Gewerkschaften und Arbeitgeberschaft üben den Schulterschluss mit der Regierung nach der ersten Dreiergesprächen. Doch im Hintergrund feilen sie längst am Plan für den großen Verteilungskampf

Burgfrieden

d'Lëtzebuerger Land vom 10.07.2020

Skills Jeder großen Entscheidung geht ein langes Warten voraus. Verhandlungen, die sofort zu einem Ergebnis führen, die planmäßig ablaufen, gelten als unbedeutend. Fast schon als unseriös, weil die Parteien im Verdacht stehen, nicht bis zum Äußersten gerungen zu haben. Oder schlimmer noch: Sich alle bereits im Vorfeld einig waren und alles nur Teil einer abgesprochenen Inszenierung war. Also müssen Verhandlungsrunden sich hinziehen: Nur so bauen sie eine spannungsvolle Dramaturgie auf und werden ernst genommen. Keine EU-Gipfelgespräche, die sich nicht bis tief in die Nacht ziehen, kein Konklave ohne schwarzen Rauch, kein EU-Austritt ohne Verlängerung. Selbst Diven wie Madonna wissen um die dramaturgische Wucht der Verspätung und lassen ihre Fans vor Auftritten gerne warten.

Fast ein Jahrzehnt nach der letzten Tripartite-Runde müssen sich auch Journalist/innen am vergangenen Freitag im Schloss Senningen lange gedulden. Manche Minister verlassen mit einem Gewerkschaftler für kurze Zeit den Verhandlungsraum, um das Zweiergespräch an der frischen Luft zu suchen. Belegte Brötchen werden als improvisierter Mittagssnack in den Raum gebracht. Und ungeladene Gäste wie Corinne Cahen, Claude Meisch (beide DP) und Romain Schneider (LSAP) nehmen kurz an den Gesprächen teil. Erst nach Stunden tritt Staatsminister Xavier Bettel (DP) gemeinsam mit Vertretern der Gewerkschaften und Arbeitgebern vor die Presse. Allerdings verkündet er keinen großen neuen Plan, keinen gemeinsamen Wurf, sondern spricht unter anderem vom neumodischen Begriff „Skills“. Arbeitnehmer sollen für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden.

Mit diesem wenig konkreten Buzzword durchbricht der Staatsminister die mühsam aufgebaute Dramaturgie der Tripartite. Denn es deutet darauf hin, dass die erste große Dreierrunde, die das Luxemburger Modell nach Jahren des Stillstands wiederbeleben sollte, lediglich ein Gespräch bei Kaffee und Kuchen war – eine Tripartite light. Premierminister Bettel kündigt zwar noch an, eine weitere Pressekonferenz mit seinen Vizepremiers Dan Kersch (LSAP) und François Bausch (Grüne) abhalten zu wollen. Aber daraus wurde lediglich eine Pressetermin von Arbeitsminister Kersch über die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Bettel hatte hingegen laut Angaben seines Kabinetts „Terminprobleme“. Was natürlich übersetzt bedeutet, dass die Konferenz für ihn keine Priorität hatte.

Pyrrhussieg Die Gewerkschaften machten am vergangenen Freitag noch gute Miene zum bösen Spiel. Sie waren wie in der Vergangenheit mit einer kleinen Armada an Funktionären angerückt und waren erleichtert, wieder einen Fuß in der Tür zu haben – endlich wieder am Tisch sitzen und Teil des obersten politischen Spiels sein. Die Tripartite-Runde war für sie in der Vergangenheit der Ort, an dem sie die größten Errungenschaften feierten, an dem sie auf Augenhöhe mit dem Staatsminister verhandeln konnten und ein Maximum für die Arbeitnehmer in Luxemburg herausholten. Allein die Rückkehr zur Tripartite musste deshalb als symbolischer Erfolg gefeiert werden. Oder wie es UEL-Präsident Nicolas Buck, der nie um einen provokanten Spruch verlegen ist, sagt: „Für die Gewerkschaften ist die Tripartite wie Toreschießen für Robert Lewandowski.“

Aber insgeheim war den Gewerkschaften natürlich bewusst, dass es eine Mogelpackung war. Das aufgedeckte Menü war nicht nach ihrem Gusto. Auf dem Ordre du jour stand lediglich eine Analyse der Wirtschaft und Staatsfinanzen, sowie Gespräche über die Situation am Arbeitsmarkt. Keine wirtschaftspolitischen Diskussionen, keine Haushaltspolitik, keine Verhandlungen. Alle wichtigen Entscheidungen zur Kurzarbeit und zur antizyklischen Investitionspolitik waren von der Regierung bereits längst beschlossen.

