Industriekultur

The Industrial Revolution - Work in Progress

d'Lëtzebuerger Land du 22.03.2001

März 2004: Endlich ist es soweit! Die Ausstellung La révolution industrielle. Une histoire sans fin - Die industrielle Revolution. Eine unendliche Geschichte - The industrial revolution - Work in progress wird feierlich von Vertretern des Personals und der Direktion der Arbed, der Regierung, der Gewerkschaften, der Südgemeinden und verschiedener Bürgerinitiativen in den Gebläsehallen bei den Hoch-öfen von Esch-Belval eröffnet.

In den offiziellen Reden wird einstimmig begrüßt, dass die Industriebrachen rund um die beiden Hochöfen A und B wieder zu neuem Leben erwachen. Eine neue Epoche beginne für diesen industriellen Standort, auf dem luxemburgische und europäische Wirtschaftsgeschichte geschrieben wurde und auch heute, im Jahr 2004, im Zeitalter der Elektroöfen immer noch geschrieben wird. Die Ausstellung unterstreiche, dass dieses Industriedenkmal aus der Zeit um 1900 sich wunderbar dazu eigne, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verbinden, Industrie und Kultur zu vereinen.

Blenden wir zurück in das Jahr 1997, genauer in jenen Sommer 1997, an dem Hochofen B als letzter Luxemburger Hochofen ausgeblasen wurde. Zum Vergleich: Als das Belvaler Werk im Jahre 1912 eröffnet wurde, waren im Land der roten Erde 46 Hochöfen in Betrieb. Wie vielen Arbeitern, Beamten, Inge-nieuren oder einfach Minettern zumute war beim Tiefblasen des Hochofens, drückte der Obermeister Guy Bock damals aus: "Et ass, ewéi wann een e Frënd géif ëmbréngen. Fir d'éischt gët en erstéckt, an dann ersaufe mer en och nach."

Unser Premierminister, Jean-Claude Juncker, hielt eine memorable Rede, in der er den vielen Menschen, die selbst oder über ihre Familien an der Industrialisierung des Landes beteiligt waren, aus dem Herzen sprach, als er erzählte : "Et ass dat esou eng Erënnerung aus ménger Kannerzäit, datt wa Nationalfeierdag woar, datt dann op dene 6 Héichiewen ëmmer de Lëtzebuerger Fendel hong. An dat woar dat Zeechen, dass wat hei geschitt, mat deem, wat rondrëm geschitt ass, schrecklech vill ze dinn hat. An dass di Schmelz an dat Land op iergend eng Fassong nët nëmme matenee Famill waren, mä ënnertenee verwuess waren, verwuess bleiwen."

Er sagte weiter: "An der eegener Strooss, am eegenen Duerf, op ville Plaze bleift d'Erënnerung nach un déi, déi vill vun hierem Liewen, hiert Liewen hei gelooss hunn a fir ganz vill vun hinnen, ouni dass ee se gefrot huet, hir Gesondheet hei gelooss hunn. An dat alles dat bleift an dat zitt déif Spuren, an dat hannerléisst eng Landschaft, déi mer mussen éieren. An duerfir kann et net sinn, datt an deer Landschaft vum Minett, an der Silhouett an aus dem Horizont vun deem, wou mer doheem sinn, d'Spuere verschwannen, déi eist Land grouss gemaach hunn an déi säin Numm an d'Welt gedroen hunn. An dofir kann deen Héichuewen selbstverständlech net ofgerappt gin."

Der Hochofen B wurde tatsächlich nicht abgerissen. Jean Spautz, Chamberpräsident, der selbst einmal als Arbeiter auf Belval angefangen hatte, und andere Abgeordnete setzten durch, dass nicht nur Hochofen B, sondern auch Hochofen A unter Denkmalschutz gestellt wurden.

Doch dabei blieb es dann vorerst. Geehrt hat man die heroischen Landschaften, welche die Schmelz- und Bergarbeiter Luxemburg als Erbe hinterlassen haben, bis auf Weiteres nur in jenen Worten und in ein paar Zeilen legislativer Texte. 

Architektonische oder industrielle Zeugen der Vergangenheit zerstört man nicht nur, indem man sie abreißt, sondern auch dadurch, dass man sie vor sich hin vegetieren lässt. Das zählt auch für stillgelegte Hochöfen.

