuerung, oder eine Rückkehr in die Vergangenheit, von den Wählern als schmackhaft erfahren wird, oder auch nicht, wird dies wohl auch zum Ausdruck kommen.

Aber gerade weil eine Wahlkampagne polarisiert, sollten dann nicht auch von Beginn an Maßnahmen angedacht werden dürfen, die diese Polarisierung einhegen und unter Kontrolle halten können? Auseinanderdriften ist nicht wirklich im Interesse des Landes und seiner Demokratie, und Luxemburg braucht ganz bestimmt keine Wahlkampagne, die Angst nähren oder Emotionen schmerzvoll hochpeitschen würde.

Luxemburger graben nicht so gern Gräben, sondern sind gut im Brückenbauen. Oder etwa nicht? Die schiere Möglichkeit einer „Goldenen Koalition“ in Luxemburg im politischen Hinterkopf des Landes anzudenken – könnte das nicht helfen, ein zu starkes Auseinanderdriften zu verhindern und demzufolge heilsam und demokratieerhaltend wirken?

Bei uns im Luxemburger Land, bei der heutigen Konjunktur, könnte ein inklusives Kabinett, gestützt auf eine große Mehrheit, mehrere enorme Vorteile bieten. Eine kleine Liste gefällig? Bitte sehr:

Die Bürger könnten viel unmittelbarer über die personelle Zusammensetzung der Regierung mitentscheiden. Verhandlungen zwischen Parteien und Personen wären weniger bestimmend. Damit wäre der Demokratie gedient.

Billige Oppositionspolitik oder Populismus würde mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit schwieriger werden. Die Luxemburger sind nicht doof, natürlich wissen sie, was sie wollen, und sie suchen vor allem Sicherheit. Das ist keine neue Erkenntnis und trifft ganz bestimmt noch immer zu. Zusammenarbeit wäre kein Rückfall in ausgeleierte Schemata, sondern in dieser Form tatsächlich neu! Zusammenarbeit auf höchstem Niveau würde den Bürgern höchste Sicherheit bringen. Scharlatane oder Ein-Punkt-Programmster würden nicht so leicht zum Zug kommen. Das ist wichtig, denn Politik ist kein Spiel. Aber heute muss man wohl besser sagen: Politik ist keine Show.

Sie ist es wirklich nicht. Denn sie hat das Leben der Menschen zum Thema, und leider viel zu oft auch ihren Tod. Aber auch die Natur und die Zukunft von allem, was die Erde bietet, steht auf des Messers Schneide, ohne dass sich irgendjemand die Erde untertan machen darf. Regieren ist eine durchaus ernste Sache, auch in Luxemburg. Noch einmal: Luxemburg braucht ganz bestimmt kein Angstnähren oder Hochpeitschen von Emotionen.

Neue Ideen werden meist ignoriert

Stillstand bringt keine Sicherheit. Revanche ist abwegig an sich. Doch auch Vorpreschen kann problematisch sein! Vorpreschen ist oft nicht weniger ein Problem als routinierte Leere: Ideen werden im Anfangsstadium selten gut empfangen, auch sie können polarisieren und die Versuchung hervorrufen, die Leute auseinander zu treiben. Das ist ein nicht ungefährliches Unterfangen, das Referendum von 2015 hat das gezeigt. Gute Ansätze können beschädigt und sogar ruiniert werden. Aber meistens werden Ideen, und insbesondere neue Ideen, zuerst schlichtweg ignoriert, weil zu abstrakt und noch nicht in der gelebten Wirklichkeit verwurzelt. Beide, Lethargie und Vorpreschen, sind also nicht eigentlich vom Guten. Beide werden aber wohl in der Politik wichtige Faktoren bleiben.

Aber natürlich doch auch Zusammenarbeit. Hoffentlich! Birgt Zusammenarbeit nicht die beste Erkenntnismöglichkeit dafür, was das allgemeine Interesse ist, und dass es nicht nur anerkannt, sondern auch respektiert und gewährleistet wird? Weil in einem durch Zusammenarbeit geprägtem Gremium die einzelnen Interessen weniger Zeit und Raum beanspruchen, oder je nachdem keine so prominente Rolle mehr spielen. Allerdings gibt es nirgendwo eine Garantie für eine positive Zusammenarbeit, weil ja jeder jeden blockieren wollen könnte.

Aber die Lektion von 2013 war doch wohl diese: Stillstand bringt nichts, Ausleiern bringt nichts, außer den immer stärker werdenden Wunsch beim Wähler, dass sich endlich mal wieder was bewegt. Die Lektion von 2013 war, dass die Geschichte denjenigen bestraft, der sich zu spät bewegt. Es gibt wohl kaum jemanden in der Luxemburger Politik, der diese Lektion nicht noch mit sich rumträgt.

