Naturhistorisches Museum

Mammuts müssen draußen bleiben

d'Lëtzebuerger Land vom 22.03.2001

Ein Sonntag Nachmittag im März im Stadtgrund: ziemlich kühl ist es, und es nieselt fein. Genau das richtige Wetter für einen Besuch im natur musée.

Das haben sich heute wieder viele Familien gedacht. Der Andrang an der Kasse ist beträchtlich. Während Eltern anstehen, wollen Kinder schon weiterrennen in den Saal, wo im Halbdunkel auf einer künstlichen Kieslandschaft ausgestopft die wichtigsten Vertreter der im Lande heimischen Tierarten stehen. Und weiter in den Raum mit den Mikroskopen, die man per Schwenkarm über einen Lichttisch fahren kann, auf dem Insektenpräparate aufgepinnt sind. Und weiter zu den in der Wand eingelassenen Terrarien - ewig lange können Kinder den Blick in eine Glasbox spannend finden, in der Heuschrecken im Sand kriechen. 

Und weiter in die dritte Etage, zur Wanderausstellung Bieren a Teddybieren, die noch bis Ende April im natur musée Station macht. Gleich am Treppenabsatz wartet ein Indianer-Tipi auf die Kids. Es soll einem nordamerikanischen Stamm gehört haben, dessen Häuptling "Vier Bären" hieß. Die Älteren erfahren derweil im kulturhistorischen Teil der Bären-Schau, wo der Name "Teddy" herkommt und lernen, wer wann wo mit der Plüschtier-Herstellung angefangen hat. Die Jüngeren begeistern sich an den hinter übermannshohen Glasvitrinen versammelten "Charakterbären": Plüschtiere mit Gesichtsausdruck; Teddies mit Gefühl. Die meisten schauen drein wie Melancholiker, die nach Näher rufen, und vielleicht ist das ja Absicht.

Später werden richtige Bären zu sehen sein. Richtig ausgestopfte. Einer steht auf dem Dach eines VW-Käfer mit kanadischem Nummernschild, angelockt von dem Picknickkorb, den die Besucher eines Nationalparks in ihrem Wagen haben stehen lassen, obwohl ein Schild davor warnt. Weil der auf das Dach gesprungene Schwarzbär sich für Chips und Muffins interessiert, ist die Karosse des Wagens nun ramponiert. Nicht nur Kinder finden das interessant.

Womöglich erlebt das natur musée in diesem Jahr wieder ein gutes Jahr. Seit die Bären-Austellung hier gastiert, werden pro Woche über 1 000 zahlende Gäste gezählt. Schon jetzt, Mitte März, nähert sich die Besucherzahl der 12 000. Dreißig Prozent mehr als im Vorjahr seien das, sagt Patrick Michaely, verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit. Dabei war schon 2000 ein gutes Jahr gewesen, mit einem Besucherzuwachs gegenüber dem Vorjahr um 45 Prozent. 1999 hatten das natur musée insgesamt knapp 20 000 Leu-te besucht. Anno 2001 erfüllt das Museum diese Zahl bereits im März zu 60 Prozent.

Dass sein Haus aus allen Nähten platze, meint Museumsdirektor Norbert Stomp. Zwar sei der Gästeandrang wetterabhängig, der Sommer erfahrungsgemäß Saure-Gurken-Zeit, aber was das Museum bietet, ist nicht ohne Einfluss auf seine Attraktivität. "Wir sind Teil der nationalen Freizeitindustrie. Wir konkurrieren mit der Kirchberger Messe, mit verkaufsoffenen Sonntagen." Trotzdem verfüge das natur musée mittlerweile über eine feste Klientel. Die bestehe zwar in der Hauptsache aus Familien, aber auch aus Wissensdurstigen. "Die Leute sind verrückt nach Neuheiten", sagt Stomp, "regelrecht geil." Als Patrick Michaely kürzlich an zwei Sonntag Nachmittagen ein Wissens-Quiz nach Art von Fernsehshows à la Wer wird Millionär?veranstaltete, erwies sich das als wahrer Publikumsrenner. Den absoluten Besucherrekord stellte das Museum im November letzten Jahres während des Festival des sciences auf, als auf der Journée des sciences im ganzen Haus 20 verschiedene Wissens-Ateliers stattfanden: 1 856 Gäste wurden gezählt. Dreimal mehr als an Tagen, an denen es im Museum schon "eng" wird.

