LEITARTIKEL

Blockdenken

d'Lëtzebuerger Land du 13.10.2023

Die Luxemburger/innen haben am Sonntag ihr Land gespalten. Die Spaltung verläuft nicht entlang gesellschaftspolitischer Grenzen wie vor über 100 Jahren, sondern entlang wirtschafts-, sozial- und umweltpolitischer. Der Rechtsblock unterliegt heute nicht dem Einfluss der Kirche, sondern dem des Patronats. Im Vorfeld der Tripartite vor einem Jahr hatte UEL-Präsident Michel Reckinger in einem Interview CSV-„Visionären“ wie Pierre Werner und Jacques Santer nachgetrauert, die wirtschaftspolitische Entscheidungen ohne Wählerbefragung getroffen hätten. Drei Monate später hat die CSV Luc Frieden reaktiviert. Nun wird zum ersten Mal in der Geschichte Luxemburgs ein Präsident der angeblich parteiunabhängigen Handelskammer Premierminister – ein Tabubruch. Im Wahlkampf übernahm Frieden Reckingers Diskurs von den CSV-Patriarchen, die Luxemburg vom Bauern- über den Industriestaat in die Dienstleistungsgesellschaft, von der Armut in den Wohlstand geführt hätten. Und reihte sich selbstbewusst in diese Tradition ein.

Gewonnen hat Luc Frieden die Wahlen damit nicht. Er konnte lediglich das schlechte Resultat von Claude Wiseler vor fünf Jahren wiederholen, doch wegen unzuverlässiger Umfragen, die der CSV noch im Dezember 2022 Verluste von bis zu sechs Mandaten vorhersagten, erscheinen die 21 Sitze vom Sonntag wie ein Sieg. Vor den Wahlen hatte Frieden die bis dahin orientierungslose CSV nach seinen Vorstellungen geformt. Sowohl programmatisch als auch personell. Entgegen der Volkspartei-Logik hat er den sozialen Flügel (oder was noch von ihm übrig ist) in die zweite Reihe befördert; die Neoliberalen, die so denken wie er, in die Vitrine gestellt.

Eine Koalition mit der DP drängte sich auf, Übereinstimmungen gab es nicht nur in wirtschafts- und arbeitspolitischen, sondern auch in gesundheits- und sicherheitspolitischen Fragen. Ein Regierungsprogramm wird wohl erst in einigen Wochen vorliegen, doch es ist davon auszugehen, dass CSV und DP viele Forderungen der UEL übernehmen werden. Bereits im Wahlkampf hatte Frieden angekündigt, mit Steuererleichterungen internationales Finanzkapital anziehen zu wollen, um gegenüber „Dublin, Amsterdam und London“ wettbewerbsfähig zu bleiben. Anders seien der Sozialstaat und die Energietransition nicht zu finanzieren, die für das Triple A so wichtige Staatsschuld nicht zu begrenzen. Ähnlich sieht es auch die DP.

Die Grünen wurden abgestraft und verloren fünf Sitze. Genauso viele wie die DP 2004, am Ende der letzten Koalition, die sie mit der CSV eingegangen war. Die LSAP konnte von den Verlusten der Grünen weniger profitieren als die Liberalen mit dem Klimapremier, was nicht zuletzt ausschlaggebend dafür war, dass der Linksblock sich nun in der Opposition wiederfindet. So schwach wie heute war der Linksblock noch nie. LSAP, Grüne und Déi Lénk kommen zusammen auf nur 17 Mandate, nicht einmal halb so viele wie die Mehrheit, die zudem auf die Unterstützung der rechten ADR und der liberalen Piraten zählen können wird. Gemeinsam können die drei linken Parteien nicht einmal die Einsetzung einer Untersuchungskommission durchsetzen.

Weil Sozialisten, Grüne und Linke traditionell stärker in der Zivilgesellschaft verankert sind als CSV und DP, könnten die sozialen Spannungen in den kommenden Jahren steigen. Insbesondere OGBL und LCGB vertreten viele Menschen aus der Hälfte der Bevölkerung, der das Wahlrecht bislang verwehrt bleibt. Wie es weitergehen wird, hängt davon ab, wie die neue Regierung sich in sozialen und ökologischen Fragen positioniert. Der harmoniebedürftige Noch-Premier konnte Frieden am Mittwoch wohl davon überzeugen, neben dem Patronat auch Wohlfahrtsverbände, Gewerkschaften und Umweltorganisationen zu den Koalitionsverhandlungen nach Senningen einzuladen. Sie dürfen ihre Forderungen vorbringen. Ob sie berücksichtigt werden, steht auf einem anderen Blatt.

Luc Laboulle
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