Jeder, der sich die Reden vom 31. Juli 1997 anhörte, hatte gehofft, dass die kulturelle Valorisierung der Hochöfen dazu beitragen würde, nicht nur Industriedenkmäler zu retten, sondern vor allem, dass wir als Luxemburger an diesem symbolträchtigen Standort ein anderes Bild von unserem Land und unserer Geschichte geben würden. In den ausländischen Medien wird Luxemburg in einem Atemzug mit Begriffen wie Steuerparadis und Banken-oase zitiert.

Als die britische Premierministerin, Margaret Thatcher, 1989 der Eröffnung der Ausstellung De l'État à la Nation - 1839-1989 beiwohnte, war sie ganz erstaunt zu hören, dass Luxemburg aus 118 Gemeinden zusammengesetzt war. Sie hatte sich Luxemburg immer als Felsen etwa wie Gibraltar vorgestellt. Im Juli 1991 resümierte der französische Philosoph Alain Finkielkraut im Rahmen eines Interviews zum Jugoslawienkrieg in der renommierten französischen Zeitung Le Monde das Bild Luxemburgs im Ausland auf seine Art und Weise: "Et il était tout à fait irréel de voir M. Jacques Poos, ministre de la non-nation luxembourgeoise, exiger des Slovènes, au nom de l'Europe des Douze, qu'ils renoncent à leurs aspirations nationales." (Le Monde, 9. Juli 1991) 

Um ein anderes Bild zu vermitteln, genügt es nicht, Hochöfen wie tote Wracks in der Landschaft stehen zu lassen. Man muss sie zum Leben erwecken, denn genau das waren sie für jene, die dort arbeiteten, aber auch all jene, die sie sahen oder hörten, Lebewesen, keine Maschinen. Die Hochöfen waren das Herz der Hüttenwerke, Freund und Feind zugleich, wenn sie husteten oder verschnupft waren, Gesellen, denen man besser aus dem Weg ging, wenn sie Feuer und Eisen spuckten.

Deshalb sollte rund um die Hochöfen ein nationales Zentrum für Industriekultur entstehen. Es sollte zeigen und dokumentieren, dass Menschen dort hart gearbeitet haben, um jenen Reichtum zu produzieren, den Luxemburg heute vorzuweisen hat, genauso wie heute ihre Nachkommen ihre Energie, ihr Talent, ihr Know-how in die verschiedensten Aktivitäten des industriellen, artisanalen oder tertiären Bereichs investieren.

Ideen dazu wurden dann auch 1998/99 in einer Arbeitsgruppe "Belvaler Hochöfen" unter der Leitung von Guy Linster, der sich seit langem für ein nationales Industriezentrum einsetzte, entwickelt. Doch ihre Vorschläge verschwanden in irgend einer Schublade, noch ehe sie überhaupt veröffentlicht wurden. In den aufeinanderfolgenden Masterplänen zu Belval wurde der kulturelle Aspekt nur am Rande in ein oder zwei Sätzen erwähnt, konkret ging nur von Rockhalle und Kinokomplex die Rede. Im Vordergrund stand wieder einmal die Ansiedlung von Betrieben. 

Paradoxal, nicht wahr: Gerade jene Denkmäler der Industriekultur, die der Brache Belval überhaupt ihren Wert gaben und sie von einer banalen weiteren Industriezone abhoben, wurden in den Planungen zu Potemkinschen Fassaden deklassiert, deren monumentalen Rahmen man zwar nutzen wollte, ohne aber die Seele des Ortes einzubeziehen und zu erhalten.

Sollte auf Belval ein weiterer non-lieu, passend zum Vorurteil der non-nation luxembourgeoise, entstehen? Oder sollte das enorme Potential einer Industriebrache wie Belval genutzt werden, um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verbinden? Sollte dort gezeigt werden, dass nicht Parasitentum, sondern Initiativgeist und Mut zur Zukunft Luxemburg damals wie heute prägten? Sollte hier die Vielfältigkeit jener Industriekultur gezeigt werden, die im Laufe der rezenten Geschichte alle soziale Schichten des Landes erfasste?

Als der vierte Winter hintereinander zeigte, dass die Hochöfen bald nur noch als Schrotthaufen anstatt als Industriedenkmal an die Geschichte des Landes erinnern würden, beschlossen die Verantwortlichen des Kulturministeriums im Frühjahr 2001, eine breit angelegte öffentliche Kampagne über die kulturelle Belebung des Areals rund um die Hochöfen zu organisieren. 