So dass es kein Wunschdenken bleiben muss - das Ziel der Museumsmitarbeiter, Zusammenhangswissen zu vermitteln und unter der Oberfläche immer wieder für den Natur- und Artenschutz zu sensibilisieren. "Mehr Interaktivität" wünscht Norbert Stomp sich für sein Haus, mehr Ausstellungen zum Sehen, Hören, Greifen und Ausprobieren, mehr Computerterminals, über die der wissensdurstige Gast sich seine Erkenntnis-Enzyklopädie selber zusammensurft. Auch Kinder können das: wie das vielleicht achtjährige Mädchen, das auf den Hocker vor dem Computer geklettert ist und sich, nach kurzem Suchen zwar, aber dann trotzdem erfolgreich, in der Menüsteuerung des Terminals zurecht findet, das in Wort und Bild Wissenswertes über das Leben der Höhlenbären in Luxemburg vor 15 000 Jahren von sich gibt.

Vorstellbar ist es auch, dass das natur musée in einer Zeit, da so oft von "Lifelong learning" die Rede ist, eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Populärwissenschaft spielt und längst nicht nur tote Materie präsentiert. Und dass es sogar unmittelbar etwas beizutragen hat zu aktuellen Diskussionen. Etwa der Frage, wie die Menschen in Zukunft leben wollen: Sehr interessant findet Norbert Stomp die Ausstellung, die die Kollegen vom Naturhistorischen Museum Brüssel derzeit anbieten. Les animaux dans la ville heißt sie und schlägt konsequenterweise eine Brücke von der naturgeschichtlichen Anschauung hin zu urbanistischen Gegenwartsproblemen.

Wollte man eine Exposition dieser Art in Luxemburg anbieten, würde man allerdings an die Grenzen stoßen, denen das natur musée unterliegt. Seine tägliche Neuerfindung als Wissen vermittelnder Ort wird nicht nur beizeiten durch die räumliche Kapazität des erst Ende 1996 eingeweihten Hauses erschwert, in dem zum Beispiel eine große urgeschichtliche Schau mit einem Mammut als Exponat aus Platzgründen ausfallen muss. Die Brüsseler Tiere-in-der-Stadt-Austellung nennt Norbert Stomp, "derart interaktiv, dass wir echte Probleme hätten, sie hier zu realisieren". Interaktiv heißt in diesem Falle nicht voll computerisiert, sondern eine sinnliche Spielwelt, die aus nur wenigen Computerbildern, dafür um so mehr aus elektromechanischer Animation besteht. Dafür, meint der Museumsdirektor, brauche man hoch spezialisierte Handwerker, vor allem Schreiner und Elektriker, aber auch in der Arbeit für Museen erfahrene Informatiker und Multimediafachleute. "Unser Stab wäre damit höhstwahrscheinlich überfordert."

Nicht überfordert, aber ausgelastet nennt Stomp die wissenschaftlichen Mitarbeiter in den sieben Sektionen, von der Botanik bis hin zur Astrophysik, die immer mehr Arbeit in das Konservieren von Exponaten investieren müssen. Woraus zwangsläufig Zeitmangel für konzeptionel-le Arbeit folgt. Und der wird immer größer, da auch durch seine Austel-lungsaktivitäten das Mu-seum immer neuen Konservierungsbedarf produziert. 

Zurzeit sind an vier Standorten in der Hauptstadt, in Howald, Walferdingen und Mersch Lagerräume angemietet; dass es bei ihnen nicht bleiben könnte, hält Norbert Stomp für absehbar: Abhilfe schaffen könne nur ein größeres und auch personell besser ausgestattetes Haus. Anfragen gibt es dazu allerdings noch nicht: "Es war schon schwierig genug gewesen, den verantwortlichen Politikern das Gebäude im Stadtgrund abzuringen."

 

natur musée; 25, rue Münster; L-2160 Luxemburg; Telefon: 46 22 33-1; www.mnhn.lu

 

Peter Feist
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