CSV

Das große Stühlerücken

d'Lëtzebuerger Land du 05.11.2009

Während der bekannteste CSV-Politiker des Landes sich umständlich und mit wenig Aussicht auf Erfolg um den ständigen Vorsitz des Ministerrats der Europäischen Union bemüht, begann seine Partei zur selben Zeit mit beinahe militärischer Präzision, einen Großteil ihres Führungspersonals auszuwechseln. Innerhalb von zwei Wochen hielt sie fast ein Dutzend regionale und na­tio­nale Kongresse ab. Dort wurden nach sowjetischem Vorbild, ohne Gegenkandidaten und mit Mehrheiten von 90 Prozent und mehr, neue Bezirks- und Landesvorsitzende fast aller Unterorganisationen gewählt. Als krönender Abschluss soll am 14. November dann auch die Gesamtpartei eine neue Spitze erhalten. Damit bemüht sich die CSV, die eben die Wahlen mit Abstand gewonnen hat, sich weiter zu erneuern und so ihren Vorsprung auf die anderen Parteien zu halten oder gar noch auszubauen. Zwar verfügt die CSV auch über den dienstältesten Staatsminister der EU, die dienstälteste EU-Kommissarin, die dienstälteste EU-Parlamentarie­rin und den ältesten Deputierten auf Krautmarkt. Aber ihre rezenten Wahlerfolge waren nur möglich, weil sich die konservative Partei in den letzten Legislaturperioden auf eine Art und Weise an die gesellschaftliche Entwicklung anzupassen verstand, die selbst viele Mitglieder ihr nicht zutrauten. Dass das nicht ohne Widersprüche geschah, gehört zu jeder Partei – wie die Versuche der LSAP zeigen, Geschlechterquoten einzufügen oder ihren Namen zu ändern. Doch die LSAP hat die Wahlen nicht gewonnen und lässt sich dennoch mit einer personellen Erneuerung Zeit, während die DP sich als Wahlverliererin zu einer nicht immer ganz glücklichen Erneuerung gezwungen fühlt.

Ihre Ämter behalten durften bei der CSV am 19. Oktober in  Beggen nur der Vorsitzende der christlich-sozia­len Kommunalpolitiker, der Ab­geordnete und Bürgermeister von Mamer, Gilles Roth, und am 30. Oktober in Walferdingen der erst vergangenes Jahr zum Präsidenten der Christlich-sozialen Jugend gewählte Parteifunktionär Serge Wilmes. Dagegen wählte am 29. Oktober der Nationalkongress der Christlich-sozialen Frauen in Hesperingen Diane Adehm zur neuen Vorsitzenden. Die Beamtin des Rechnungshofs und Hesperinger Gemeinderätin tritt die Nachfolge der Abgeordneten Christine Doerner an.

Vor allem aber tauschte die Partei sämtliche Bezirksvorsitzende aus. Das sind auf den ersten Blick wenig dankbare Posten, weil sie vor allem mit parteiinterner und organisatorischer Arbeit verbunden sind. Doch gerade zur Vorbereitung der Gemeindewahlen ist es wichtig, Bezirksvorsitzende mit neuem Tatendrang zu haben, welche die eine oder andere eingeschlafene Sektion noch rechtzeitig auf Trab bringen können, um Kandidaten zu mobilisieren und Flugzettel zu verteilen. Zudem hat die CSV ein Nachholbedürfnis, da sie bei den Gemeindewahlen 2005 hinter der LSAP nur den zweiten Preis gewann.

Für die Amtsinhaber selbst ist ein Bezirksvorsitz oft eine wichtige Stufe auf der Leiter in die nationale Parteispitze und gibt Anrecht auf einen Sitz im Nationalkomitee der Partei. Fast alle Parteivorsitzenden und Generalsekretäre waren zuvor auch einmal Bezirkspräsidenten. Die Mandate der Bezirkspräsiden­ten dauern zwei Jahre, beziehungsweise drei Jahre, wie diesmal, wenn während der Mandatsdauer Kammerwahlen stattfinden. Bezirkspräsidenten können laut Statuten „nicht mehr als zweimal wiedergewählt werden“.

