Der öffentlich ausgetragene Machtkampf zwischen Präsident und Fraktion hat bei der CSV-Basis einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Noch ist unklar, wer den geschassten Frank Engel an der Spitze der Partei ersetzen wird

Freundeskreis

d'Lëtzebuerger Land du 26.03.2021

Franziskanerinnen Wenn führende CSV-Politiker zu den Franziskaner-Schwestern nach Belair einladen, verheißt das meist nichts Gutes. Am 16. Oktober 2018 gestand der erfolglose Spitzenkandidat Claude Wiseler dort seine Wahlniederlage gegenüber dem erweiterten Nationalrat ein. Am 19. März 2021 deutete CSV-Parteipräsident Frank Engel an gleicher Stelle seinen möglichen Rücktritt an, den die Partei nur wenige Stunden später offiziell bestätigte. Engel hatte den internen Machtkampf gegen die Fraktionsvorsitzende Martine Hansen verloren. Es war der vorläufige Höhepunkt einer Auseinandersetzung zwischen Parteileitung und Fraktion, die schon kurz nach dem Nationalkongress Ende Januar 2019 begonnen hatte. Der Kandidat der Fraktion, Serge Wilmes, der sich Engel in einer Kampfabstimmung knapp geschlagen geben musste, erwies sich als schlechter Verlierer und warf Engel vor, keinen Plan zu haben und sich schon als Spitzenkandidat für 2023 positionieren zu wollen. Ein weiterer Disput drehte sich um die Professionalisierung des Präsidentenamts. Engel ist Berufspolitiker, etwas anderes hat er nicht gelernt. Da er nach den Europawahlen von 2019 auf sein Gehalt als EU-Abgeordneter verzichten und sich auf öffentlichen Druck aus dem Verwaltungsrat des Militärunternehmens Global Strategies Group zurückziehen musste, brauchte er eine neue Einnahmequelle. Trotz der Mehreinnahmen, die die politischen Parteien sich im Zuge der Reform des Gesetzes zur Parteienfinanzierung gesichert haben, verwehrte die CSV ihrem Präsidenten ein Gehalt. Dass das Präsidentenamt ein Ehrenamt sein soll, ist indes nicht statutarisch geregelt. Es wurde eben „schon immer so gemacht“. In anderen Parteien wird das ähnlich gehandhabt, doch déi Gréng haben ihrem Ko-Präsidenten Meris Sehovic beispielsweise eine Halbtagsstelle in der Fraktion besorgt, damit er nicht nur ein Gehalt hat, sondern auch den Draht zur politischen Aktualität nicht verliert. Für die CSV kam so eine Lösung offenbar nicht in Frage. Um ein geregeltes Einkommen zu haben, schloss Frank Engel im Dezember 2020 einen befristeten Arbeitsvertrag mit der CSV-Frëndeskrees asbl. ab. Der Interessenverein kauft oder mietet für die CSV die Immobilien, was die Partei selbst nicht kann, weil sie keine Rechtsperson ist. Eigentlich sollte im neuen Parteienfinanzierungsgesetz die Grundlage für eine Rechtsform geschaffen werden, doch das Vorhaben scheiterte am Widerstand des Staatsrats.

In den vergangenen Wochen war ein juristisches Gutachten aufgetaucht, in dem Engel Unterschlagung von Gesellschaftsvermögen und Scheinbeschäftigung vorgeworfen wird, weil er seinen Arbeitsvertrag nicht erfüllt habe. In der Generalversammlung des CSV-Frëndeskrees am 8. März habe dieses Gutachten für einen Eklat gesorgt, berichtete Reporter am 16. März. Es wurde in der Folge von mehreren Abgeordneten an die Staatsanwaltschaft weitergereicht, die eine Voruntersuchung einleitete und eine Hausdurchsuchung in der Parteizentrale veranlasste. Engel selbst mutmaßt, dass die Fraktion ihn wegen seiner politischen Alleingänge loswerden wollte. Bei den Abgeordneten, die Mitglieder im Freundeskreis sind, handelt es sich um Diane Adehm, Paul Galles, Léon Gloden, Martine Hansen, Octavie Modert, Gilles Roth und Marc Spautz. Den Arbeitsvertrag hatte der Parteipräsident aber offenbar nur mit dem geschäftsführenden Vorstand des CSV-Frëndeskrees abgeschlossen, dem neben Engel noch der frühere CSV-Generalsekretär Félix Eischen, die beiden Vize-Präsidentinnen Elisabeth Margue und Stéphanie Weydert, Schatzmeister André Martins und das ehemalige Staatsratsmitglied Georges Pierret angehören. Die anderen Mitglieder hätten davon nichts gewusst, beteuerte Martine Hansen.

Die Affäre um Frank Engel fällt demnach nicht nur auf den Präsidenten selbst, sondern auf den gesamten Exekutivvorstand zurück. Sollte die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe gegen Engel zurückbehalten, könnten Eischen, der als damaliger Generalsekretär den Arbeitsvertrag mitunterzeichnet hat, aber auch Margue, Weydert und Martins der Mitwisserschaft beschuldigt werden. Bei der Parteibasis herrscht dafür nur wenig Verständnis. Der Bürgermeister einer mittelgroßen Südgemeinde versteht im Gespräch mit dem Land nicht, weshalb die Abgeordneten gleich großes Geschütz aufgefahren haben, anstatt die Angelegenheit intern zu regeln. Die gute Arbeit, die die CSV in den Gemeinden leiste, sei durch diesen „nationale Cortège“ zerstört worden. Ein Schöffe einer anderen großen Südgemeinde befürchtet, dass die Affäre sich negativ auf die Kommunalwahlen auswirken könne, aus denen die CSV 2017 noch als Gewinnerin hervorgegangen war.