Willkommener Startschuss war die Aufführung des Theaterstücks Der Diener zweier Herren von Carlo Goldoni, einer Koproduktion des Théâtre National du Luxembourg, der Ruhrfestspiele Recklinghausen und der Kulturfabrik Esch, im April 2001 in den Gebläsehallen. Zur gleichen Zeit starteten die Südgemeinden und Bürgerinitiativen ihrerseits eine Kampagne unter dem  Motto "Du musst aus deiner Gegend alles holen!", um den Mut zur Zukunft einer ganzen Region zu belegen.

Die Hochöfen wurden zu einem Beispiel der Mobilisierung einer ganzen Gegend. Anstatt die Hochöfen als reine Anschauungsobjekte zu behandeln, wurden sie zum Hauptakteur eines Projektes, bei dem folgende Frage im Mittelpunkt stand: Wie können wir die Hochöfen für kommende Generationen erhalten? 

Schulklassen des Technikums, Studenten der Aachener Technischen Hochschule, pensionierte Arbeiter und Ingenieure entwickelten zusammen konkrete Lösungsvorschläge, um die Hochöfen vor dem drohenden Zerfall zu retten. Studenten aus dem Fachbereich Chemie entwickelten zum Beispiel Lösungen auf der Grundlage von Naturharz, mit denen man die Hochöfen beschichten konnte, ohne aber die typische metallische Farbe zu verändern.

Zur Gelegenheit der Journée du patrimoine im September 2001 wurde das ganze Hochofenareal an jenem Wochenende zum ersten Mal der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ein Industriepfad visualisierte mithilfe modernster audiovisueller Mittel auf dem Gelände die einzelnen Phasen der coulée continue. Auf der Freilichtbühne vor der monumentalen Kulisse der Hochöfen wurde Theater gespielt und Rockgruppen traten auf.

Während die Hochöfen zum Bezugspunkt der kulturellen Aktivitäten im Freien wurden, entwi-ckelten sich die Gebläsehallen zur Drehscheibe der verschiedensten kulturellen Innenaktivitäten wie Ausstellungen, museumspädagogische Angebote, Theater, Work-shops, Konferenzen, wissenschaftliche Kolloquien.

Im Mittelpunkt des nationalen Zentrums für Industriekultur sollte das stehen, was die Seele des Orts am meisten prägte: Arbeit. Deshalb kam die Idee auf, nicht zuerst ein museales Gebäude komplett fertigzustellen, um dann erst die kulturelle Arbeit zu beginnen, sondern umgedreht vorzugehen.

Zuerst sollte eine internationale Ausstellung das Potential der Gebläsehallen dokumentieren, ehe die museale Struktur definitiv fertiggestellt wurde. Vor allem sollte gezeigt werden, dass Ausstellungen zu Industriegeschichte und Industriekultur sich nicht mit Vitrinen-Gu-cken und Schautafeln-Lesen über längst vergangene Zeiten begnügen. Ein nationales Zentrum für Industriekultur macht nur einen Sinn, wenn die Besucher des Zentrums dort auch arbeiten, also selbst aktiv werden. Um den Bezug zur Gegenwart herzustellen, müssen sie Geschichte selbst rekonstruieren. Nachvollziehen, ausprobieren, anfassen, selber machen muss das Leitmotiv sein. Wenn sie möchten, in drei Schichten: Frühschicht, Mittagsschicht, Nachtschicht. Oder in Wochenendarbeit. Oder aber als bezahlte Überstunden (die Besucher zahlen...).

Die erste Ausstellung zur industriellen Revolution wurde sogar von den potentiellen Besuchern selbst entworfen, in Zusammenarbeit mit Institutionen wie dem Kultur- und Erziehungsministerium, mit Industrieunternehmen wie Arbed und Usinor, mit Archäologen und Historikern der verschiedensten kulturellen Institute des In- und Auslands.

Der Ausstellung voraus ging nämlich ein Projekt, das in der Großregion mit verschiedenen Schulklassen, aber auch mit interessierten Bürgern über Medien wie die geschriebene Presse und Internet in den Jahren 2002/2003 durchgeführt wurde. Die Beteiligten rekonstruierten dabei selbst die Geschichte der industriellen Revolution in Luxemburg, Lothringen, der Saar und dem Luxembourg belge. Über eine Gruppenarbeit konnten sie sich in die Lage der Unternehmer, Grundbesitzer, Bauern, Arbeiter, Einwanderer der Mitte des 19. Jahrhunderts versetzen. 

