Gutes und böses Geld

Geld, das wie Kartoffeln fault

d'Lëtzebuerger Land vom 24.08.2012

„Daß die gütertauschende Kraft des Geldes so gering ist, liegt daran, daß man das Geld zu sehr verbessert hat, nämlich verbessert vom einseitigen Standpunkt des Inhabers. Man hat bei der Wahl des Geldstoffes ganz allein an den Käufer gedacht, an die Nachfrage. Die Ware, das Angebot, den Verkäufer, den Verfertiger der Ware hat man ganz und gar vergessen. Man hat für die Herstellung des Geldes den schönsten Stoff ausgesucht, den die Erde birgt, ein Edelmetall – weil es für die Inhaber Annehmlichkeiten bot. Und man hat dabei übersehen, daß die Warenbesitzer beim Verkauf ihrer Erzeugnisse diese Annehmlichkeiten bezahlen müssen. Man hat durch die Wahl des Geldstoffes dem Käufer Zeit gegeben, den für ihn günstigsten Augenblick für den Kauf von Waren auszuwählen, und hat dabei vergessen, daß diese Freiheit den Verkäufer zwingt, auf dem Markt geduldig zu warten, bis es dem Käufer beliebt, zu erscheinen. Man hat durch die Wahl des Geldstoffes aus der Nachfrage eine Willenssache der Geldbesitzer gemacht, man hat die Nachfrage der Laune überantwortet, der Gewinnsucht, dem Wucherspiel und dem Zufall, und dabei hat man völlig außer acht gelassen, daß das Angebot wegen seiner stofflichen Natur diesem Willen gegenüber ganz schutzlos ist. So entstand die Macht des Geldes, die, in Geldmacht umgewandelt, einen unerträglichen Druck auf alle Erzeuger ausübt.
Kurz, unsere biederen Sachverständigen haben die Währungsfragen beantwortet, ohne an die Ware zu denken. Sie haben das Geld vom einseitigen Standpunkt des Inhabers so verbessert, daß es als Tauschmittel unbrauchbar wurde. Nach dem Zwecke des Geldes haben sie augenscheinlich nie gefragt, und so haben sie, wie Proudhon sich ausdrückt, einen ‚Riegel, an Stelle eines Schlüssels für den Markt‘ geschmiedet. Das Geld stößt die Ware ab, statt sie anzuziehen. Man kauft Ware, ja, aber nur, wenn man hungrig ist, oder wenn man dabei einen Gewinn hat. Als Verbraucher kauft jeder nur das Mindestmaß. Irgendwelchen Vorrat will niemand haben; in den Bauplänen sind Vorratskammern niemals vorgesehen. Würde man allen Bürgern heute eine gefüllte Vorratskammer schenken – morgen schon fände man alle diese Vorräte auf den Märkten wieder. Nur Geld wollen die Leute haben, obschon alle wissen, daß dieser Wunsch nicht erfüllt werden kann, insofern als das Geld aller sich gegenseitig aufhebt. Der Besitz einer goldenen Münze ist ja unbestreitbar viel angenehmer. Die Waren mögen die ‚anderen‘ haben. Die anderen! Aber wer sind denn in der Volkswirtschaft diese ‚anderen‘? Wir selbst sind diese anderen; wir alle, die wir Waren erzeugen. Indem wir also als Käufer die Erzeugnisse der anderen zurückweisen, stoßen wir uns alle gegenseitig unsere Erzeugnisse zurück. Wenn wir das Geld nicht den Erzeugnissen unserer Mitbürger vorzögen, wenn wir an Stelle einer angestrebten und doch unerreichbaren Geldrücklage eine Vorratskammer anlegten und diese mit den Erzeugnissen unserer Mitbürger füllten, so brauchten wir unsere eigenen Erzeugnisse nicht in kostspieligen Läden feilhalten zu lassen, wo sie durch die Handelsunkosten großenteils aufgezehrt werden. Wir hätten dann einen schnellen und billigen Absatz der Waren.
Das Gold paßt nicht zur Eigenart unserer Waren. Gold und Stroh, Gold und Petroleum, Gold und Guano, Gold und Ziegelsteine, Gold und Eisen, Gold und Häute!! Nur eine Einbildung, ein ungeheurer Wahngedanke, nur der Gegenstand der Wertlehre kann diesen Widerspruch überbrücken. Die Waren im allgemeinen, Stroh, Petroleum, Guano können nur dann sicher gegenseitig ausgetauscht werden, wenn es allen Leuten völlig gleichgültig ist, ob sie Geld oder Ware besitzen, und das kann nur dann der Fall sein, wenn das Geld mit all den üblen Eigenschaften belastet wird, die unseren Erzeugnissen ‚eigen‘ sind. Es ist das ganz klar. Unsere Waren faulen, vergehen, brechen, rosten, und nur wenn das Geld körperliche Eigenschaften besitzt, die jene unangenehmen, verlustbringenden Eigenschaften der Waren aufwiegen, kann es den Austausch schnell, sicher und billig vermitteln, weil dann solches Geld von niemand, in keiner Lage und zu keiner Zeit vorgezogen wird.
Geld, das wie eine Zeitung veraltet, wie Kartoffeln fault, wie Eisen rostet, wie Äther sich verflüchtigt, kann allein sich als Tauschmittel von Kartoffeln, Zeitungen, Eisen und Äther bewähren. Denn solches Geld wird weder vom Käufer noch vom Verkäufer den Waren vorgezogen. Man gibt dann nur noch die eigene Ware gegen Geld her, weil man das Geld als Tauschmittel braucht, nicht, weil man vom Besitz des Geldes einen Vorteil erwartet.
Wir müssen also das Geld als Ware verschlechtern, wenn wir es als Tauschmittel verbessern wollen.
Da die Besitzer der Waren es mit dem Tausch stets eilig haben, so will es die Gerechtigkeit, daß auch die Besitzer des Tauschmittels es eilig haben sollen. Das Angebot steht unter unmittelbarem, eigengesetzlichem Zwang, so soll auch die Nachfrage unter gleichen Zwang gestellt werden.
Das Angebot ist eine vom Willen der Warenbesitzer losgelöste Sache; so soll auch die Nachfrage eine vom Willen der Geldbesitzer befreite Sache sein.
Wenn wir uns dazu verstehen können, die Vorrechte der Geldbesitzer zu beseitigen und die Nachfrage dem gleichen Zwang zu unterwerfen, dem das Angebot von Natur aus unterliegt, so lösen wir alle Widersprüche des herkömmlichen Geldwesens restlos auf und erreichen damit, daß die Nachfrage völlig unabhängig von allen politischen, wirtschaftlichen oder natürlichen Ereignissen ganz regelmäßig auf dem Markte erscheint. Namentlich werden auch die Anschläge der Wucherspieler, die Ansichten oder Launen der Rentner und Bankmänner ohne irgendwelchen Einfluß auf die Nachfrage sein. Ja, das, was wir ‚Börsenstimmung‘ nennen, wird es überhaupt nicht mehr geben. Wie etwa das Fallgesetz keine Stimmungen kennt, so wird es sich auch mit der Nachfrage verhalten. Keine Furcht vor Verlusten, keine Erwartung eines Gewinnes wird die Nachfrage beflügeln oder hemmen können.“

1 Silvio Gesell, Die natürliche Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld, Dritte Auflage, Arnstadt in Thüringen, 1919, S. 237-239
Romain Hilgert
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