Supporterclub Die Auseinandersetzung zwischen Partei und Fraktion wird in der CSV seit über 40 Jahren geführt. Wurde die Basis lange Zeit lediglich als Supporterclub von Kammerfraktion und Regierung betrachtet, begann in der ersten Oppositionszeit (1974-1979) unter Präsident Jacques Santer ein Emanzipationsprozess. Die Dominanz und der „oligarchische Führungsstil“ der Parlamentarier und Minister geriet zusehends in die Kritik. 1985 wurde erstmals darüber nachgedacht, wie die Zusammenarbeit zwischen Parteispitze, Unterorganisationen und Fraktion verbessert werden könnte. Um 2000 setzte ein inhaltlicher Reformprozess ein. Aus Mitgliedern der CSJ hervorgegangene Bündnisse wie der rechtsliberale Cercle Joseph Bech und später die linkskatholische Dräikinneksgrupp wollten die Partei erneuern. Doch solange die CSV an der Macht blieb, gab es dafür offenbar keine Notwendigkeit.

Erst nach dem erneuten Gang in die Opposition wurden strukturelle Veränderungen umgesetzt. Im Rahmen einer Statutenreform erhielten die Bezirke und Unterorganisationen 2015 mehr Recht auf Mitsprache und Mitbestimmung. In diese Logik passt auch, dass der Kongress 2019 mit Frank Engel (45) erstmals seit Jacques Santer (1974-1982) einen Präsidenten ohne nationalpolitisches Mandat wählte. Mit der Schöffin der Fusionsgemeinde Rosport-Mompach, Stéphanie Weydert (36), und der Gemeinderätin der Stadt Luxemburg, Elisabeth Margue (30), wurden zudem zwei junge Frauen ohne Abgeordnetenmandat Vize-Präsidentinnen. Beide sind Anwältinnen bei Arendt & Medernach und entstammen CSV-Dynastien. Nach dem Rücktritt von Frank Engel haben sie kommissarisch den Parteivorsitz übernommen. Dass sie ihre Kandidatur für das Präsidentenamt stellen, gilt aber als unwahrscheinlich. Vieles deutet darauf hin, dass auf dem digitalen Kongress am 24. April die Fraktion die Führung der CSV wieder übernehmen wird. Damit wären nicht nur die Machtverhältnisse innerhalb der Partei wiederhergestellt, auch die Frage nach der Bezahlung des/der Parteipräsidenten/in wäre geklärt.

Dinosaurier Seit Engels Rücktritt wird viel über mögliche Nachfolger spekuliert. Dabei hat offenbar jede Tageszeitung ihren eigenen Dinosaurier ausgegraben. In Le Quotidien wünschte sich Erna Hennicot-Schoepges am Montag Jean-Louis Schiltz (56) zurück, das Tageblatt brachte am Dienstag Luc Frieden (57) ins Gespräch, das Wort stellte gleich zehn potenzielle Kandidaten vor, darunter auch Jean-Claude Juncker (66). Frieden hatte erst vor zehn Tagen ein politisches Comeback gegenüber RTL ausgeschlossen, die Rückkehr des einstigen Übervaters Juncker gilt als genauso unwahrscheinlich wie die von Schiltz, der zuletzt als Impfdrängler keine sonderlich gute Figur abgegeben hatte. Realistischer ist da schon die Kandidatur von Claude Wiseler (61), der mit seiner Sanftmut einend wirken könnte. Wegen seiner gescheiterten Wahlkampagne von 2018 ist er aber alles andere als ein Repräsentant des von der Partei ersehnten Neuanfangs. Diese Sehnsucht könnte der kommissarische Generalsekretär und Abgeordnete Paul Galles (47) stillen, der einerseits nach außen den grünen Zeitgeist verkörpert, und andererseits nach innen über die erforderliche Demut verfügt, um den rechtsliberalen, den Gewerkschafts- und den Bauern-Flügel nicht vor den Kopf zu stoßen. Auf Land-Nachfrage wollte der ehemalige Priester zumindest nicht ausschließen, dass er für ein Amt zur Verfügung stehen werde. Wegen seiner Unerfahrenheit käme er aber wohl eher als Generalsekretär in Frage. Ein/e andere/r Anwärter/in hat sich bislang noch nicht aus der Deckung gewagt. Sicher scheint nur, dass die Fraktion eine/n Kandidaten/in präsentieren muss, der/die auf möglichst große Unterstützung zählen kann. Eine (paritätische) Doppelspitze, wie sie déi Lénk oder déi Gréng eingeführt haben, ist in den Statuten der CSV bislang nicht vorgesehen.

Teile der Basis sprechen sich dafür aus, dass, wie rezent bei der CDU in Deutschland, drei Kandidat/innen sich für den Parteivorsitz zur Wahl stellen, die sich in einer öffentlichen Debatte inhaltlich positionieren müssen. Ob nach der Klatsche von Frank Engel und wegen der fehlenden Vergütung Kandidat/innen, die nicht Teil der Fraktion sind, sich die Präsidentschaft überhaupt noch zutrauen, ist aber zu bezweifeln. Die Einladungen zum digitalen Kongress werden in den nächsten Tagen verschickt, am 9. April läuft die Frist zur Einreichung einer Kandidatur ab.

Frank Engel, der für das Land in dieser Woche nicht erreichbar war, erklärte am Mittwoch gegenüber dem Wort, er sei „mit diesem Verein fertig“. Laut Parteileitung ist er aber bislang nicht offiziell aus der CSV ausgetreten. Je nach Ausgang der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen könnte noch ein internes Disziplinarverfahren auf ihn warten. Derweil wird bereits darüber spekuliert, ob er eine neue Partei gründen wird. Zuzutrauen wäre es ihm.

Luc Laboulle
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