Es ging zuerst darum, zu thematisieren, was denn überhaupt ihre heutige Vorstellung vom Begriff "Industrielle Revolution" war. Sehr schnell stellte sich heraus, dass für die meisten spontan der technologische Aspekt dieser Revolution im Mittelpunkt stand. Nach dem Motto "Comprendre, c'est inventer" gab die Gruppenarbeit ihnen die Möglichkeit, für Luxemburg zum Beispiel den Lebens- und Arbeitsweg der Gebrüder Metz und Brasseur, der Textilarbeiter aus Luxemburg-Grund, der Einwanderer aus Norditalien, der Puddler der Berburger Hütter, der Tagelöhner aus dem Oesling im Rahmen der industriellen Revolution neu zu erfinden (siehe Beschreibung und einige Aufgaben der Gruppen). 

Ausgehend von verschiedenen Si-tua-tionen - Krisen, Opportunitäten - mussten sie Entscheidungen treffen, sie verteidigen, sie vorführen, sie zeichnen, auf Attacken reagieren, Reden in der Abgeordnetenkammer halten, um ihre jeweiligen Interessen zu verteidigen usw. Es ging nicht nur darum, am Ende zu vergleichen mit dem, was "wirklich" geschehen ist. Es ging vor allem darum, die Komplexität, die Vielfalt und die Aktualität eines historischen Phänomens wie der industriellen Revolution zu erfassen.

Aspekte wie die Entstehung neuer Berufe und sozialer Schichten, die Entwicklung eines industriellen und finanziellen Unternehmertums, die Erschließung neuer wirtschaftlicher Aktivitäten, die Herausbildung politischer Forderungen der einzelnen Schichten wurden thematisiert und erlaubten den Schülern, Lesern und Internet-Surfern nicht nur die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts besser zu verstehen, sondern vor allem Vergleiche zur elektronischen Phase der immer noch andauernden industriellen Revolution zu ziehen, also den Bezug zu ihrer Gegenwart herzustellen.

Für die Organisatoren der Ausstellung kam hinzu, dass dieses Vor-Publikum ihnen die Pisten, Themen, Geschichten, Anekdoten der Ausstellung mitlieferte. Eine Gruppe der Trikotweber aus Luxemburg-Grund, die arbeitslos wurde, stieß zum Beispiel während ihrer Recherchen auf die Information, dass das Unternehmen Opel im 19. Jahrhundert zuerst Nähmaschinen herstellte. Sie entschieden sich dazu, nach Rüsselsheim auszuwandern. Andere zog es nach Lothringen, weil dort die Hochofenarbeiter besser bezahlt wurden. Sie wurden zu Grenzgängern... Neue Pisten ergaben sich so sogar für das Forschungsprojekt zur industriellen Revolution im europäischen Vergleich, das Historiker, Geographen, Ökonomisten und Soziologen im Rahmen des Fonds national de la recherche scientifique an der neuen Cité des sciences auf Belval vorantreiben.

Die interaktive Ausrichtung steht dann auch im Mittelpunkt der Ausstellung, die heute, am 23. März 2004 feierlich eröffnet wird. Je nach Herkunft der Besucher bekommen sie die Möglichkeit, als Unternehmer Metz, De Wendel oder Stumm die Ausstellung zu erleben. Gruppen wird die Möglichkeit gegeben, in Workshops die verschiedenen Etappen der Gruppenarbeit selbst nachzuprobieren. Das Endprodukt ihrer Erlebnisreise durch die industrielle Revolution können sie selbst bestimmen. 

Der Dokumentarfilm Stol von Claude Lahr wurde vom Autor und dem Produzenten Claude Waringo zur Verfügung gestellt. Unter Anleitung von Fachleuten können Teile des Films umgeschrieben werden. Ein Leitmotiv des Films, die Briefe der Akteure oder Zuschauer jener Epoche, eignet sich besonders gut dazu. Andere können unter der Leitung von Comic-Autoren wie dem Luxemburger Roger Leiner, dem Lothringer Baru oder dem Belgier Benoît Clarys eine kurze Comics-Geschichte als Resultat des Workshops entwerfen.

Hauptattraktion der Ausstellung The Industrial Revolution - Work in Progress ist aber eine Weltpremiere der ganz besonderen Art. In Zusammenarbeit mit Philippe Andrieux, Chefkonservator des Patrimoine archéologique du Val de Marne, und einer ganzen Mannschaft von Archäologen, Steinmetzen, Kesselschmieden aus dem In- und Ausland wurde ein Hochofen aus der Zeit um 1830 in der Nähe der Hochöfen A und B rekonstruiert.

