Der Künstler Jeff Dieschburg hat die Plagiatsklage gegen die Fotografin Jingna Zhang in erster Instanz gewonnen. Das Urteil im Berufungsverfahren könnte einen Präzedenzfall schaffen

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d'Lëtzebuerger Land vom 23.12.2022

Copycat Die Rosen, die Falten des Kleides, der Gesichtsausdruck: Jeff Dieschburgs Bild und Jingna Zhangs Fotografie sind mittlerweile sprichwörtlich um die Welt gegangen. Während Dieschburgs Anwalt Gaston Vogel feiert, sein Mandat und er hätten „op der ganzer Linn gewonn“, gibt sich die 34-jährige Künstlerin, die aus Singapur stammt und in den USA lebt, „tief erschüttert“ über die Entscheidung des Bezirksgerichts, ihren Plagiatsvorwurf gegenüber Dieschburg, einem 24-jährigen Kunststudenten, zurückzuweisen. Dieschburg hat den Prozess vor zwei Wochen in erster Instanz gewonnen. „Jingna Zhang reste ainsi en défaut d’établir en quoi la photographie litigieuse serait empreinte de sa personnalité“, heißt es im zwanzigseitigen Urteil. Aus diesem Grund würde das Urhebergesetz aus dem Jahr 2001 nicht greifen, urteilte der Richter.

Das Foto, um das es geht, stammt aus einer Serie, die Jingna Zhang für ein Cover der Harpers‘ Bazaar Vietnam geschossen hat. Jeff Dieschburgs Bild Turandot, Teil eines Ölmalerei-Diptychons, wurde im Juni im Rahmen der (etwas hochtrabend genannten) 11. Biennale für zeitgenössische Kunst in Strassen ausgestellt und er bekam dafür den Förderpreis von 1 500 Euro (der Kaufpreis des Bildes lag bei
6 500 Euro). Die beiden Bilder sind sich verblüffend ähnlich, der Maler hat das Modell gespiegelt und ihm Ohrringe und ein Schwert beigefügt. Jingna Zhang war nach dem Shooting im Jahr 2017 von einem Verleger darauf hingewiesen worden, ihre Ästhetik wäre nichts für den westlichen Markt, und fand es umso ironischer, dass Dieschburgs Bild in Europa damit einen Preis gewinnt. Zwei Personen hatten die Fotografin während der Biennale im Juni kontaktiert, um sie auf eine mögliche Urheberrechtsverletzung hinzuweisen. Daraufhin hatte der Maler sich bei Zhang gemeldet, um ihr mitzuteilen, er habe sich bei ihr inspiriert, was einer gängigen Praxis in der Kunst entspreche. In erster Linie hatte Zhang gefordert, Dieschburgs Werk solle aus dem Wettbewerb gezogen und nicht verkauft, also aus einem kommerziellen Kontext entfernt werden. In ihren Worten von vor sechs Monaten hört man eine Bitte um Anerkennung, doch eine Lösung à l’amiable fanden die beiden zu dem Zeitpunkt nicht. Jeff Dieschburg, dessen Mutter für die DP im Gemeinderat Strassen sitzt, hatte sich dann zügig um juristischen Beistand in Form von Gaston Vogel bemüht.

Visionen Wer den für Brülltiraden und Einschüchterungsversuche bekannten Anwalt kontaktiert, kommt auch als Journalistin in den Genuss dieser Taktiken und Stilmittel, kombiniert mit Vorwürfen der Sabotage und des „Journalisten-Unfugs“. In seiner Verteidigungslinie hatte Gaston Vogel vor Gericht versucht, Zhangs Werk als œuvre commune (das heißt, von mehreren Personen geschaffenes Werk) darzustellen. Mit diesen Argumenten kam er nicht durch. Ein weiteres Argument lag im Vergleich mit anderen Bildern und Gemälden aus der Kunstgeschichte, die ähnliche Posen vorzeigen. Vincent Wellens, Anwalt von Jingna Zhang, plädierte für die Originalität der Fotografie, indem er die Art und Weise, wie das Bild komponiert wurde, wie also etwa die Strähnen und das Licht fallen und wie das Kleid drapiert ist, hervorhob. Der Richter fand die aufgeführten Erklärungen jedoch nicht ausreichend, um darin eine künstlerische Vision von Zhang zu erkennen. Die braucht es laut luxemburgischem Recht, um vom Schutz des Urheberrechts zu profitieren. „S’il est vrai que la personnalité du photographe peut se révéler par les choix effectués dans la mise en scène de la photographie et en particulier sur les accessoires, voire la pose, encore faut-il que la pose présente une originalité particulière, ce qui n’est pas le cas lorsqu’elle est influencée par des tableaux connus et que la personne se trouve dans un environnement banal“, befand der Richter.

