Freihandelsabkommen TTIP

Noch ein Gericht

d'Lëtzebuerger Land du 12.02.2016

Raumnummer B 0.010 im Bundeswirtschaftsministerium in Berlin. Wer ihn betritt, steht unter Aufsicht, muss zuvor sein Mobiltelefon abgeben, darf keine Kopien machen, muss schweigen, kann Notizen nur auf vorgelegtem Papier handschriftlich anfertigen und darf überhaupt nicht einmal länger bleiben als zwei Stunden. Es ist der TTIP-Leseraum in Sigmar Gabriels Ministerium, wo Abgeordnete – und nur Abgeordnete – des Bundestags sich nun Dokumente und Papiere zur Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) anschauen dürfen. Es sind 13 in englischer Sprache verfasste Papiere mit mehreren Hundert Seiten. Immerhin: Ein deutsch-englisches Wörterbuch steht bereit.

Die Geheimniskrämerei verwundert in Zeiten, in denen Transparenz das größte Gebot der Stunde zu sein scheint. Statt offen und verständlich über Inhalte, Möglichkeiten und Grenzen des Freihandelsabkommens zwischen den USA und der Europäischen Union zu informieren, verschanzen verhandelnde Politiker Dokumente und Unterlagen dazu in fensterlosen Räumen. Nun in kleinen Häppchen kommen Inhalte der Verhandlungen an die Öffentlichkeit, wohl dosiert. In ihrer Komplexität überfordern sie oftmals die öffentliche Diskussion. So etwa der Vorschlag der EU im Zuge von TTIP ein neues Investitionsgericht zu schaffen. Der Deutsche Richterbund (DRB) wandte sich vergangene Woche in einer Stellungnahme gegen dieses Gericht. Die Juristen sehen weder eine Rechtsgrundlage noch eine Notwendigkeit für ein solches Gericht.

Das von der EU-Kommission geplante Investitionsgericht „Investment Court System“ (ICS) soll in ein System von Mediation und Konsultationen eingebunden werden und wäre für Ansprüche wegen Verstößen gegen die Investorenschutz-Klauseln des Abkommens zuständig. Ein Investment, so definiert es der entsprechende Textvorschlag der Kommission, umfasst jede Art von Rechten – einschließlich Aktien, Anteilen an Unternehmen, Rechte am geistigen Eigentum, bewegliche Gegenstände und Forderungen. Damit erstreckt sich der reklamierte rechtliche Schutzbereich der Investitionen vom Zivilrecht über das allgemeine Verwaltungsrecht bis hin zum Sozial- und Steuerrecht. Das ICS würde Rechtsprechungskompetenz in diesen Bereichen erhalten, um den Schutz von Investoren umfassend sicherzustellen. Sie sollen das ICS anrufen können, wenn sie durch einen Verstoß gegen Investorenschutzrechte einen Verlust erlitten haben sollen. Die Entscheidungen des ICS werden bindend sein.

Die deutschen Richter sehen durch das ICS nicht nur die Rechtssetzungsbefugnis der Europäischen Union und der einzelnen Mitgliedsstaaten eingeschränkt, sondern auch eine tiefgreifende Veränderung des etablierten Gerichtssystems. Für eine solche Änderung fehle jedoch die Rechtsgrundlage. Denn bereits bei der Diskussion um die Einrichtung des Europäischen Patentgerichts stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) fest, dass die EU ein „vollständiges System“ besitzt „von Rechtsbehelfen und Verfahren, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe gewährleisten soll“, so im Gutachten 1/09 von Anfang März 2011. Eine weitere Analogie auf die das zitierte Gutachten hinweist: Das ICS wäre ein Gericht, das „außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union“ stehen würde.

Dies sei unnötig, so der DRB, denn es handle sich bei den Mitgliedsstaaten der EU um Rechtsstaaten, die allen Rechtsuchenden den Zugang zum Recht über die staatliche Gerichtsbarkeit eröffnen und garantieren. Dieser Zugang muss allerdings auch ausländischen Investoren offenstehen, so die Forderung des Richterbunds, der Schiedsverfahren im Bereich des internationalen Investorenschutzes überhaupt kritisch gegenübersteht. Die deutschen Richter begründen dies mit der ungenügenden Unabhängigkeit der Richter an den Schiedsgerichten. So genügten weder das Verfahren zur Ernennung der entsprechenden Richter noch deren Stellung internationalen Anforderungen. Größte Sorge bereitet dabei jedoch die Unabhängigkeit, resultierend vor allem aus der finanziellen Unabhängigkeit. Vorgesehen ist derzeit eine Amtszeit von sechs Jahren mit der Möglichkeit für eine weitere Amtsperiode. Das Grundgehalt beträgt etwa 2 000 Euro monatlich für Richter in der ersten Instanz und rund 7 000 Euro monatlich für die des Appellationsgerichts zuzüglich Aufwandsentschädigungen bei tatsächlichen Einsätzen.

Dabei wollte die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag lediglich eine Alternative zu den umstrittenen privaten Schiedsgerichten auf internationale Ebene etablieren und damit einen Standard für künftige internationale Handelsvereinbarungen schaffen und somit nicht nur in TTIP verankert, sondern auch im Ceta-Handelsvertrag zwischen Kanada und der EU nachgebessert und in einem weiteren Vertrag mit Vietnam bereits von Anfang an enthalten sein. Die Kommission erhofft sich, so doch noch die Zustimmung zum TTIP-Vertrag durch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu bekommen. Der Deutsche Richterbund gilt als einflussreicher Interessenverband mit guter Lobby auch in Brüssel.

Martin Theobald
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