Ausgangspunkt der Ausstellung ist also die Begegnung mit den Menschen und Berufen, die vor fast 200 Jahren Hochöfen gebaut und bedient haben. Der Hochofen bleibt während der ganzen Zeit der Ausstellung in Betrieb. Gusseisenherstellung wird vor Ort experimentiert, zuerst mit dem Brennstoff der vorindustriellen Zeit, Holzkohle, dann mit dem "neuen" Brennstoff, Koks. Auch hier hat sich die freiwillige Mitarbeit von noch aktiven oder pensionierten Ingenieuren, Schmelzern, Hochofenarbeitern schon in der Bauphase als unerlässlich herausgestellt. 

Doch trotz ihrer Mitarbeit wird das Experiment wohl nicht immer gelingen. Genau hierum handelt es sich in den Augen von Philippe Andrieux und seinen Mitarbeitern: um ein wissenschaftliches Experiment, nicht um eine blosse Vorführung früherer Arbeitstechniken. Gerade die Fehler und Pannen erlauben es in dieser Optik, die Schmelzverfahren zu analysieren und zu verbessern. Bis zu 1 000 Besucher können alle zwei Tage den ganzen Herstellungsprozess live miterleben und so die Faszination rund um die beiden Elemente Feuer und Eisen, Faszination, die sich wie ein roter Faden durch die Menschheitsgeschichte zieht, wirklich nachvollziehen.

Nach dieser Einführung in jene industrielle Aktivität, die zum Motor der Modernisierung des Agrarstaats Luxemburg wurde, begeben sich die Besucher in die vier Abteilungen der Ausstellung in einer der beiden 160 Meter langen und 21 Meter hohen Gebläsehallen. Sie behandeln folgende Bereiche: I. Die Transformation der Arbeit; II. Die Veränderung des Lebens; III. Die Mutationen der Gesellschaft; IV. Die Umgestaltung der Landschaft.

Parallel zur Ausstellung laufen eine ganze Reihe von Aktivitäten, nicht nur auf dem Standort Belval selbst, sondern auch in den anderen Zentren und Museen, die sich mit der Geschichte der Industrialisierung beschäftigen, sowie in den Schulen. Die Fédération des jeunes entrepreneurs stellte ihre diesjährige Kampagne Jeunes et esprit d'entreprise unter das Motto Écolonomie: innovation technologique et environnement, um eine der Herausforderungen der industriellen Revolution des 21. Jahrhunderts zu thematisieren.

Überhaupt sind Kinder und Jugendliche wichtige Zielgruppen der Ausstellung und des Zentrums für Industriekultur. Besonders für dieses Publikum werden Workshops zu verschiedenen epochen- und fächerübergreifenden Themen organisiert. Die Workshops dieser ersten Ausstellung setzen sich auf kreative Weise mit dem Thema L'acier, c'est fou auseinander. Eine visite jeune public präsentiert den Schülergruppen ausgewählte Dokumente, Fotos und Objekte, welche die Rolle des Stahls in der Geschichte Luxemburgs und der Großregion zeigen. In einem audiovisuellen Vortrag wird die Präsenz von Stahl und Eisen in Alltag und Kunst von früher bis heute erklärt. In Workshops werden dann abschließend Experimentierungen mit und rund um Stahl und Eisen vorgeschlagen.

Ein Beispiel sei hier nur herausgegriffen. In einer Arbeitsschicht von acht Stunden können Gruppen in einem Workshop unter Leitung von Fachleuten in der Metallbearbeitung eine Figur aus Schrott erschaffen. Im Vorfeld der Ausstellung haben Lehrlinge in der Industriemechanik unter der Leitung ihres Instruktors Jhang Meis im Centre de formation der Arbed (CFA) erste Figuren aus Metall entworfen. Die Lehrlinge sammelten Schrott aus verschiedenen Arbed-Betrieben, reinigten und sortierten sie: Material für Kopf, Arme, Körper, Beine. In Zweiergruppen wurden Ideen gesammelt, das Konzept des Stahlmännchens oder -frauchens entwickelt. 

In der Realisierungsphase mussten sie ihr Konzept mehrmals umkrempeln und dem Material anpassen. Die Teile wurden schließlich zu-sammengeschweißt, gereinigt, neue Schrottteile hinzugefügt. Entstanden sind jene Metallfiguren, die hier abgebildet sind. Wie gesagt: Geschichten aus Stahl wurden früher und werden heute und morgen weiter geschrieben. An Ideen und Kreativität fehlt es nicht...

