leitartikel

Verbotspolitik

d'Lëtzebuerger Land vom 09.08.2024

Der PAP Quartier existant (PAP QE), mit dem die Stadt Esch/Alzette die städtebaulichen Regeln für ihren 2021 verabschiedeten PAG festlegte, hatte vor vier Jahren Aufsehen erregt. Insbesondere die geplanten Einschränkungen für Wohngemeinschaften durch den lien affectif hatten wiederholt zu Protesten geführt. Da auch das Innenministerium Beanstandungen dazu vorbrachte, entfernte der Schöffenrat die umstrittenen Dispositionen vor der Abstimmung im Gemeinderat aus dem Dokument.

Eine andere umstrittene Einschränkung behielt der Schöffenrat aber bei: In rund 4 000 im grafischen Teil des PAP QE grün eingefärbten Einfamilienhäusern untersagte die Stadt die Einrichtung von Einliegerwohnungen (logements intégrés), die laut Gesetz vermietet, jedoch nicht separat verkauft werden dürfen. Die Cellule d’évaluation des Innenministeriums hatte schon 2019 nach den Gründen für dieses Verbot gefragt und moniert, dass es höchstwahrscheinlich gesetzwidrig sei. Der Escher Stadtarchitekt hatte die Regelung am 5. Mai 2021 in einer Gemeinderatssitzung damit begründet, dass 4 000 Einliegerwohnungen, gemessen an der in den Schémas directeurs bestimmten Wohndichte, mit rund 10 000 zusätzlichen Einwohner/innen gleichzusetzen seien – ein Zuwachs, der die kommunale Infrastruktur überfordere.

Mit den Stimmen der CSV-DP-Grüne-Mehrheit nahm der Gemeinderat den PAP QE an, im Oktober 2021 wurde er von Innenministerin Taina Bofferding (LSAP) genehmigt. Vor zwei Wochen hat das Verwaltungsgericht das Verbot der Einliegerwohnungen jedoch gekippt, nachdem zwei Eigentümerinnen vor zwei Jahren Einspruch gegen den Beschluss des Gemeinderats und die Entscheidung der Innenministerin eingelegt hatten. Das Verbot verstoße gegen das großherzogliche Reglement vom 8. März 2017, das die Bestimmungen für die PAP QE festlege, urteilten die Richter. Die Stadt Esch möchte das Urteil nun analysieren und bis Ende des Monats entscheiden, ob sie in Berufung gehen will, sagte Bürgermeister Christian Weis (CSV) am Dienstag dem Land. Selbst wenn das Verbot juristisch nicht haltbar sei, stehe er weiter hinter der politischen Überzeugung, die das Verbot begründet.

Die „politische Überzeugung“ von CSV, DP und Grünen bestand darin, 4 000 Einfamilienhäuser zu „schützen“, um kaufkräftige Familien aus der Mittelschicht nach Esch zu ziehen, die noch immer stark proletarisch geprägte Bevölkerung zu durchmischen und den Ruf der als „Proletennest“ verschrieenen Stadt zu verbessern. Damit Esch etwas mehr wie Niederanven oder Weiler-la-Tour wird, wo die Arbeitslosenrate gering ist und die Durchschnittslöhne hoch sind. Der Schöffenrat wollte es jungen Familien ermöglichen, ihren Traum vom Eigenheim zu verwirklichen. „Erschwinglich“, betont Christian Weis, denn durch Einliegerwohnungen könnten Eigentümer den Wert ihres Hauses steigern, was die Verkaufspreise anheize. Das Verbot sollte selbst dann gelten, wenn das Haus abgerissen und auf dem Grundstück ein neues gebaut würde.

Die wohnungsbaupolitischen Pläne von CSV, DP und Grünen missachten jedoch die Realität der Universitäts- und Durchgangsstadt Esch. Es herrscht akute Wohnungsnot, es fehlt vor allem an kleinen Mietwohnungen, um Studierenden, Geflüchteten und Tagelöhnern – hochqualifizierten und weniger qualifizierten – eine Unterkunft zu bieten. Die Mietpreise (loyers annoncés par m2) in Esch sind laut Observatoire de l’habitat in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als im Landesdurchschnitt: Seit 2010 um 160 Prozent (gegenüber 120% auf nationaler Ebene), seit 2017 um 86 Prozent (62%) und seit Inkrafttreten des PAG vor drei Jahren ist die Mietsteigerung in Esch mit 15,60 Prozent sogar mehr als doppelt so hoch wie im Landesdurchschnitt (7%). Mietwohnungen in Esch gehören inzwischen zu den teuersten in Luxemburg. Vielleicht haben CSV, DP und Grüne damit ihr politisches Ziel erreicht. Dem traditionell sozialen Charakter der Stadt, den Christian Weis höher hält als sein Vorgänger Georges Mischo, entspricht das nicht. Was auch der neue CSV-Bürgermeister inzwischen erkannt hat. Am Mittwoch relativierte er seine politische Überzeugung: Dem Tageblatt gestand er, das Verbot der Einliegerwohnungen zu unterstützen, sei ihm schon vor drei Jahren nicht leicht gefallen.

Luc Laboulle
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