Vor 2013 waren in wenigstens einer Partei viele einer gleichgewichtigen parteiübergreifenden Zusammenarbeit gegenüber nicht unbedingt positiv eingestellt. Gerne und lange blockten sie ab, ließen eine Partei ein bisschen zum Zuge kommen und die anderen auf Sand laufen. Das brachte Stillstand. Soll dieser Hang fröhliche Rückkehr feiern?

Die Gelegenheit von 2013

In den letzten fünf Jahren wurde vieles bewegt und allein die Tatsache, dass die Gelegenheit von 2013 nicht verpasst wurde, ist an sich wirklich sehr positiv. Das Parlament bekam eine neue Mehrheit, und das Dreierkabinett hat zum richtigen Zeitpunkt eifrige Arbeit auf mehreren wichtigen Sachgebieten geleistet. Man kann es so sehen: 2013 war diese Ini-
tiative gerechtfertigt, ja notwendig, und man kann auch sagen, dass diese neue Mehrheit voll und ganz dem Gebot der Stunde entsprach und dem, was man unter allgemeines Interesse rangieren darf.

Im Jahre 2018 wissen wir all dies noch sehr gut. Könnte dieses Wissen ein Fundament sein? Klare Sicht, Ahoi!? Sind die Beweggründe für eine neue und positive Zusammenarbeit heute deshalb eigentlich nicht besser gegeben? Könnte in den nächsten fünf Jahren ein ähnlich ehrgeiziges Programm bewältigt werden, und diesmal ohne unnötiges Gehader? In der Vergangenheit haben immer schon zwei Parteien zusammengearbeitet. Wir wissen jetzt, dass auch drei Parteien zueinander finden können. Warum dann nicht auch ein Team aus vier Partnern? Oder kommt doch nur ein Remake des urklassischen und wenig erfolgversprechenden Schemas von vorgestern in Frage?

Während der Wahlkampagne werden die Parteien versuchen, Unterschiede hervorzuheben und mitunter munter vorzupreschen. Gräben werden vertieft und das Gegenteil von Komplimenten ausgetauscht werden. Viele mögen auch vage bleiben wollen, um weniger abzuschrecken. Und genau dieses Schwammige wird andere stören. Leider sind dies systemimmanente Risiken, die die demokratische Debatte nun mal mit sich bringt.

Tatsächlich haben Wahlkampagnen und längere Debatten aber auch ihr Gutes: Alles wird besser ausgeleuchtet, es ist schwer sich zu verstecken. Die Wahlkampagne hat nämlich genau das zum Zweck – den Bürgern mitzuteilen, welches Programm von welcher Partei kommt und wie es ausgeführt werden soll.

Diese Notwendigkeit eines ausführbaren Programms sollte die Meute wieder zusammentreiben. Eine Viererkoalition in den Jahren 2018 bis 2023 könnte den Stillstand vermeiden wollen, aber dennoch, wenn auch mit weniger Leidenschaft, die einzelnen Dossiers durchdiskutieren und zu ausführbaren Beschlüssen heranreifen lassen. Ohne Vorpreschen, aber nichtsdestoweniger: mit Elan und Selbstvertrauen. Oder etwa nicht?

Diese Beschlussfassung in punkto Programm und dessen Ausführung ist auch abhängig von den technischen Mechanismen der Demokratie. Koalitionen sind ein solcher Mechanismus. Hier könnte ein Wechsel in der Methodik nützlich sein.

Der größte Vorteil eines „Goldenen Kabinetts“ wäre wohl ein gemeinsam definiertes Kernprogramm, ausgeführt durch die Allerbesten. Denn nur sie würden um den Tisch sitzen, die Allerbesten von jeder Partei, jene zwei oder drei herausragenden Persönlichkeiten, die es in jeder echten Partei geben mag und die in ihrem Leben ihre Wahrhaftigkeit und die Festigkeit ihres Charakters schon unter Beweis stellen konnten und mit ihrer Tatkraft auch die Wähler überzeugen konnten. Diese Persönlichkeiten könnten Platz finden an einem Tisch und, in Ruhe und mit weniger Selbstdarstellung, eine kollektive und produktive Arbeitsweise entwickeln, die diese Bezeichnung mit Recht tragen könnte. Jedes Mitglied im Kabinett hätte eine relativ stärkere Position den anderen Mitgliedern gegenüber. Kein Koalitionszwang würde die kabinettsinterne Diskussion verhindern können, jedes Mitglied wäre aber auch den andern unmittelbar Rechenschaft schuldig, und der Wille erfolgreich zu sein und dem Land dauerhafte und gutdurchdachte Vorschläge zu machen, würde vielleicht schlussendlich alle gemeinsam handeln lassen. Keine einzelnen, nach billiger Zustimmung heischenden Parteivorschläge, sondern Regierungsvorschläge, gemeinsame getragene Lösungen: Muss dies ein abstraktes Konzept bleiben? Kann es auch in Luxemburg machbar oder „drin“ sein?