Eine Originalität des Standorts Belval besteht darin, dass hier immer noch Tag für Tag Stahl produziert wird. Das Nationale Zentrum für Industriekultur sowie sämtliche kulturelle Aktivitäten rund um die Hochöfen tragen dazu bei, diese Gegenwart mit ihrer Vergangenheit zu verbinden und Brücken in die Zukunft zu schlagen. Wenn die Besucher die Gebläsehalle verlassen, entdecken sie, dass die Vielseitigkeit des kulturellen Projektes beginnt, auf die gesamte Brache Belval abzufärben. 

Sie stellen fest, dass bei der Ansiedlung von Betrieben Altes (Industriesektor) und Neues (Dienstleistungs- und Technologiesektor) verbunden wurden. Das Experiment Hochofen von 1830 vereint Menschen, die entweder daran arbeiten oder das Experiment in ihrer Freizeit verfolgen, und weitere noch, die darüber Forschung betreiben. Genauso ist es Leitmotiv der Brachenentwicklung, Arbeit, Freizeit, Forschung und Wohnen nicht künstlich zu trennen, sondern durch handelnde Menschen zu verbinden. 

Darin liegt auch Sinn und Zweck der Ausstellung The Industrial Revolution - Work in Progress. Deshalb freuen wir uns, dass sie der erste Schritt zur definitiven Fertigstellung des Centre national de culture industrielle - Centre de documentation, d'animation et de rencontre auf Belval ist. Geplante Einweihung: Juni 2006. 

 

 

Gruppe 1: Die Tagelöhner aus dem Ösling

 

In Luxemburg um 1840 sind viele Menschen Tagelöhner und arbeiten als Handlanger auf einem Bauernhof. Die Häuser, in denen sie mit ihrer Familie leben, sind klein, feucht und mit nur einer kleinen Tür als Öffnung versehen. Möbel haben sie so gut wie keine. Sie schlafen alle im selben Zimmer. Sie sind schlecht ernährt. Während drei Viertel des Jahres steht immer nur dasselbe Menü auf dem Tisch: ein bisschen Roggen mit Gerste, Hafer und stärkehaltigem Gemüse wie Kartoffeln, Erbsen, Bohnen usw.  vermischt; für andere ist die Mischung von Buchweizen und Hafer die tägliche Nahrung. Fleisch gibt es, wenn überhaupt, nur an Festtagen.

Die großen Missernten von 1846 und 1847 haben eine Hungersnot auf dem Lande provoziert. Die kleinen Bauern und die Tagelöhner sind am schlimmsten betroffen. Ihre Familien haben so gut wie nichts mehr zu essen.

Aufgabe: Was tut Ihr in dieser Lage?  Entwerft eine Comic-Geschichte, in der Ihr Eure Lage als Tagelöhner vor und nach der Hungersnot beschreibt. Ihr könnt dazu unter anderem auf  folgende Dokumente, Bücher, CD-Roms  usw.  zurückgreifen.

 

Gruppe 2: Die Textilarbeiter aus Luxemburg-Grund

 

Luxemburg zählt um 1840 ungefähr 500 Textilarbeiter. Früher waren alle in einer großen Anzahl von kleinen Ateliers verteilt. Ihre Arbeit war eine Heimarbeit. Ab 1840 werden Fabriken gegründet, welche Dampfmaschinen benutzen und in denen Maschinen die Webstühle und Spinnräder ersetzen. Nur einigen Webern gelingt es als  Webermeister, ihre Ateliers aufrecht zu erhalten. Viele von ihnen haben jedoch nur während neun Monaten des Jahres genug Aufträge. Sie müssen nebenbei als Handlanger bei den Arbeiten an der Festung Luxemburg sowie beim Bau der Straßen helfen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Neue Webmaschinen werden eingeführt, die von Dampfmaschinen angetrieben werden. Sie können 1 000 Ellen Tuch in 12 Stunden herstellen und brauchen nur von vier Männern oder Frauen bedient zu werden. Die Konkurrenz für die häuslichen Textilhersteller wird so groß, dass die meisten ihre Textilproduktion aufgeben müssen.

Aufgabe: Ihr seid Trikotweber aus dem Grund. Was tut Ihr in dieser Lage? Schreibt einen Text, in dem Ihr Eure Entscheidung erklärt. Ihr könnt dazu unter anderem auf  folgende Dokumente, Bücher, CD-Roms  usw.  zurückgreifen.

