CSV

Nach Juncker

d'Lëtzebuerger Land vom 15.11.2007

Vor einigen Jahren ging es jener Presse schlecht, deren Chefredakteur und stellvertretender Chefredakteur dem Nationalvorstand der CSV angehören. Die Kundschaft ging zurück, die Verluste nahmen zu, ganz wie bei der CSV in denNeunzigerjahren. Daraufhin kam ein Retter in der Not und veranstaltete eine mittlere Revolution im katholischen Verlagshaus. Als die Konten wieder schwarze Zahlen auswiesen, wurde der schwarze Revolutionär eiligst in den Ruhestand komplimentiert.

Bis auf das neue Format des Wort hat die Konterrevolution inzwischen die meisten Neuerungen wieder zurückgenommen.Morgen findet der ordentliche Parteitag der CSV in Moutfort statt.Mangels Wahlen zu den Parteigremien wurden die Delegierten vorallem zusammengetrommelt, um sich die üblichen Ansprachen derOberen von Fraktion, Partei und Regierung anzuhören. Doch eher unausgesprochen als ausgesprochen schwebt über dem Moutforter Kongress eine Frage, die wieder ganz aktuell geworden ist: Was wird nach Juncker? Wie sähe die CSV aus, wenn der populärste Politiker des Landes in einem Jahr tatsächlich zum ersten ständigen Präsidenten des Europäischen Ministerrats gewählt und seine Koffer packen würde?

Wenn in den vergangenen Wochen die sonst ihre ideologische Standfestigkeit rühmende CSV öffentlich über gesellschaftspolitische Fragen stritt, war das, bewusst oder unbewusst, vielleicht auch eine Debatte darüber, wie es nach Jean-Claude Juncker weiter gehen soll. Meldete sich da nicht, wie nach der Revolution in der befreundeten Presse, auch ein wenig in der Partei die Konterrevolution voreilig zu Wort? 

Die Parteirechte wartet seit Jahren auf den Abgang des schwarzen Revolutionärs, um die als Götzendienst am Zeitgeist empfundenen Neuerungen zurückzunehmen. Antwortete ihr nicht eine neue Generation CSV-Politiker, die ihre mühsam erkämpfteWählerbasis von jungen, berufstätigen Frauen und Männernverteidigen wollen, denen jedes Verständnis für klerikal-konservativen Mief abgeht?

Über die Ära nach Juncker denken aber auch seit Jahren, und bei jedem in Brüssel frei werdenden Mandat aufs Neue, jene nach, die sein Amt hierzulande erben wollen. Die dynastischen Sitten des CSV-Staats wollen es, dass sie zu den Bestgewählten ihres Wahlbezirks gehören und folglich bereits auf der CSVSeite am Kabinettstisch sitzen. Jetzt warten sie erst einmal bis nächstenHerbst, danach vielleicht noch einige Jahre. Von dem, der das Rennen macht, hängt auch ein wenig ab, wie sozial oder liberal die CSV nach Juncker wird.Die Frage, ob die CSV ein halbes Jahr vor den nächsten Wahlen aufihren Spitzendkandidaten und den von der Konkurrenz viel zitierten„Juncker-Bonus“ verzichten müsste, kann aber kein einziges Parteimitglied kalt lassen. Selbst seinen Kritikern in der Partei, die ihm vorwerfen, immer abgehobener und unberechenbarer zu werden, ist nicht ganz wohl bei der Vorstellung, dass die CSV ohne Juncker bei den nächsten Wahlen eine fast normale Partei wie LSAP und DP würde. Was zuerst bedeutete, dass sich ihr Stimmenvorsprung verringere, als knüpfte sie wieder an die Neunzigerjahre an – ganz ohne dass die Konterrevolutionäreüberhaupt am Rad der Geschichte drehen müssten. Dann hätteder europäische Ministerrat wieder mehr an der nationalen Politikgeändert, als die allgemeinen, freien und geheimen Wahlen. Wie bereits 1998, als Jacques Santer unverhofft einsprang, um den Kommissionspräsidenten zu geben.

Romain Hilgert
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