Diese Konstellation würde sich vergleichen lassen mit der Lage in der EU vor den größeren Erweiterungen, in der EU der Zwölf zum Beispiel, als die europäische Marschrichtung sich noch kohärent darstellte und zu überzeugen vermochte. Sie würde sich natürlich auch vergleichen lassen mit den Leistungen der Schweizer Regierung, obwohl absolut deutlich sein sollte, dass eine „Goldene Formel“ in Luxemburg sich ganz sicher nicht unbedingt einen Wahlgang später wiederholen sollte.

Immanuel Kant hat es so gesagt: Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Vorpreschen und Vordenken sind nicht das Gleiche. Luxemburg wusste spätestens seit 1867, dass es sein Schicksal nicht anderen in die Hand geben wollte und sollte, und dass seine eigenen Ideen sehr wohl zum Erfolg führen können. Denken wir an das Erreichte, den Aufbau eines Landes, an Erreichtes in der Arbeitswelt und in der Gesundheitsfürsoge, im Verteilungskampf, an die Rolle unseres Landes für Europa, in den Vereinten Nationen und in der Entwicklungshilfe, in der Finanzwelt und sowie im Weltall, bis jetzt und auch für die Zukunft.

Alte Gewohnheiten, wie das konstante Brandmarken des politischen Gegners, sind sie nicht irgendwann obsolet und fürchterlich ermüdend? Ist Zusammenführen nicht eine ethische Vorgabe, Auseinanderdrängen ein schädlicher Vorgang? Ist das nicht auch die Lektion der Wahl von Emmanuel Macron? Und würden die obenstehenden Gedanken nicht auch unseren deutschen Nachbarn gefallen können in einem Moment, da sich dort noch nicht unbedingt eine tatkrätige Regierung abzeichnet? Liegt dieses Konzept vielleicht mehr in der Luft als die meisten denken, und mehr als vage oder weniger vage Revanchegedanken?

Kant war ein großer Denker, ein Europäer, der Zeit seines Lebens in Königsberg lebte, heute Kaliningrad, und bei weitem nicht alles, was seit seinerzeit in seiner Stadt, Land und Welt geschehen ist, würde ihm gefallen haben. Aber ganz sicher würde er diesen Satz auch heute noch genauso niederschreiben.

Ein inklusives Kabinett

Die wichtigste Frage im Jahre 2018, und vielleicht auch im Jahre 2023 „and beyond“, könnte sie so lauten: Würde ein engeres und inklusives Kabinett das beste Programm für das Land leichter definieren und dann auch ausführen können? Wäre darüber nachzudenken nicht ein sehr hoffnungsvoller Ansatz?

Neben einem engeren Kabinett hätte auch das Parlament eine reichere Personaldecke zu seiner Verfügung und diese qualitativ hohe Vertretung am Krautmarkt, die zu erwartenden kritischen Debatten in jeder mittragenden Partei und die individuellen öffentlichen Auftritte am Rednerpult, die dann vielleicht dem Ehrgeiz jedes einzelnen Abgeordneten entsprechend von größerem Interesse wären als reine koalitionsdisziplinkonforme Pflichtübungen, würden dem Parlament Aufwind geben und helfen, die effektive Kontrolle über die Regierungsarbeit zu sichern. Käme dann eine Politik zustande, die mehr auf die Sache selbst und auf Kompetenz gerichtet wäre? Ergäben sich dann eine neue Energie und weniger Jagd nach neuen Posten?

Es gibt in Luxemburg kein Doppelkammersystem, weil die Mitglieder des Staatsrats sich keiner demokratischen Wahl stellen müssen. Viele haben das schon bedauert und diese Laküne muss nicht als eine Fatalität gesehen werden. Hier geht es aber nicht darum, dem Staatsrat „an de Frack ze trieden“; er hat viele gute Dienste geleistet und sollte das auch weiterhin tun. Denn der Staatsrat könnte seinerseits weitermachen, mit Selbstbewusstsein und in der Gewissheit, dass objektive Argumente und Stellungnahmen, also natürlich „so objektiv wie irgend möglich“, dann verstärkt in Reichweite kommen könnten.

Mit einer Regierung der „Goldenen Formel“ könnte Luxemburg sich sozusagen ein neues, kollektives, sehr demokratisch zusammengestelltes und tatsächlich zusammenarbeitendes Gremium schenken. Sicher ist es nicht, aber möglich wäre es schon.