In der Zwischenzeit ist Jeff Dieschburg praktisch untergetaucht. Auf Instagram findet man ein Fake-Profil mit seinem Namen, in der Beschreibung steht „full time plagiariser – send me your work“, gepostet sind Vincent van Goghs Sternennacht und da Vincis Mona Lisa. Auf den sozialen Netzwerken hatte die Affäre Verteidigungstiraden und Hasskommentare ausgelöst, unter denen die jungen Künstler stark litten. Hier ballt sich also ein kleiner Sturm zusammen, auch weil der Fall trotz laufendem Gerichtsverfahren eine Debatte von gesellschaftlichem Wert darstellt, bei der sich Kreativität und Urheberrecht mit einer Prise Gender – Jingna Zhang benutzte das Wort mansplaining, als Dieschburg ihr in seiner ersten Kontaktaufnahme das Urheberrecht erklärte – vermengen. Tatsächlich ist ein gewisser Mangel an Demut beim jungen Künstler und seinen offiziellen Reaktionen auf den Vorfall zu erkennen. Auf der einen Seite steht Dieschburg, ein talentierter figurativer Maler, luxemburgische upper middle class, auf der anderen Zhang, eine Asiatin, die in ihrer Branche zwar renommiert ist, aber auch Tausende Kilometer weit weg lebt und nicht von einem imposanten Anwalt vor einem luxemburgischen Gericht vertreten wird – sondern den Prozess um ihre Fotografie quasi zeitversetzt online mitverfolgt. In der Theorie sollte all das zweifelsohne keine Rolle spielen.

Anti-banal Die juristische Reflexion zum Urheberrecht ist noch jung, sie begann Anfang des 19. Jahrhunderts. Ein erstes richtiges Gesetz zum droit d’auteur gab es in Luxemburg erst 1898. Im Gegensatz zum Begriff der Originalität, wie er in der Kunst gebraucht wird, wo er etwas Grundneues voraussetzt, wird das Wort im Recht nicht in diesem Sinne benutzt. Tatsächlich geht es vor Gericht darum, zu zeigen, dass der Künstler seinem Werk bewusst eine Form gegeben hat, Geschmacks- und Werturteile sollen keinen Platz einnehmen. Gian Maria Tore, Assistenzprofessor für Kunstgeschichte an der Universität Luxemburg, merkt an, die Welt der Kunst und des Rechts seien Parallelwelten, von „unüberbrückbaren Grenzen“ getrennt. Natürlich lebe die Kunst von Nachahmung, von dem, was schon da war. Dabei habe jedes Zeitalter seine Trends und seinen Fokus. Die Idee, dass etwas völlig neu sein müsse, wie man sie zum Beispiel als Ansporn zur konstanten Neuerfindung in der Malerei bis in die 1950-er und 1960-er-Jahre beobachten konnte, gebe es heutzutage kaum. Interessant sei, dass in der Gegenwart, in der endloses Recycling und ständige Hybridisierung in der Kunst mit remakes, sequels und spinoffs zur Norm geworden sind, mehr Wert auf Urheberrecht gelegt werde. Ein Paradox, das er sich damit erklärt, dass Recht nachträglich auf Geschehnisse reagiert. Zum Fall Dieschburg-Zhang befindet er: „Aus Kritikersicht kann ich aus diesem Urteil nur schlussfolgern, dass Dieschburgs Werk genauso banal ist wie Zhangs Fotografie.“

Im Tageblatt erschien diese Woche ein Interview mit zwei belgischen Anwälten für Urheberrecht, die den Fall kommentierten. Sie unterstrichen, es liege an der Klägerin, ihre Originalität und somit ihr Urheberrecht adäquat zu beweisen. Andere Fachanwälte reagieren mit Überraschung auf dieses erste Urteil. Der in Hamburg praktizierende Medienrechtsanwalt Christian Rauda zeigt sich im Gespräch mit dem Land „höchst verblüfft“ und spricht von einer „extremen Fehleinschätzung des Gerichts angesichts der überhöhten Anforderungen an die Darlegungslast der Klägerin“. Die in Luxemburg arbeitende Marianne Decker Anwältin sieht darin „eine Katastrophe für das Urheberrecht“. Für die Fotografie als Kunstform sei es aufgrund des Technikfortschritts schwieriger geworden, das Urheberrecht zu beweisen. Doch „wenn diese Modefotografie nicht geschützt ist, welche dann?“ Die Profi-Fotografen äußern ihrerseits Bedenken vor einem Präzedenzfall. In einer Stellungnahme schreibt die Fédération des photographes professionnels Luxembourg (FPPL): „L’œuvre photographique en question se démarque de la masse de photos que l’on voit quotidiennement, elle a un style et une identité incomparable. (…) À notre avis, l’œuvre photographique de Jingna Zhang en question, a largement atteint un degré suffisant d’originalité pour pouvoir profiter du droit d’auteur.“

Main tendue In einem Schreiben, das dem Land vorliegt, hat Jeff Dieschburgs Alma mater, die Universität Straßburg, ebenfalls Position bezogen. „Jeff Dieschburg received a reprimand from the Dean of the Faculty of Arts. No evocation of the paintings is permitted in his final dissertation (...) His master’s defense has been postponed. (...) He probably did not realise that the authorisation to copy within the framework of exercises and school work does not apply to all works and even less to those of living artists, especially when the work is allowed to leave the private setting and studies. (...) He apologized. (...) We hope we have been able to appease the artist whose irritation we fully recognise“, schreibt die Universität Straßburg. Vincent Wellens gibt seinerseits an, in Berufung zu gehen. Er will auf fünfzehn detaillierten Seiten die künstlerischen Entscheidungen darlegen, die beweisen sollen, dass es sich bei Zhangs Fotografie um ihre eigene geistige Schöpfung handelt. Sich wie an der Universität zu entschuldigen, hat Jeff Dieschburg gegenüber Jingna Zhang übrigens nicht getan. Vielleicht wäre das als Schlichtung schon ausreichend gewesen.

Sarah Pepin
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