 

Gruppe 3: Die Unternehmerfamilie

 

Charles (1799-1853), Norbert (1811-1885) und Auguste Metz (1812-1854) wurden in einer Kaufmannsfamilie geboren. Sie sind drei von neun Kindern des Kaufmannsehepaars Metz-Gérard, das um 1790 aus dem wallonischen Teil des Herzogtums Luxemburg in die Stadt Luxemburg eingewandert ist. Charles, Norbert und Auguste suchen sich, nach erfolgreichem Ingenieur- bzw. Rechtsstudium in Paris, eine berufliche Karriere in einem zukunftsträchtigen wirtschaftlichen Bereich aufzubauen. Die Familie Metz verfügt in den 1830er Jahren über eine vielseitige industrielle Tätigkeit: Sie sind aktiv in der Möllerei, betreiben eine Ölfabrik aber auch Steinbrüche und sind an einer Tabakfabrik beteiligt.

Sie möchten im zukunftsträchtigen Bereich der Eisenindustrie aktiv werden. Im Süden des Landes wird seit 1845 wieder Eisenerz (Minette) abgebaut und in den Hochöfen wird die Holzkohle immer mehr durch die Steinkohle, Koks, ersetzt. Mithilfe von Koks wird fünfmal mehr Eisen aus einem Hochofen gewonnen. 

Um mithilfe von diesem neuen Brennstoff Minette zu Eisen weiterzuverarbeiten, müssen sie ihre Schmelzen modernisieren. Sie brauchen die neuen Dampfmaschinen, denn sie betreiben die Gebläseeinrichtungen, die an die Stelle der alten Blasebälge treten. Dadurch kann der "Zug" im Hochofen viel stärker werden, der ja erst die hohe Temperatur erzeugt, die für den Schmelzvorgang des Eisenerzes nötig ist. Als Kapital verfügen sie, zusammen mit ihren Freunden, der Familie Tesch, über 50 000 Franken. Die drei Dampfmaschinen, die sie benötigen, kosten zusammen 75 000 Franken.

Aufgabe: Ihr seid Charles, Norbert und Auguste Metz. Was tut Ihr in dieser Lage? Schreibt einen Text auf ein Plakat, in dem Ihr Eure Entscheidung erklärt. Ihr könnt dazu unter anderem auf  folgende Dokumente, Bücher, CD-Roms  usw.  zurückgreifen.

Mögliche Weiterführung

Die ersten Dampfzüge fahren 1859 von Luxemburg nach Thionville. Der Dichter Michel Lentz feiert das Ereignis in einem Lied, das berühmt wird, De Feierwon. Der Bau der Eisenbahn eröffnet der Eisenindustrie große Absatzmöglichkeiten (Lieferung von Schienen, Maschinen), aber die Konkurrenz ist sehr hart. Ihr könnt Euch auf diesem Markt nur durchsetzen, wenn es Euch gelingt, eure Produktionskosten zu reduzieren.

Aufgabe: Welche Entscheidungen trefft Ihr? Informiert den Rest der Klasse durch ein Rollenspiel, in dem Ihr eine wichtige Versammlung des Verwaltungsrats der Firma vorstellt.

 

Gruppe 4: Die Einwanderer aus Norditalien

 

Pietro Morelli wird 1840 in Vauda di Front in der Gegend von Turin geboren. Seine Eltern sind Bauern. Die ganze Familie, mit ihren acht Kindern, lebt vom Ernteertrag von drei Morgen Land, von der Milch einer Kuh, von Kastanien, Polenta und Kartoffeln. Oft sind sie so hungrig, dass sie die Kartoffeln, die sie erst gesät haben, wieder ausgraben, um sie zu essen. Brot gibt es nur selten, aus Roggen hergestellt. Mit zehn Jahren geht er fort von zu Hause, überquert allein die Alpen. Sein einziges Hab und Gut sind Holzschuhe, sein Messer, ein Stück Polenta und Käse in einem Tuch gewickelt und an seinem Stock festgemacht. So gelangt er nach Barcelonnette in Südfrankreich, wo er als Hirtenjunge arbeitet und dann nach Nice, wo er den Steinmetzen hilft. Aber das ist bloß die erste Etappe einer langen Reise für ihn.