Es ist sicher nicht so einfach, sich vorzustellen, welche ungeheure, ja schier unglaubliche Bereicherung das für unsere Demokratie sein könnte, und das ohne irgendeine Veränderung von Verfassung oder Gesetzen. Und falls es nicht klappen sollte: Raus gehen kann aus einer solchen Koali-
tion wer will wann er will.

Ein neues Instrument, eine neue Methodik dürfen allerdings nicht zum Selbstzweck werden. Es steht zu viel auf dem Spiel, weil wir nicht aus den Augen verlieren dürfen, dass die Politik nun einmal kein Spiel ist. Die Kernfrage ist denn auch, und noch einmal: Braucht das bestmögliche Programm diesen neuen Ansatz? Während 2013 ein gänzlich anderer Ansatz dem Gebot der Stunde entsprach, könnte diesmal, nachdem die 2013 als notwendig erkannte Arbeit vielleicht größtenteils erledigt ist, ein erneuter Paradigmenwechsel dem bestem Interesse des Landes entsprechen?

Eine Agenda ohne Wenn und Aber

Ist etwa ein neues Programm die Notwendigkeit der Stunde, und um diesem Programm auf die Sprünge zu helfen, ist eine neue Methodik gar nicht vom Bösem, sondern echt vom Guten? Ist sie vielleicht sogar Vorbedingung, um den Erfolg des Landes zu sichern? Gilt es diesen Rubikon zu überqueren, jetzt, im Sommer und Herbst 2018?

Die großen Themen für die Zukunft der Leute in diesem Land könnten so vielleicht ohne Wenn und Aber auf die Tagesordnung kommen und viel konstruktiver in sichere Bahnen gelenkt werden. Denken wir nur an ein neues und nachhaltiges Wachstumsmodell, an Einkommen und Pensionsrechte, eine stets mehr sich öffnende Einkommensschere, an den Sinn unserer Außenpolitik über Geldfragen hinaus, an Europapolitik, besonders auch im Umgang mit den etwas östlicheren Mitgliedsländern, an Verkehrs-, Wohnungsbau- und Landbaupolitik im Einklang mit Natur und Umweltschutz oder an das künftige Geschäftsmodell im Finanzsektor. Digitale Herausforderungen warten auf uns. Auch Kultur könnte eventuell stärker in den Vordergrund rücken. Denken wir auch an die Verfassungsreform, an eine Reform des Wahlsystems, welche die Gleichberechtigung und Interessen der Bürger, wo auch immer im Lande sie wohnen, gewährleisten würde. Der Themen, zu denen Zusammenarbeit gut täte, gibt es viele. Debatten sind wertvoll. Zu schlussfolgern und zu handeln, ist in den meisten Fällen aber irgendwann doch besser. Die Lateiner sagten es so: Suaviter in modo, fortiter in re …

Denken wir an die Worte Albert Einsteins: Wenn eine Idee nicht zuerst absurd erscheint, taugt sie nichts. Ein anderes Zitat passt auch hier wieder ausgezeichnet: der berühmte, beißend ironische, aber auch moralistische Satz von Erich Kästner: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“ 2013 wurde er irgendwie beherzigt. Wird das auch 2018 der Fall sein können? Werden die Luxemburger den Mut finden, das eigene Leben auch weiterhin in die Hand zu nehmen, jeder von uns in seinem eigenen privaten und beruflichen Leben, und eben auch in seinem politischen Bewusstsein? Jeder von uns für sich und seine Familie, und dann auch zusammen?

Die „Goldene Koalition“, eine notwendige Debatte? Dieser Beitrag zur Koalitionslotterie ist somit eigentlich noch zu leisten. Zumindest liegt diese Hypothese jetzt auch auf dem Tisch.

Wird es, vor oder nach der Oktoberschlacht, in der luxemburgischen Parteienlandschaft den Mut und die Kraft geben, Claude Wiseler und seiner Partei gegenüber zu treten und vorzuschlagen, gemeinsam rund um einen Tisch Platz zu nehmen? Auch er und seine Partei würden ohne Zweifel viel Mut brauchen, um genau das vorzuschlagen und zu tun: an diesen Tisch einladen und an diesem Platz zu nehmen. Würde es Sinn machen? Wäre es eine „Investition“ in das Land und seine Zukunft?

Aber warum denn eigentlich nicht einen neuen Mut haben? Ein so böser Wolf scheint Claude Wiseler sowieso nicht unbedingt zu sein. Sind etwa anderswo andere in Sicht? Mich dünkt, zusammenarbeiten ist nicht nur denkbar, sondern in Luxemburg auch tatsächlich möglich.

Hubert Wurth
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