Beim OGBL-Nationalkomitee machte Präsidentin Nora Back ihrem Frust deshalb wenige Tage später Luft und stellte Forderungen an die Regierung: Bei den nächsten Dreiergesprächen im September würde man sich nicht mit der passiven Zuschauerrolle begnügen. Es müsse über Kaufkraft und Kindergeld geredet werden – insgesamt müssten deutlich mehr Themen angesprochen werden. „Wir wollen keine Scheingespräche und vor vollendete Tatsachen gestellt werden“, sagt Back dem Land. CGFP-Präsident Romain Wolff teilt die Ansicht seiner Kollegin und führt die Steuerfrage an. „Wir wollen in der Tripartite diskutieren und mitentscheiden, wie die Last der Corona-Rezession verteilt wird“, so Wolff. Kurz: Die Gewerkschaften wollen eine möglichst breite Tripartite. Sie soll das Herz der Krisenbekämpfung sein.

Auf Arbeitergeberseite sieht man das anders. Die schlanke Tripartite ist ganz nach ihrem Geschmack. Und das drückte sich bereits bei der Größe der Delegation am vergangenen Freitag aus. Die Arbeitgeber waren lediglich mit den beiden Tesla-fahrenden Posterboys der UEL, Nicolas Buck und Jean-Paul Olinger, angereist. Der einstige Totengräber der Tripartite und heutige „Grand-Duc du Patronat“ (Land, 17.01) Luc Frieden war ebenso wenig anwesend wie Carlo Thelen (Chambre de Commerce) oder Nicolas Henckes (Confédération du commerce). UEL-Präsident Buck will seit Amtsantritt die Macht der Dreiergremien stutzen und aus ihnen zahnlose Tiger machen. Er unterstrich im Anschluss an die Dreierrunde die Aussagen von Premiermister
Bettel und sprach in unerwartet moderaten Tönen von „konstruktiven Gesprächen mit gutem Esprit“.

Rechnung In der Vergangenheit sah das Erfolgsmodell der Tripartite wie folgt aus: Die Gewerkschaften forderten, die Arbeitgeber blockierten. Dann blickten alle zur Regierung, und der Staatsminister stellte einen Scheck aus. In der aktuellen Krise hat sich diese Politik ganz ohne Dreierrunde ergeben: Der Staat springt für die schwächelnde Konjunktur ein, pumpt Milliarden Euro in die Wirtschaft. Die Kurzarbeit soll die Unternehmen entlasten und eine Explosion der Arbeitslosenzahl verhindern.

Über das Eingreifen des starken Staats herrscht derzeit Konsens bei den Sozialpartnern, allerdings nicht über die nächsten Schritte. Denn die Gretchenfrage lautet in beiden Lagern seit Wochen: Wer soll am Ende für den hohen Schuldenberg aufkommen? Handelskammerpräsident Luc Frieden, dessen Austeritätsplan 2011 als CSV-Finanzminister unter anderem am Druck der Gewerkschaften in einer Tripartite scheiterte, wurde in den vergangenen Wochen nicht müde, zu betonen, dass Luxemburg am Ende der Krise zurück zur schwarzen Null müsse, zu einer disziplinierten Finanzpolitik ohne weitere Staatsverschuldung. „Es gibt kein Geld, das vom Himmel fällt“, so Frieden gegenüber dem Land. Schulden müssten zurückgezahlt werden. Und er wolle unbedingt verhindern, dass das zulasten von Unternehmern und Finanzplatz geht. Genau deshalb wollen die Arbeitgeber tunlichst vermeiden, dass die Fiskal- und Haushaltspolitik in der Tripartite mit den Gewerkschaften besprochen wird. Sie verweisen vielmehr auf das Parlament: „Haushaltsdebatten gehören in die Chamber“, so Frieden. Dort – so glauben die Arbeitgeber jedenfalls – ist es leichter, ihre Steueragenda durch gezielte Lobbyarbeit durchzusetzen.

Und die Regierung? Laut Land-Informationen hat Staatsminister Bettel bereits am vergangenen Freitag die Gewerkschaften in die Schranken verwiesen und eine breite politische Debatte in der Tripartite abgelehnt. Auch Vizepremier Kersch sagte bei der Pressekonferenz am Donnerstag, dass Gesetze im Parlament verabschiedet werden und nicht von Gewerkschaften oder den Arbeitgeberverbänden in einer Tripartite. Er ließ durchblicken, dass er Haushaltsdiskussionen in Dreiergremien für nicht sinnvoll hält, da sie zu keinem Ergebnis führen. Das hatte fast schon den Sound eines Luc Frieden. Aber weder Kersch noch Bettel wollen sich aktuell festnageln lassen. Prognosen über die Zukunft nennt Bettel „Kaffeesatzleserei“, Diskussionen über Steuerreformen halten beide ohne „Kassensturz“ für verfrüht, Steuererhöhungen schließen beide vorerst aus – es gilt das Primat der Gegenwart, eine Politik, die auf Sicht fährt.

Laut Statec-Chefökonom Serge Allegrezza stellt sich die Frage aktuell noch nicht. „Die Zinslage ist auf absehbare Zeit so günstig, dass der Staat noch lange Zeit Schulden machen kann.“ Und die Stabilitätskriterien der Europäischen Union seien so lange ausgesetzt, wie die Staaten sich in einer Rezession befinden. Trotzdem ist sich Allegrezza sicher: Die Verteilungskämpfe werden kommen.

Pol Schock
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