Über Weihnachten 1864, als im Bauwesen sowieso nicht gearbeitet wird, kehrt Antonio zurück in sein Dorf, zu seiner Familie. Dort erzählt sein Bruder Antonio von seiner harten, aber gut bezahlten Arbeit in der Kohlengrube der Gesellschaft Co-ckerill (Seraing bei Liège, Belgien). Sein Onkel Andrea lädt ihn ein, mal bei ihm in Audun-le-Tiche, an der lo-thringisch-luxemburgischen Gren-ze vorbeizuschauen. Er arbeitet dort in der Nähe, auf luxemburgischem Boden, in einer Eisenerzgrube...

Aufgabe: Ihr seid Pietro Morelli. Was tut Ihr in dieser Lage? Schreibt einen Text auf ein Plakat, in dem Ihr Eure Entscheidung erklärt. Ihr könnt dazu unter anderem auf  folgende Dokumente, Bücher, CD-Roms  usw.  zurückgreifen.

 

Gruppe 5: Die Grundbesitzer aus Esch/Alzette

 

Pierre Brasseur stammt aus einer wohlhabenden Familie aus Esch, die über viel Grundbesitz in der Ortschaft und in der Umgebung verfügt. Als er um 1850 sein Studium der Rechtswissenschaft in Paris absolviert, hört er, dass das oolithische Eisenerz (Minette) in der Escher Gegend für industrielle Zwecke genutzt wird. So entsteht ein großes Interesse für Escher Grundstücke. Viele Industriegesellschaften möchten Grundstücke im Süden Eschs, in der Gegend des roten Bodens, kaufen, um dort die Eisen-erzlager auszubeuten. Pierre Brasseur wird zum Geschäftsagent im Dienste der Gesellschaft Metz [&] Cie. Er prospektiert die Umgegend, verhandelt mit den Bauern, kauft ihnen die Grundstücke ab...

Doch schnell strebt er danach, auf eigenen Füßen zu stehen. Pierre Brasseur verfügt über 50 000 Franken, François Xavier Leesberg, gebürtiger Holländer, Bergwerkbesitzer in Esch, verfügt über 45 000 Franken, Jean Hoferlin, Gastwirt in Esch, hat ein Kapital von 30 000 Franken.

In der Minettegegend kostet ein größeres Bergwerk ungefähr 250 000 Franken. Es kann im Jahr bis zu 60 000 Franken einbringen.

Aufgabe: Ihr seid Pierre Brasseur. Was tut Ihr in dieser Lage? Schreibt einen Text auf ein Plakat, in dem Ihr Eure Entscheidung erklärt. Ihr könnt dazu unter anderem auf  folgende Dokumente, Bücher, CD-Roms usw. zurückgreifen.

 

Gruppe 6: Die Puddler am Hochofen in der Berburger Hütte

 

Die Puddler üben eine wichtige Funktion in den Hüttenwerken um 1840 aus. Stundenlang müssen sie das eingesetzte Roheisen im Hochofen abwechselnd mit Spitze und "Rabot" (Haken) bearbeiten und immer wieder Hochofenabstiche entnehmen. Die Arbeit unmittelbar vor dem halbgeöffneten Ofen ist äußerst  anstrengend und erfordert sehr viel Geschick. Ihre Erfahrung entscheidet darüber, wann das Roheisen aus dem Ofen entnommen wird und in ein Sandbett fließt, um später weiterverarbeitet zu werden. Um 1850 arbeiten 21 Personen in dem kleinen Hüttenwerk von Berburg. Unter ihnen sind ein Puddlermeister und drei weitere Puddler.

Im Jahre 1865 wird die Berburger Hütte definitiv geschlossen. In den neuen Luxemburger Hüttenwerken wird das Puddelverfahren durch andere Verfahren ersetzt, um Stahl zu erzeugen (Bessemer- und Thomasverfahren). Einige Puddler wandern ins Ruhrgebiet aus, wo die Luxemburger Gebrüder Richard ein Puddelstahlwerk (in Düsseldorf) errichtet haben. Andere versuchen ihr Glück in den Schmelzen, die im Süden des Landes, in Esch, Düdelingen oder Differdingen entstehen.

Aufgabe: Ihr seid Puddler in einem Hochofenbetrieb. Was tut Ihr in dieser Lage? Entwerft eine Comic-Geschichte, in dem Ihr Eure Entscheidung und euren weiteren Lebens- und Arbeitsweg erklärt.

 

Dieser Beitrag ist meinem Vater, Salvatore Scuto, Schweißer an den Hochöfen von Arbed Terres Rouges, Düdelingen und Esch/Belval, in der Préretraite seit 1999, gewidmet.

 

Denis Scuto
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