Am 20. Oktober durften also in der Wiltzer Primärschule 98 Prozent der Delegierten den bisherigen Bezirkssekretär Charel Pauly zum neuen Präsidenten des Nordbezirks wählen. Der 54-jährige Ingenieur und Winseler Schöffe, der dem Nationalvorstand der Partei angehört, trat die Nachfolge der Italienischlehrerin Marie-Anne Thommes an.

Am 21. Oktober wählten dann im Walferdinger Kulturzentrum 93 Pro­zent der Delegierten Mill Majerus zum Vorsitzenden des CSV-Zentrumsbezirks. Der 58-jährige Drahtzieher der christlich-sozialen Fami­lienpolitik und frischgebackene Abgeordnete tritt die Nachfolge von Martine Mergen an. Die Abgeordnete Mergen wurde gerade Vorsitzende des CSV-Stadtverbands und kann sich als solche Hoffnungen machen, 2011 zur Bürgermeisterkandidatin der CSV in der Hauptstadt bestimmt zu werden.

Am 26. Oktober wurde Sylvie Andrich-Duval im Rodinger Kulturzentrum von 89 Prozent der Delegierten zur Bezirkspräsidentin im Süden gewählt. Die 50-jährige Abgeordnete und Diplompsychologin ersetzt Marc Spautz, der für das Amt des Nationalsekretärs kandidiert.

Am 28. Oktober wählten schließlich 92 Prozent der Delegierten die 48-jährige Françoise Hetto-Gaasch im  Remerschener Gemeindesaal zur neuen Vorsitzenden des CSV-Ostbezirks. Die neue Ministerin tritt die Nachfolge von Ministerin Octavie Modert an. Beide hatten bei den Kammerwahlen im Juni mehr Stimmen als Platzhirsch Fernand Boden bekommen und ermöglichten so die seit langem angestrebte personelle Erneuerung im Ostbezirk und damit auch in der Regierung.

Denn zuvor hatte die Erneuerung schon auf Regierungsebene stattgefunden. Nicht nur Fernand Boden, sondern auch Jean-Louis Schiltz, dessen Wahlresultat ihm keinesfalls zur Unehre gereichte, hatte die ­Regierung verlassen müssen. Mit seinen selbstherrlichen Umgangsformen hatte er sich in den ihm anvertrauten Ressorts nur wenig Freunde gemacht, was nicht zuletzt in der Armee problematisch geworden war. Nach seiner gescheiterten Regierungserfahrung muss er sich nun mit dem Fraktionsvorsitz im Parlament begnügen. 

Die ebenfalls für zwei oder drei Jahre gewählten Parteispräsidenten und  Generalsekretäre können laut Statuten „nicht mehr als zweimal wiedergewählt werden“. Somit werden Parteipräsident François Biltgen und Generalsekretär Marco Schank ersetzt. Läuft in einer Woche alles wie geplant, wird der ehemalige Minister und Fraktionssprecher Michel Wolter neuer Parteipräsident und der Abgeordnete Marc Spautz neuer Generalsekretär.Damit wäre die Bandbreite der Volkspartei weitgehend abgedeckt: Der als Fraktionsvositzender in der Euthanasiedebatte viel kritisierte Wolter soll sich als rechtsliberaler, unternehmerfreundlicher Parteimanager versuchen. Spautz soll als LCGB-Funktionär das sozialstaatliche Gewissen und den Garanten der katholischen Soziallehre geben. Das wird dringend nötig sein, wenn die Partei 2011 ihrer Wählerbasis die Rechnung für den Ausweg aus der Krise vorlegen wird. 

Wolters und Spautzs Aufgabe wird es zuerst sein, die Gemeindewahlen vom Oktober 2011 vorzubereiten und so gut zu koordinieren, wie es die lokalen Sektionen zulassen. Darüber hinaus sollen sie den Reformprozess mit allen für eine Volkspartei besonders eklatanten Widersprüchen am Leben erhalten, damit die gesellschaftliche Entwicklung nicht wieder der Partei davonläuft. Und sie sollen, wie schon ein paar Mal zuvor, die Ära nach Jean-Claude Juncker vorbereiten – auch wenn der in 14 Tagen doch nicht ständiger Vorsitzender des europäischen Ministerrats wird.  Juncker wird von der Parteibasis zwar noch immer für seine Popularität bewundert. Doch ein Teil der Parteikader befürchten hinter vorgehaltener Hand, dass er zunehmend zur Belastung wird.

Romain Hilgert
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